Da wir wieder zu uns selber kamen, rang Lorenzo mit dem Tode; Mönch und Erscheinung waren verschwunden. Den Ritter brachte man unter schrecklichen Zuckungen zu Bette; niemand als der Geistliche war um den Sterbenden und der jammervolle Greis, der ihm, wenige Wochen nachher, im Tode folgte. Seine Geständnisse liegen in der Brust des Paters versenkt, der seine letzte Beichte hörte, und kein lebendiger Mensch hat sie erfahren.

»Nicht lange nach dieser Begebenheit geschah es, daß man einen Brunnen auszuräumen hatte, der im Hinterhofe des Landhauses unter wildem Gesträuche versteckt und viele Jahre lang verschüttet war; da man den Schutt durcheinander störte, entdeckte man ein Totengerippe. Das Haus, wo sich dieses zutrug, steht nicht mehr; die Familie del M**nte ist erloschen, und in einem Kloster, ohnweit Salerno, zeigt man Ihnen Antoniens Grab.

»Sie sehen nun,« fuhr der Sizilianer fort, als er sah, daß wir noch alle stumm und betreten standen und niemand das Wort nehmen wollte: »Sie sehen nun, worauf sich meine Bekanntschaft mit diesem russischen Offizier oder diesem Armenier gründet. Urteilen Sie jetzt, ob ich Ursache gehabt habe, vor einem Wesen zu zittern, das sich mir zweimal auf eine so schreckliche Art in den Weg warf.«

»Beantworten Sie mir noch eine einzige Frage,« sagte der Prinz und stand auf. »Sind Sie in Ihrer Erzählung über alles, was den Ritter betraf, immer aufrichtig gewesen?«

»Ich weiß nicht anders,« versetzte der Sizilianer.

»Sie haben ihn also wirklich für einen rechtschaffenen Mann gehalten?«

»Das hab' ich, bei Gott, das hab' ich,« antwortete jener.

»Auch da noch, als er Ihnen den bewußten Ring gab?«

»Wie? – Er gab mir keinen Ring – Ich habe ja nicht gesagt, daß er mir den Ring gegeben.«

»Gut,« sagte der Prinz, an der Glocke ziehend und im Begriff, wegzugehen. »Und den Geist des Marquis von Lanoy,« (fragte er, indem er noch einmal zurückkam,) »den dieser Russe gestern auf den Ihrigen folgen ließ, halten Sie also für einen wahren und wirklichen Geist?« –

»Ich kann ihn für nichts anders halten,« antwortete jener.

»Kommen Sie,« sagte der Prinz zu uns. Der Schließer trat herein. »Wir sind fertig,« sagte er zu diesem. »Sie, mein Herr,« (zu dem Sizilianer sich wendend) »sollen weiter von mir hören.«

»Die Frage, gnädigster Herr, welche Sie zuletzt an den Gaukler getan haben, möchte ich an Sie selbst tun,« sagte ich zu dem Prinzen, als wir wieder allein waren. »Halten Sie diesen zweiten Geist für den wahren und echten?«

»Ich? Nein, wahrhaftig, das tue ich nicht mehr.«

»Nicht mehr? Also haben Sie es doch getan?«

»Ich leugne nicht, daß ich mich einen Augenblick habe hinreißen lassen, dieses Blendwerk für etwas mehr zu halten.«

»Und ich will den sehen,« rief ich aus, »der sich unter diesen Umständen einer ähnlichen Vermutung erwehren kann. Aber was für Gründe haben Sie nun, diese Meinung zurückzunehmen? Nach dem, was man uns eben von diesem Armenier erzählt hat, sollte sich der Glaube an seine Wundergewalt eher vermehrt als vermindert haben.«

»Was ein Nichtswürdiger uns von ihm erzählt hat?« fiel mir der Prinz mit Ernsthaftigkeit ins Wort. »Denn hoffentlich zweifeln Sie nun nicht mehr, daß wir mit einem solchen zu tun gehabt haben? –«

»Nein,« sagte ich. »Aber sollte deswegen sein Zeugnis – – »

»Das Zeugnis eines Nichtswürdigen – gesetzt, ich hätte auch weiter keinen Grund, es in Zweifel zu ziehen – kann gegen Wahrheit und gesunde Vernunft nicht in Anschlag kommen. Verdient ein Mensch, der mich mehrmal betrogen, der den Betrug zu seinem Handwerk gemacht hat, in einer Sache gehört zu werden, wo die aufrichtigste Wahrheitsliebe selbst sich erst reinigen muß, um Glauben zu verdienen? Verdient ein solcher Mensch, der vielleicht nie eine Wahrheit um ihrer selbst willen gesagt hat, da Glauben, wo er als Zeuge gegen Menschenvernunft und ewige Naturordnung auftritt? Das klingt ebenso, als wenn ich einen gebrandmarkten Bösewicht bevollmächtigen wollte, gegen die nie befleckte und nie bescholtene Unschuld zu klagen.«

»Aber was für Gründe sollte er haben, einem Manne, den er so viele Ursachen hat zu hassen, wenigstens zu fürchten, ein so glorreiches Zeugnis zu geben?«

»Wenn ich diese Gründe auch nicht einsehe, soll er sie deswegen weniger haben? Weiß ich, in wessen Solde er mich belog? Ich gestehe, daß ich das ganze Gewebe seines Betrugs noch nicht ganz durchschaue; aber er hat der Sache, für die er streitet, einen sehr schlechten Dienst getan, daß er sich als einen Betrüger – und vielleicht als etwas noch Schlimmres – entlarvte.«

»Der Umstand mit dem Ring scheint mir freilich etwas verdächtig.«

»Er ist mehr als das,« sagte der Prinz, »er ist entscheidend. Diesen Ring (lassen Sie mich einstweilen annehmen, daß die erzählte Begebenheit sich wirklich ereignet habe) empfing er von dem Mörder, und er mußte in demselben Augenblick gewiß sein, daß es der Mörder war. Wer als der Mörder konnte dem Verstorbenen einen Ring abgezogen haben, den dieser gewiß nie vom Finger ließ? Uns suchte er die ganze Erzählung hindurch zu überreden, als ob er selbst von dem Ritter getäuscht worden, und als ob er geglaubt hätte, ihn zu täuschen. Wozu diesen Winkelzug, wenn er nicht selbst bei sich fühlte, wie viel er verloren gab, wenn er sein Verständnis mit dem Mörder einräumte? Seine ganze Erzählung ist offenbar nichts als eine Reihe von Erfindungen, um die wenigen Wahrheiten aneinanderzuhängen, die er uns preiszugeben für gut fand. Und ich sollte größere Bedenken tragen, einen Nichtswürdigen, den ich auf zehn Lügen ertappte, lieber auch noch der eilften zu beschuldigen, als die Grundordnung der Natur unterbrechen zu lassen, die ich noch auf keinem Mißklang betrat?«

»Ich kann Ihnen darauf nichts antworten,« sagte ich. »Aber die Erscheinung, die wir gestern sahen, bleibt mir darum nicht weniger unbegreiflich.«

»Auch mir,« versetzte der Prinz, »ob ich gleich in Versuchung geraten bin, einen Schlüssel dazu ausfindig zu machen.«

»Wie?« sagte ich.

»Erinnern Sie sich nicht, daß die zweite Gestalt, sobald sie herein war, auf den Altar zuging, das Kruzifix in die Hand faßte und auf den Teppich trat?«

»So schien mir's. Ja.«

»Und das Kruzifix, sagte uns der Sizilianer, war ein Konduktor. Daraus sehen Sie also, daß sie eilte, sich elektrisch zu machen. Der Streich, den Lord Seymour mit dem Degen nach ihr tat, konnte also nicht anders als unwirksam bleiben, weil der elektrische Schlag seinen Arm lähmte.«

»Mit dem Degen hätte dieses seine Richtigkeit. Aber die Kugel, die der Sizilianer auf sie abschoß und welche wir langsam auf den Altar rollen hörten?«

»Wissen Sie auch gewiß, daß es die abgeschossene Kugel war, die wir rollen hörten? – Davon will ich gar nicht einmal reden, daß die Marionette oder der Mensch, der den Geist vorstellte, so gut umpanzert sein konnte, daß er schuß- und degenfest war – Aber denken Sie doch ein wenig nach, wer es war, der die Pistolen geladen.«

»Es ist wahr,« sagte ich, – und ein plötzliches Licht ging mir auf – »Der Russe hatte sie geladen. Aber dieses geschah vor unsern Augen, wie hätte da ein Betrug vorgehen können?«

»Und warum hätte er nicht sollen vorgehen können? Setzten Sie denn schon damals ein Mißtrauen in diesen Menschen, daß Sie es für nötig befunden hätten, ihn zu beobachten? Untersuchten Sie die Kugel, eh' er sie in den Lauf brachte, die ebensogut eine quecksilberne oder auch nur eine bemalte Tonkugel sein konnte? Gaben Sie acht, ob er sie auch wirklich in den Lauf der Pistole oder nicht nebenbei in seine Hand fallen ließ? Was überzeugt Sie – gesetzt, er hätte sie auch wirklich scharf geladen –, daß er gerade die geladenen in den andern Pavillon mit hinübernahm und nicht vielmehr ein anderes Paar unterschob, welches so leicht anging, da es niemand einfiel, ihn zu beobachten, und wir überdies mit dem Auskleiden beschäftigt waren? Und konnte die Gestalt nicht in dem Augenblicke, da der Pulverrauch sie uns entzog, eine andere Kugel, womit sie auf den Notfall versehen war, auf den Altar fallen lassen? Welcher von allen diesen Fällen ist der unmögliche?«

»Sie haben recht. Aber diese treffende Ähnlichkeit der Gestalt mit Ihrem verstorbenen Freunde – Ich habe ihn ja auch sehr oft bei Ihnen gesehen, und in dem Geiste hab' ich ihn auf der Stelle wiedererkannt.«

»Auch ich – und ich kann nicht anders sagen, als daß die Täuschung aufs Höchste getrieben war. Wenn aber nun dieser Sizilianer nach einigen wenigen verstohlnen Blicken, die er auf meine Tabatiere warf, auch in sein Gemälde eine flüchtige Ähnlichkeit zu bringen wußte, die Sie und mich hinterging, warum nicht um so viel mehr der Russe, der während der ganzen Tafel den freien Gebrauch meiner Tabatiere hatte, der den Vorteil genoß, immer und durchaus unbeobachtet zu bleiben, und dem ich noch außerdem im Vertrauen entdeckt hatte, wer mit dem Bilde auf der Dose gemeint sei? – Setzen Sie hinzu – was auch der Sizilianer anmerkte – daß das Charakteristische des Marquis in lauter solchen Gesichtszügen liegt, die sich auch im Groben nachahmen lassen – wo bleibt dann das Unerklärbare in dieser ganzen Erscheinung?«

»Aber der Inhalt seiner Worte? Der Aufschluß über Ihren Freund?«

»Wie? Sagte uns denn der Sizilianer nicht, daß er aus dem Wenigen, was er mir abfragte, eine ähnliche Geschichte zusammengesetzt habe? Beweist dieses nicht, wie natürlich gerade auf diese Erfindung zu fallen war? Überdies klangen die Antworten des Geistes so orakelmäßig dunkel, daß er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einen Widerspruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß die Kreatur des Gauklers, die den Geist machte, Scharfsinn und Besonnenheit besaß und von den Umständen nur ein wenig unterrichtet war – wie weit hätte diese Gaukelei nicht noch geführt werden können?«

»Aber überlegen Sie, gnädigster Herr, wie weitläufig die Anstalten zu einem so zusammengesetzten Betrug von Seiten des Armeniers hätten sein müssen! Wie viele Zeit dazu gehört haben würde! Wie viele Zeit nur, einen menschlichen Kopf einem andern so getreu nachzumalen, als hier vorausgesetzt wird! Wie viele Zeit, diesen untergeschobenen Geist so gut zu unterrichten, daß man vor einem groben Irrtum gesichert war! Wie viele Aufmerksamkeit die kleinen unnennbaren Nebendinge würden erfordert haben, welche entweder mithelfen, oder denen, weil sie stören konnten, auf irgendeine Art doch begegnet werden mußte! Und nun erwägen Sie, daß der Russe nicht über eine halbe Stunde ausblieb. Konnte wohl in nicht mehr als einer halben Stunde alles angeordnet werden, was hier nur das Unentbehrlichste war? – Wahrlich, gnädigster Herr, selbst nicht einmal ein dramatischer Schriftsteller, der um die unerbittlichen drei Einheiten seines Aristoteles verlegen war, würde einem Zwischenakt soviel Handlung aufgelastet, noch seinem Parterre einen so starken Glauben zugemutet haben.«

»Wie? Sie halten es also schlechterdings für unmöglich, daß in dieser kleinen halben Stunde alle diese Anstalten hätten getroffen werden können?«

»In der Tat,« rief ich, »für so gut als unmöglich.« –

»Diese Redensart verstehe ich nicht. Widerspricht es allen Gesetzen der Zeit, des Raumes und der physischen Wirkungen, daß ein so gewandter Kopf, wie doch unwidersprechlich dieser Armenier ist, mit Hülfe seiner vielleicht ebenso gewandten Kreaturen, in der Hülle der Nacht, von niemand beobachtet, mit allen Hülfsmitteln ausgerüstet, von denen sich ein Mann dieses Handwerks ohnehin niemals trennen wird, daß ein solcher Mensch, von solchen Umständen begünstigt, in so weniger Zeit so viel zustande bringen könnte? Ist es geradezu undenkbar und abgeschmackt zu glauben, daß er mit Hülfe weniger Worte, Befehle oder Winke seinen Helfershelfern weitläufige Aufträge geben, weitläufige und zusammengesetzte Operationen mit wenigem Wortaufwande bezeichnen könne? – Und darf etwas andres als eine hell eingesehene Unmöglichkeit gegen die ewigen Gesetze der Natur aufgestellt werden? Wollen Sie lieber ein Wunder glauben, als eine Unwahrscheinlichkeit zugeben? lieber die Kräfte der Natur umstürzen, als eine künstliche und weniger gewöhnliche Kombination dieser Kräfte sich gefallen lassen?«

»Wenn die Sache auch eine so kühne Folgerung nicht rechtfertigt, so müssen Sie mir doch eingestehen, daß sie weit über unsre Begriffe geht.«

»Beinahe hätte ich Lust, Ihnen auch dieses abzustreiten,« sagte der Prinz mit schalkhafter Munterkeit.