Margaritas ante porcos.“
„O nein“, sagte lächelnd der Kardinal. „Porcos ante Margaritam.“
Der kleine Hof im Chorrock war über dies Wortspiel entzückt; der Kardinal fühlte einige Erleichterung, denn mit Coppenole war er quitt; auch sein Witz fand Beifall.
Jetzt mögen diejenigen unserer Leser, die imstande sind, sich ein Bild oder eine Idee zu verallgemeinern, wie es im heutigen Stile heißt, die Frage erlauben, ob sie sich eine deutliche Vorstellung von dem Schauspiele bilden, welches das weite Rechteck des großen Saales in dem Augenblicke, bei dem wir verweilen, darbot. Mitten im Saal stand, an die westliche Mauer gelehnt, eine prächtige und breite Galerie mit Goldbrokat, auf die eine Menge von ernsten Personen, angekündigt von der kreischenden Stimme des Türhüters, durch eine kleine gotische Tür eingetreten waren. In den ersten Reihen saßen viel ehrwürdige Personen, in Hermelin, Samt und Scharlach gehüllt. Um die Galerie, die schweigend und ernst blieb, herrschte unten großer Lärm und großes Gedränge. Gewiß, das Schauspiel war merkwürdig und verdiente wohl die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Was sollte aber dort unten, ganz am Ende, jene Bühne, mit vier buntscheckig gekleideten Personen oben und vier andern unten? Was bedeutete an der Seite der Bühne ein Mann mit blassem Gesicht und schwarzem Kleid? Ach, lieber Leser, es war Peter Gringoire und sein Prolog.
Von dem Augenblick an, wo der Kardinal hereintrat, hatte Gringoire sich unaufhörlich um das Heil seines Prologs gequält; zuerst hatte er den plötzlich abbrechenden Schauspielern eingeschärft, fortzufahren und die Stimme zu erheben; als er aber sah, daß niemand hörte, bat er sie selbst zu schweigen; seit einer Viertelstunde, ungefähr während der Zeit, während der die Unterbrechung dauerte, hatte er unaufhörlich mit dem Fuße gestampft, Gisquette und Liénarde angeredet; seine Nachbarn zur Fortsetzung ermutigt; alles vergeblich; keiner ließ vom Kardinal, der Gesandtschaft und der Galerie ab, dem einzigen Zentrum des ungeheuren Zirkels aller Blicke. Man muß auch glauben, und wir sagen es mit Bedauern, daß der Prolog in dem Augenblick lästig zu werden anfing, als Seine Eminenz erschien und auf so furchtbare Weise Störung verursachte. Übrigens wurde auf der Marmortafel, wie auf der Galerie, dasselbe Schauspiel gegeben, ein Konflikt zwischen Bauernstand und Geistlichkeit, zwischen Adel und Kaufmannsstand. Und viele Leute zogen es vor, ihn lebend, atmend, handelnd, sich stoßend, als Fleisch und Knochen in der flamländischen Gesandtschaft, dem bischöflichen Hofe, unter dem Kleid des Kardinals und Coppenoles Wams zu schauen, als geschminkt, geputzt, in Versen redend und in gelbe und weiße Tuniken, worein ihn Gringoire gesteckt hatte, eingewickelt. Als aber unser Dichter sah, die Ruhe sei ein wenig hergestellt, verfiel er auf eine Kriegslist, die alles hätte retten können. Er wandte sich zu einem Nachbar, einer braven, breiten und geduldigen Gestalt, mit den Worten: „Herr, wenn man doch wieder anfinge!“ – „Was?“ fragte sein Nachbar. – „Nun, das Mysterium.“ – „Wie es Euch beliebt, Herr.“ –
Dieser halbe Beifall genügte Gringoire. Er betrieb sein Geschäft selbst, mischte sich so gut wie möglich unter die Menge und fing an zu schreien: „He! Fangt wieder an! Fangt wieder das Mysterium an!“
„Teufel!“ rief Johannes von Molendino, „was singen die dort hinten? (Gringoire machte Lärm für vier.) Sagt, Kameraden, ist das Mysterium nicht schon aus? Die wollen wieder anfangen! Das ist nicht recht!“
„Nein, nein!“ riefen alle Studenten, „nieder mit dem Mysterium!“ Aber Gringoire vervielfältigte sich und schrie nur um so stärker: „Fangt wieder an!“
Dies Geschrei zog die Aufmerksamkeit des Kardinals auf sich. „Herr Bailli des Palais“, sagte er zu einem großen schwarzen Mann, der nicht weit von ihm entfernt stand, „riechen die Teufel den Weihkessel? Sie machen einen Höllenlärm.“
Der Bailli des Palais nahte sich Ihrer Eminenz und setzte ihr stotternd den Zwiespalt im Volk auseinander, nicht ohne ihr höchstes Mißvergnügen zu befürchten: wie Mittag vor Ihrer Eminenz da war, und wie die Schauspieler gezwungen wurden, anzufangen, ohne Ihre Eminenz erwarten zu können. Der Kardinal lachte laut. „Meiner Treu“, sagte er, „der Herr Rektor der Universität hätte wohlgetan, es ebenso zu machen. Was meint Ihr, Meister Wilhelm Rym?“
„Durchlauchtiger Herr“, erwiderte Wilhelm Rym, „seien wir zufrieden, der einen Hälfte glücklich entgangen zu sein. So haben wir immer gewonnen.“ – „Dürfen die Schurken ihre Posse fortspielen?“ fragte der Bailli. – „Nur weiter, mir gilt es gleich; ich will unterdes in meinem Brevier lesen.“
Der Bailli trat an den Rand der Galerie und rief, nachdem er durch eine Bewegung der Hand Stillschweigen geboten:
„Bürger und Einwohner! Um diejenigen, die wollen, daß man wieder anfängt, und auch diejenigen, die wollen, daß man aufhört, zu befriedigen, befiehlt die Eminenz, daß man weiterspiele.“
Beiden Parteien kostete es Überwindung, sich in dies Schicksal zu ergeben. Der Schriftsteller und das Publikum hegten darüber noch lange Groll gegen den Kardinal.
Die Schauspieler begannen aufs neue, ihre Verse zu deklamieren, und Gringoire hoffte wenigstens, der noch übrige Teil seiner Dichtung werde gehört werden. Doch ach, auch hierin ward er bald getäuscht, wie in den übrigen Träumen seiner Hoffnung. Im Publikum herrschte einige Stille; allein Gringoire hatte nicht bemerkt, daß in dem Augenblick, wo der Kardinal den Befehl zum Weiterspielen gab, die Galerie bei weitem noch nicht gefüllt war. Nach den flamländischen Gesandten kamen neue Personen, deren Namen, von der kreischenden Stimme des Türhüters mitten in den Dialog geschleudert, dort beträchtliche Verwüstung anrichteten. Man denke sich mitten in einem Drama das Gekreisch eines Türstehers als Parenthese zwischen zwei Versen! Es war unerträglich!
Gringoire ward über diese sonderbare Begleitung seiner Verse, durch die es schwer ward, dem Stück zu folgen, um so mehr empört, als er sich nicht verheimlichen konnte, wie die Teilnahme immer stieg, und wie seinem Werke weiter nichts fehlte, als daß man es hören konnte. Es war wirklich schwierig, sich eine innigere und mehr dramatische Verschlingung zu erdenken. Die vier Personen des Prologs klagten in ihrer furchtbaren Verlegenheit, als Venus in Person (vera incessu patuit dea) in einem schönen Kleide auftrat, worauf das Wappen der Stadt Paris, ein Schiff, gestickt war. Sie nahm jenen der schönsten Frau versprochenen Delphin für sich selbst in Anspruch. Jupiter, dessen Donner man im Ankleidezimmer schon brüllen hörte, kam herbei, sie zu unterstützen, und die Göttin war im Begriff, den Sieg davonzutragen, das heißt, einfach gesprochen, den Herrn Dauphin zu heiraten, als ein kleines, in weißen Damast gekleidetes Kind erschien, das, als deutliche Personifizierung der Prinzessin von Flandern eine Perle in der Hand trug, um mit Frau Venus zu kämpfen. Ein wahrer Theatercoup und zugleich die entscheidende Wendung des Stückes.
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