Nach einigem Zank waren Venus, Margareta und die Allegorien übereingekommen, sich auf das scharfsinnige Urteil der heiligen Jungfrau zu berufen. Außerdem war noch eine schöne Rolle die Leiter hinaufgestiegen, Dom Pedro, König von Mesopotamien, aber bei den vielen Unterbrechungen konnte man nicht unterscheiden, wozu sie eigentlich da war.
Aber es ist um das Stück geschehen. Denn ach, Meister Coppenole, der Strumpfmacher, steht plötzlich auf, und Gringoire vernimmt, wie er mitten in allgemein gespannter Aufmerksamkeit die fluchwürdige Rede hält:
„Ihr Herrn Bürger und Junker von Paris! Gottes Kreuz, mir ist unbegreiflich, was wir hier treiben! Ich sehe dort im Winkel auf dem Gerüst Leute, die sich das Ansehn geben, als wollten sie sich schlagen; ich weiß nicht, ob das ein Mysterium ist, wie ihr’s nennt, aber es ist langweilig; sie zanken sich mit der Zunge und tun weiter nichts. Schon seit einer Stunde erwarte ich den ersten Schlag; nichts kommt; es sind Memmen, die sich mit Schimpfwörtern kratzen. Man hätte Faustkämpfer aus London und Rotterdam kommen lassen sollen; dann sähet ihr Faustschläge, die man weithin gehört hätte; das wäre schön! Aber dies da ist erbärmlich! Sie sollten wenigstens einen Mohrentanz oder eine andere Mummerei zum besten geben. Von dem da hat man mir nichts gesagt, sondern ein Narrenfest und die Wahl eines Narrenpapstes versprochen. Auch wir haben in Gent unsern Narrenpapst, und Gottes Kreuz! Hierin stehen wir keinem nach. Aber wir machen’s so: Man versammelt sich, wie hier; dann steckt jeder nach der Reihe seinen Kopf durch ein Loch und schneidet den andern eine Fratze; derjenige, dessen Fratze die häßlichste ist, wird unter dem Zuruf aller zum Papst gewählt. Das ist sehr spaßhaft. Wollt ihr, daß wir euern Papst nach der Sitte meines Landes wählen? Das ist immer weniger langweilig, als diese Schwätzer zu hören. Wollen sie ebenfalls ihre Fratze in der Luke schneiden, so sollen sie mitspielen. Was meint ihr, ihr Herren Bürger? Hier ist ein wunderliches Gemisch beider Geschlechter, und wir haben hier genug häßliche Gesichter, um eine schöne Fratze zu schneiden.
Der Vorschlag des Strumpfmachers ward mit solcher Begeisterung von den Bürgern aufgenommen, die sich geschmeichelt fühlten, Junker genannt zu werden, daß jeder Widerstand nutzlos war. Man mußte dem Strome folgen. Gringoire verbarg sein Antlitz mit beiden Händen.
5. Quasimodo
In einem Augenblick war alles bereit, Coppenoles Einfall zur Ausführung zu bringen. Bürger, Studenten und Gerichtsschreiber legten Hand ans Werk. Die der Marmortafel gegenüberliegende kleine Kapelle ward zum Theater für die Fratzen ausgewählt. Eine zerbrochene kleine Fensterscheibe in Form der gotischen Rosette über der Tür ließ einen steinernen Kreis offen, durch den, wie man übereinkam, die Bewerber den Kopf stecken sollten. Um dort hinaufzureichen, genügte es, auf die Tonnen zu klettern, die man, ich weiß nicht woher, herbeigeschafft und so gut wie möglich aufeinandergelegt hatte. Es war beschlossen, jeder Bewerber, Mann oder Weib (denn man konnte auch eine Päpstin wählen), sollte, um den Eindruck der Fratze jungfräulich und firsch zum besten zu geben, sich das Gesicht verhüllen und in der Kapelle verbergen, bis der Augenblick der Erscheinung gekommen wäre. In einem Augenblick war die Kapelle voll Bewerber, hinter denen man die Tür zuschloß.
Coppenole befahl, leitete und ordnete von seinem Platze aus alles. Während des Lärms hatte sich der Kardinal, ebenso wie Gringoire außer Fassung gebracht, mit seinem Gefolge unter dem Vorwande der Vesper und anderer Geschäfte entfernt, ohne daß die Volksmasse, die seine Ankunft in solche Aufregung versetzt, sich im geringsten um seinen Abgang bekümmerte.
Die Fratzen begannen. Die erste Figur, die in der Luke sich zeigte, hatte rote, aufgeschlagene Augenwimpern, einen Mund, der aufgerissen war wie ein Rachen, und eine Stirn, die an Runzeln den Husarenstiefeln aus Napoleons Herrschaft glich. Sie erweckte ein so unauslöschliches Gelächter, daß Homer jenes Publikum für seine Götter gehalten hätte. Eine zweite, dritte Fratze folgte, dann eine vierte, eine fünfte, und stets ward Gelächter und Freudengeschrei verdoppelt.
Es gab weder Studenten, noch Gesandte, noch Bürger, weder Männer, noch Weiber; es gab keinen Clopin Trouillefou, keinen Gilles Lecornu, keinen Robin Poussepain; jede Einzelheit erlosch in der allgemeinen Ausgelassenheit. Der ganze Saal war nichts als ein großer Schmelzofen von Frechheit und Lustbarkeit, wo jeder Mund ein Schrei, jedes Auge ein Blitz, jedes Gesicht eine Fratze war, alles schrie und heulte. Die sonderbaren Gesichter, welche in der Luke nacheinander mit den Zähnen knirschten, glichen in die Glut geschleuderten Bränden; von der glühenden Volksmasse erhob sich, wie der Dunst des Schmelzofens, ein scharfes pfeifendes Geräusch, lärmend wie die Flügel einer Wespe.
„Ho! He! Verflucht! – Sieh die Fratze! – Sie taugt nichts. – Eine andere! – Guillemette Maugerepuis, sieh das Ochsenmaul! Es fehlen ihm nur die Hörner. Dein Mann ist es nicht. – Eine andere Fratze! – Betrug! Man darf nur sein eigenes Gesicht zeigen! – Ich ersticke! – Da ist einer, dessen Ohren nicht hindurch können!“ Und so weiter.
Gringoire hatte sich indessen wieder gesammelt, nachdem der erste Augenblick der Niedergeschlagenheit vorüber war.
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