Wie er sich aber den Kreis in der Nähe ansah, bemerkte er, jener sei größer, als daß er sich nur am Feuer des Königs hätte wärmen können, und die Zuschauer wären nicht allein von der Schönheit der hundert Reisigbündel, die man verbrannte, herbeigezogen. Ein junges Mädchen tanzte in dem Raume, der zwischen dem Feuer und den Zuschauern freigelassen war. Ob das junge Mädchen Mensch, Fee oder Engel war, konnte Gringoire, wie sehr er auch skeptischer Philosoph und ironischer Dichter sein mochte, im ersten Augenblick nicht entscheiden, so sehr ward er durch die Erscheinung geblendet. Das Mädchen war nicht groß, schien es aber zu sein; denn ihr feiner Wuchs strebte kühn empor. Ihre Haut war braun, allein man erriet, daß sie beim Tageslicht im schönen goldenen Reflex der Frauen Roms und Andalusiens erglänzte. Auch ihr kleiner Fuß war andalusisch; denn er paßte genau und bequem in den engen, anmutvollen Schuh. Sie tanzte, wirbelte auf einem alten persischen Teppich, der nachlässig unter ihren Füßen ausgebreitet lag; und wenn im Drehen die strahlende Gestalt dahinflog, warfen ihre großen schwarzen Augen Blitze in die Runde. Im ganzen Umkreis war jeder Blick auf sie geheftet; jeder Mund geöffnet, und wirklich, während sie beim Rauschen der baskischen Trommel, die ihre runden, reinen Arme über dem Haupte hielten, schlank, munter, wie eine Wespe, im goldnen, straffen Leibchen, im bunten Rock, der sich blähte, mit nackten Schultern tanzte, während ihre schönen Beine bisweilen unter dem Rock hervorschlüpften, erschien sie mit dem dunkeln Haar und dem flammenden Augen wie ein höheres Wesen.

* Spanisch: Küsse für Schläge (Anm. des Übers.)

Wahrhaftig, dachte Gringoire, sie ist ein weiblicher Salamander, eine Nymphe, eine Göttin, eine Bacchantin! In dem Augenblick löste sich eine der Haarflechten des weiblichen Salamanders, und ein daran befestigtes Stückchen Messing rollte über den Boden.

„Nein“, sagte er, „sie ist eine Zigeunerin.“ Alle schöne Täuschung war verschwunden. Sie begann den Tanz aufs neue, nahm zwei Schwerter vom Boden auf, stellte die Spitzen auf die Stirn und drehte diese nach einer Seite, während sie sich nach der entgegengesetzten hinwandte. Sie war wirklich nichts weiter als eine Zigeunerin. So sehr aber auch Gringoire enttäuscht ward, verfehlte doch das Ganze durchaus nicht, einen magischen Eindruck zu machen; das Freudenfeuer erleuchtete das Mädchen mit rotem Licht, zitterte auf allen Gesichtern in der Runde, auf der braunen Stirn des Mädchen, und warf noch auf den Hintergrund des Platzes einen bleichen Schein, so daß die Schatten an der einen Seite auf der runzligen schwarzen Mauer des Pfeilerhauses, und an der andern auf dem steinernen Arm des Galgens sich bewegten.

Unter allen Gesichtern, die der Schein mit Scharlach färbte, schien eines vor allen in Betrachtung der Tänzerin versunken zu sein. Es war eine strenge, ruhige und düstere Männergestalt. Jener Mann, dessen Anzug in der ihn umgebenden Menge verborgen blieb, schien nicht über fünfunddreißig Jahre alt zu sein; dennoch waren seine Schläfen schon kahl, und kaum bemerkte man auf ihnen einige Büschel dünner und grauer Haare. Eine hohe und breite Stirn begann, sich mit Runzeln zu durchfurchen; aber aus seinen tiefliegenden Augen funkelte Jugend, Leben und Leidenschaft. Er heftete sie fortwährend auf die Zigeunerin, und während das muntere sechzehnjährige Mädchen zum Vergnügen aller tanzte und hüpfte, schien er selbst immer düsterer zu werden. Von Zeit zu Zeit vereinten sich ein Lächeln und ein Seufzer auf seinen Lippen; allein stets war das Lächeln schmerzhafter als der Seufzer.

Das Mädchen hielt endlich, außer Atem, im Tanzen inne; das Volk klatschte lebhaft Beifall. – „Djali“, rief die Zigeunerin. Da sah Gringoire, wie eine kleine, weiße, muntere Ziege mit vergoldeten Hörnern, Füßen und Halsband hervortrat. Er hatte sie noch nicht bemerkt, denn sie duckte sich auf einen Zipfel des Teppichs und sah ihrer Herrin zu, wie sie tanzte.

„Djali“, sagte die Zigeunerin, „jetzt ist die Reihe an dir“, fuhr sie fort, „in welchem Monat sind wir jetzt?“ – Die Ziege hob ihren Vorderfuß und schlug einmal auf die Trommel. Man befand sich wirklich im ersten Monat des Jahres. Das Volk klatschte Beifall.

„Djali“, fragte das junge Mädchen aufs neue, „welch Datum schreiben wir heute?“ Djali erhob ihren kleinen goldenen Fuß und schlug sechsmal auf die Trommel. „Djali“, fuhr die Zigeunerin fort, indem sie ihre Trommel stets auf andere Weise stellte, „was ist es jetzt an der Zeit?“ Djali tat sieben Schläge, in demselben Augenblick schlug die Uhr des Pfeilerhauses sieben.

Das Volk staunte. „Dabei ist Zauberei im Spiel“, sagte eine unheilvolle Stimme im Volke. Es war die des Kahlkopfes, der die Zigeunerin nicht aus den Augen verlor. Sie zitterte und wandte sich weg; jedoch Beifallklatschen verdeckte den düsteren Ausruf. Dieser verwischte jene Stimme so vollkommen aus ihrer Seele, daß sie fortfuhr, ihre Ziege anzureden: „Djali, wie macht Meister Guichard Grandremy, Kapitän der Pistoliers der Stadt Paris, bei der Prozession von Chandeleur?“

Djali stellte sich auf die Hinterpfoten, fing an zu meckern und ging mit artigem Ernst im ganzen Kreise der Zuschauer umher, daß alle in lautes Gelächter ausbrachen.

„Djali“, begann das Mädchen aufs neue, kühn geworden durch das stets wachsende Vergnügen des Publikums; „wie macht Meister Jacques Charmolue, Prokurator des Königs am geistlichen Hofe?“ Die Ziege setzte sich auf die Hinterpfoten, fing an laut zu meckern, und bewegte die Vorderpfoten auf so sonderbare Weise, daß Jacques Charmolue in Bewegung und Stellung zu schauen war.

Das Volk lachte und lärmte noch lauter. „Verbrechen! Gottloser Spott!“ rief der Kahlkopf. Die Zigeunerin wandte sich noch einmal um: „Oh“, sagte sie, „der häßliche Mann!“ Dann zog sie die Unterlippe über die obere und schnitt ein kleines, wie es schien, ihr gewohntes Mäulchen, schlug eine Pirouette auf der Ferse und schickte sich an, in ihrer Trommel die Gaben der Menge zu sammeln. Es regnete kleine und große Groschen, Liards und Targes.