„Der Schuft“, murmelte er, „warum nahm er die Leiter?“ – „Um die Esmeralda zu sehen“, erwiderte Jupiter niedergeschlagen. „Er sagte: ‚Sieh da, eine Leiter, die zu nichts dient, und nahm sie fort.‘ “
Das war der letzte Schlag. Gringoire empfing ihn mit Ergebung. „Mag euch der Teufel holen“, sagte er zu den Schauspielern, „seid ihr bezahlt, bin ich’s auch!“ Dann trat er gesenkten Hauptes seinen Rückzug an; allein, wie ein General, der tapfer gekämpft hat, war er der letzte. Und als er dann die gewundene Treppe des Palais hinabstieg, murmelt er vor sich hin: „Ein Pöbel von Eseln und Schweinen sind diese Pariser!“ Sie kommen, ein Mysterium zu hören, und hören nichts! Sie bekümmern sich um alles, um Clopin Trouillefou; aber nicht um die Jungfrau Maria. Hätte ich das gewußt, ich hätte euch Jungfrau’n Marien gegeben! Und ich komme, Gesichter zu sehen, und sehe nur Rücken! Es ist wahr, Homerus hat einst in den griechischen Weilern gebettelt, und Naso starb in der Verbannung bei Moskowitern. Aber der Teufel soll mich schinden, wenn ich verstehe, was sie mit ihrer Esmeralda wollen. Was heißt das Wort? Es ist zigeunerisch.”
7. Von der Szylla in die Charybdis
Die Nacht pflegt im Januar früh zu beginnen. – Die Straßen waren schon dunkel, als Gringoire das Palais verließ. Dies Dunkel gefiel ihm; schon dauerte es ihm zu lange, eine kleine und einsame Gasse zu erreichen, um dort gemächlich nachzusinnen, damit der Philosoph den ersten Verband auf die Wunde des Dichters legte. Die Philosophie war außerdem sein einziger Zufluchtsort; denn er hatte keine Wohnung. Nach dem verunglückten Theaterstreich wagte er in seine Wohnung, in der Straße Grenier sur l’Eau, dem Tor au Foin gegenüber, nicht wieder heimzukehren; denn er hatte darauf gerechnet, daß der Herr Prévot ihm für sein Hochzeitsgedicht genug Geld geben würde, um die sechs Monate Miete, die er schuldig war, d. h. zwölf Sous, zu zahlen. Wie er sich eben anschickte, den Platz des Palais zu überschreiten, um das gewundene Labyrinth der Altstadt zu erreichen, sah er, wie die Prozession des Narrenpapstes ebenfalls das Palais verließ und mit großem Lärm, mit Fackeln und Musik quer über den Hof auf ihn zustürzte. Dieser Anblick reizte aufs neue die wunden Stellen seiner Eigenliebe: Er floh. Bei der Bitterkeit seines dramatischen Mißgeschicks erregte ihn jegliche Erinnerung an das Fest des Tages und brachte seine Wunde zum Bluten. Er wollte die Brücke Saint-Michel erreichen, dort liefen Kinder mit Feuerlanzen und Raketen hin und her.
„Der Teufel hole das Feuerwerk“, sagte Gringoire und wandte sich zum Pont-au-Change. Man hatte an den Häusern des Brückenkopfes drei Lappen befestigt, die den König, den Dauphin und Margarete von Flandern darstellten. Das Ganze ward von Fackeln erleuchtet. Das Volk staunte.
„Glücklicher Maler Jehan Fourbault“, sagte Gringoire mit schwerem Seufzer und wandte den Gemälden den Rücken, denn nun wollte er keck mitten in das Herz des Festes dringen und zum Grèveplatz gehen. Wenigstens, dachte er, finde ich dort wohl ein Freudenfeuer, mich daran zu wärmen, und kann dort zu Abend essen von einigen Krümchen der drei großen Wappen von Zucker, die man auf dem Büfett der Stadt errichtet hat.
8. Der Grèveplatz
Der Grèveplatz bot damals einen unheilvollen Anblick. Ein Galgen und ein Schandpfahl, die immer stehen blieben, oder, wie man damals sagte, eine Gerechtigkeit und eine Leiter, waren in der Mitte des Pflasters aufgeschlagen und trugen nicht wenig dazu bei, daß die Vorübergehenden den Blick von jenem unheilvollen Platze abwandten, wo so viele Menschen, blühend von Gesundheit und Leben, mit dem Tode rangen; wo fünfzig Jahre später jenes Fieber des S. Valliers, die Krankheit aus Schrecken vor dem Schafott entsprang. Die furchtbarste aller Krankheiten, weil sie nicht von Gott, sondern vom Menschen kommt.
Nur kurz sei gesagt, es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Todesstrafe, die vor dreihundert Jahren mit eisernen Rädern, steinernen Galgen, allen Werkzeugen des Mordens, auf dem Pflaster sich brüstend, den Grèveplatz, die Hallen, den Platz Dauphine, das Kreuz du Trahoir, den Schweinemarkt, das scheußliche Montfaucon, die Barrière der Sergeanten, den Katzenplatz, das Tor von St. Denis, Champeaux, die Tore St. Jacques und Baudets bedeckte, ohne der unzähligen Galgen der Prévots, des Bischofs, der Kapitel, Äbte und Priore, die Recht sprechen konnten, und der juristischen Ersäufungen im Seinefluß zu gedenken, es ist tröstlich, sage ich, daß die Todesstrafe gegenwärtig, nachdem sie allmählich alle Stücke ihres Wappens, ihren Luxus des Mordens, ihre Strafbarkeit der Entdeckungskraft, ihre Tortur, wofür sie alle fünf Jahre ein ledernes Bett im Grand-Châtelet neu verfertigte, gänzlich verloren hat; daß jene alte Lehnsherrin des Feudalstaates, aus unsern Gesetzten und Städten beinah vertrieben, von einem Gesetzbuch zum andern gehetzt und von einem Platze zum andern gejagt, im ungeheuren Paris nur einen entehrten Winkel des Grève, eine elende, verstohlen sich zeigende, sich schämende Guillotine besitzt, die stets zu befürchten scheint, auf der Tat ertappt zu werden: So schnell verschwindet sie nach Führung des Todesstreiches.
9. Besos para golpes*
Als Peter Gringoire auf dem Grèveplatz ankam, eilte er, sich dem Freudenfeuer, das prächtig mitten auf dem Platze brannte, zu nahen; aber ein beträchtliches Gedränge bildete schon einen Kreis um die Flamme.
1 comment