So ist die romanische Abtei, die gotische, die sächsische Kunst, der schwerfällige Rundpfeiler, der an Gregor VII. erinnert, der hermetische Symbolismus, die päpstliche Einheit, das Scheisma, St. Germaindes-Prés, St. Jacques de la Boucherie in Notre-Dame vereinigt und verschmolzen. Sie ist eine Art Schimäre der Pariser Kirchen, trägt das Haupt der einen, ein Glied der andern, etwas von allen.

Wir wiederholen es, die bastardartigen Gebäude sind gleich interessant für den Künstler, den Antiquar, den Historiker. Sie geben einen Begriff, wie weit die Baukunst etwas Ursprüngliches ist; denn sie zeigen (wie die Zyklopenbauten, die Pyramiden, die Pagoden), daß die großen Produkte der Baukunst keine individuellen, sondern soziale Werke sind, mehr das Erzeugnis arbeitender Völker als die Schöpfungen einzelner Menschen von höherem Geist; ein Gut der Nation, Anhäufungen der Jahrhunderte, ein Niederschlag der aufeinanderfolgenden Verdunstungen der Gesellschaft; kurz, es sind Bildungsarten. Jede Flut der Zeit schwemmt neuen Boden an, jedes Geschlecht läßt eine neue Schicht zurück, jeder einzelne trägt seinen Stein zum Bau.

Große Gebäude, wie große Berge, sind nur das Werk von Jahrhunderten. Oft wechselt die Kunst, während sie in der Vollendung schweben. Die neue Kunst faßt das Werk auf dem Punkte, wo es die alte ließ, entwickelt es nach eigener Phantasie und vollendet es, wenn die Möglichkeit sich bietet. Es wird ohne Verwirrung, Anstrengung und Reaktion nach natürlichem Gesetz mit Ruhe vollendet. Ein Pfropfreis tritt hinzu, ein neuer Saft strömt, eine frische Vegetation beginnt. Gewiß, man kann dicke Bücher und oft die allgemeine Geschichte der Menschheit über diese aufeinanderfolgenden Aufheftungen verschiedener Künste auf verschiedene Höhen desselben Monuments schreiben. Der Mensch, der Künstler erlosch auf diesen Massen, die des einzelnen, als Schöpfers, entbehren; der menschliche Geist verallgemeinert sich in ihnen. Die Zeit ist der Baumeister, das Volk der Maurer.

Übrigens treffen alle Schattierungen nur die Oberfläche der Gebäude. Die Kunst wechselte die Haut; das Organ der christlichen Kirche ward dadurch nicht verletzt. Überall schaut man dasselbe Innere, dieselbe logische Anordnung der Teile. Wie verschieden auch die Hülle einer Kathedrale gebaut, gehauen und verbrämt ist, stets findet man den Keim der römischen Basiliken. Sie entwickelt sich stets nach demselben Gesetz; es sind zwei sich im Kreuz durchschneidende Schiffe, deren obere Spitze gerundet das Chor bildet; für die inneren Prozessionen, die Kapellen, sieht man stets die niedere Wölbung, gleichsam einen Seitenspaziergang, in den das Hauptschiff sich Luft macht. Dann mehrt sich die Zahl der Kapellen, Portale, Türme bis ins Unendliche, nach dem Geiste der Zeit und des Volkes. Sobald der Dienst des Kultus einmal gesichert war, handelte die Baukunst nach eignem Willen. Statuen, gemalte Fenster, Rosetten, Arabesken, Verbrämungen, Kapitäle vereint sie sämtlich nach dem ihr gefälligen Logarithmus. Daher die wunderbare äußere Mannigfaltigkeit jener Gebäude, in deren Grunde Ordnung und Einheit thront: der Stamm des Baumes ist unveränderlich, launenhaft die Vegetation.

14. Gute Herzen

Sechzehn Jahre vor Beginn dieser Geschichte wurde an einem heiteren Morgen des Sonntags Quasimodo nach der Messe ein lebendes Kind auf einer hölzernen Bank im Vorhof von Notre-Dame ausgesetzt, dem Koloß des heiligen Christoph gegenüber. Es war nämlich Sitte, auf dieser hölzernen Bank die Findelkinder der Mildtätigkeit des Volkes preiszugeben. Dort holte sie, wer Lust hatte. Vor der Bank stand eine kupferne Schüssel für Almosen.

Das Geschöpf, das auf diesem Brette am Morgen des Quasimodo 1467 lag, schien in hohem Grade die Neugier einer ziemlich beträchtlichen Gruppe zu erregen, die sich um dieses hölzerne Lager gesammelt hatte. Hauptsächlich bestand sie aus Personen des schönen Geschlechts, und zumeist aus alten Weibern. In der ersten Reihe bemerkte man an denen, die sich am meisten verbeugten, ein graues Kleid, ähnlich dem Chorrock und erriet daran leicht, daß sie zu einer frommen Gemeinschaft gehörten.

„Was ist das, Schwester?“ sprach die eine, indem sie das kleine Wesen beschaute, das, durch so viele Blicke erschreckt, sich auf dem Brett wand. – „Was soll aus uns werden“, sagte eine andere, „wenn man die Kinder jetzt so macht?“ – „Ich bin in Kindern unbewandert; es muß aber eine Sünde sein, dies zu betrachten.“ – „Es ist kein Kind.“ – „Es ist ein halber Affe.“ – „Es ist ein Wunder“, meinte Henriette la Gaultière. – „Dann ist es das dritte“, bemerkte Agnes, „nach dem Sonntag Lätare; denn erst vor acht Tagen geschah das Wunder, daß der Spötter über die Pilger von unsrer Frau bestraft ward, und das war schon das zweite Wunder im Monat.“ – „Dies Findelkind ist wahrhaftig ein verabscheuungswürdiges Ungeheuer.“ – „Es kreischt, daß man taub werden möchte!“ – „Ich glaube, es ist ein Tier, das Kind eines Juden und eines Zuchtschweins, etwas Unchristliches, das man ersäufen oder verbrennen muß.“ – „Ich hoffe, daß es niemand wird annehmen wollen.“

Wirklich war das kleine Geschöpf, das schon mindestens vier Jahre zählte, ein Ungeheuer an Häßlichkeit.