Eine Musik von hohen und tiefen Instrumenten ließ sich aus dem Innern des Gerüstes vernehmen, vier buntscheckig geputzte und geschminkte Gestalten traten hervor, klommen die steile Leiter hinan und stellten sich, als sie oben das Gerüst betreten hatten, vor dem Publikum, das sie mit tiefer Verbeugung grüßten, in einer Reihe auf. Das Mysterium begann.
Die vier Personen, nachdem sie für ihre Verbeugungen reichliche Bezahlung in Beifallklatschen erlangt hatten, begannen unter andächtigem Schweigen einen Prolog, mit dem wir den Leser gern verschonen. Übrigens beschäftigte sich das Publikum, wie dies heutzutage noch oft zu geschehen pflegt, mehr mit dem Anzug als mit der Rolle des Schauspielers; und in Wahrheit, dies war gerecht. Alle trugen halb weiß, halb gelbe Kleider, die sich nur durch den Stoff unterschieden. Der Rock des ersten war von Silber- und Gold-Brokat, der des zweiten von Seide, der des dritten von wollenem Tuch, der des vierten von Leinwand. Der erste Schauspieler hielt in der rechten Hand ein Schwert, der zweite ein Paar goldner Schlüssel, der dritte eine Wage, der vierte einen Spaten. Um auch den trägeren Auffassungsgaben, welche diese Attribute nicht gleich deuten könnten, zu Hilfe zu kommen, konnte man in großen, schwarzen und gestickten Buchstaben lesen, am Saume des Brokatkleides: Ich heiße Adel, am Saume des seidenen Rockes: Ich heiße Geistlichkeit, am Saume des wollenen: Ich heiße Kaufmannsstand, und am Saume des leinenen: Ich heiße Bauernstand. Das Geschlecht der beiden männlichen Allegorien war dem Scharfblick des Zuschauers durch kürzere Röcke und ein Barett angedeutet, während die beiden weiblichen Allegorien ein längeres Kleid und eine Haube auf dem Kopfe trugen.
Nur Böswillige konnten aus der Poesie des Prologs nicht entnehmen, daß Ackerbau an Handelsstand, Adel an Geistlichkeit vermählt war, daß beide glückliche Paare einen schönen Delphin von Gold gemeinschaftlich besaßen, den sie nur der Schönsten zusprechen wollten. Sie durchwandelten die Welt und suchten die Schönheit, und als sie nacheinander die Königin von Golconda, die Prinzessin von Trebisund, die Tochter des Groß-Khans der Tartarei verschmäht hatten, waren Bauernstand und Geistlichkeit, Adel und Kaufmannsstand nach Paris gekommen, ruhten aus auf der Marmortafel des Justizpalastes, und gaben dem ehrenwerten Publikum so viel schöne Sprüche und Sentenzen zum Besten, als man damals nur bei irgendeinem Examen, eine Disputation oder einer Feierlichkeit der Fakultät der Künste, wo die Magister und Baccalaurei zu Doktoren wurden, nur immer vorbringen konnte.
Alles war auch wirklich sehr schön. Aber es gab im ganzen Gedränge, über das die vier Allegorien ihre Flut von Metaphern wetteifernd hingossen, kein aufmerksameres Ohr, kein heftiger klopfendes Herz, kein heller blitzendes Auge, keinen weiter vorgestreckten Hals, als das Auge, Ohr, Herz und Hals des Dichters, jenes rechtschaffenen Peter Gringoire, der einen Augenblick vorher der Freude, seinen Namen den beiden hübschen Mädchen zu nennen, nicht hatte widerstehen können. Er war einige Schritte zurück hinter den Pfeiler getreten, dort sah, hörte und genoß er sein Werk in vollen Zügen. Das wohlwollende Klatschen, womit sein Prolog begrüßt war, durchzuckte noch immer seine Nerven, und er war in jene Art entzückter Selbstbetrachtung versunken, womit ein Schriftsteller zu horchen pflegt, wie alle seine Gedanken, einer nach dem andern, aus dem Munde des Schauspieles in das schweigende Publikum fallen. Oh du würdiger Mann, Peter Gringoire!
Es tut uns sehr leid, berichten zu müssen, jenes erste Entzücken ward sehr bald gestört. Kaum hatte Gringoire seine Lippen an den berauschenden Becher der Freude und des Triumphes gesetzt, als ein Tropfen Bitterkeit sich in den Trank mischte. Ein zerlumpter Bettler, der, in der Masse verloren, keine Einnahme hatte halten können und ohne Zweifel keine hinreichende Entschädigung in der Tasche seiner Nachbarn fand, war auf den Einfall gekommen, sich auf irgendeinen hervorragenden Punkt zu setzen, um Blicke und Almosen auf sich hinzulenken; deshalb war er mit Hilfe der Pfeiler der hinteren Erhöhung bis zum Karnies hinaufgeklettert, das das Geländer am unteren Teil umzog; dort saß er und nahm die Aufmerksamkeit und das Mitleid der Menge mit seinen Lumpen und einem scheußlichen Geschwür in Anspruch, das seinen rechten Arm bedeckte. Übrigens sagte er kein Wort.
Sein Schweigen ließ den Prolog ohne Hindernis seinen Fortgang nehmen, und es wäre keine unangenehme Störung dazwischengekommen, hätte es ein unglückliches Verhängnis nicht gewollt, daß der Student Johannes von der Höhe seines Pfeilers herab den Bettler mit seiner Ziererei bemerkte. Der junge Spaßvogel brach in schallendes Gelächter aus und rief, ohne sich um die Unterbrechung des Schauspiels und der allgemein gespannten Aufmerksamkeit zu kümmern, spöttisch aus: „Seht da den Krüppel von Bettler!“
Jeder, der einen Stein in einen Sumpf voller Frösche warf oder ein Gewehr in einen Vogelschwarm abschoß, kann sich einen Begriff von der Wirkung machen, die diese Worte brachten. Gringoire wurde wie durch einen elektrischen Schlag geschüttelt. Der Prolog ward abgebrochen; alle Köpfe wandten sich unruhig auf den Bettler, der, weit davon entfernt, sich aus der Fassung bringen zu lassen, in jenem Vorfall nur eine Veranlassung zu reichlicher Ernte sah und mit halbgeschlossenen Augen und kläglicher Stimme die Worte sprach: „Habt Erbarmen!“
„Bei meiner Seele“, erwiderte Johannes, „es ist Clopin Trouillefou. Holla, Freund! Dein Geschwür war dir am Bein unbequem; du hast es auf den Arm gelegt!“
Nach diesen Worten warf er mit der Geschmeidigkeit eines Affen einen kleinen Groschen in den schmierigen Filz, den der Bettler mit seinem kranken Arme hinhielt. Der Bettler empfing gleichgültig das Almosen wie den Spott und fuhr mit kläglicher Stimme fort: „Habt Erbarmen!“
Dieses Zwischenspiel hatte die Aufmerksamkeit der Zuhörer beträchtlich vom Stücke abgelenkt. Viele Zuschauer, Robin Poussepain und alle Gerichtsschreiber klatschten dem sonderbaren Zwiegespräch lauten Beifall, das mitten im Prolog der Student mit seiner kreischenden Stimme und der Bettler mit seinem einförmigen Geplärr soeben zum besten gaben. Gringoire war darüber sehr verdrießlich. Wie er sich vom ersten Erstaunen erholt hatte, ermannte er sich und rief den vier Personen auf der Bühne zu: „Fahrt fort! Zum Teufel! Fahrt fort!“ Die beiden Unterbrecher würdigte er nicht einmal eines verächtlichen Blickes.
In dem Augenblick fühlte er, wie man ihn an dem Zipfel seines Überrocks zupfte. Es war der schöne Arm der Gisquette, der durch das Gitter gedrungen war und auf diese Weise seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
„Herr“, sagte das Mädchen, „spielen jene weiter?“
„Gewiß“, erwiderte Gringoire, über die Frage etwas betroffen.
„In dem Fall, Herr“, fuhr sie fort, „haben Sie die Güte, mir zu erläutern …“
„Was sie sagen werden?“ unterbrach sie Gringoire. „Sehr gern; hört!“
„Nein, was sie bis jetzt gesagt haben.“
Gringoire tat einen Satz zurück, wie ein Mann, den man an einer Wunde empfindlich berührt hat.
„Der Teufel hole das dumme Mädchen!“ brummte er zwischen den Zähnen. Von dem Augenblick an hatte Gisquette bei ihm verspielt.
Unterdes hatten die Schauspieler seiner Ermahnung gehorcht, und das Publikum schickte sich wieder zum Hören an, als es bemerkte, sie setzten sich wieder in Bereitschaft zu deklamieren. Viele Schönheiten gingen ihm zwar bei der Lötung verloren, womit jene die beiden Teile des also gröblich durchgeschnittenen Stückes wieder zusammenbrachten. Gringoire hegte auch diesen bitteren Gedanken. Die Ruhe stellte sich aber allmählich wieder her; der Student schwieg, der Bettler zählte einiges Geld in seinem Hute, und das Schauspiel erhielt wieder die Oberhand.
Es war wirklich ein schönes Werk, und man könnte, wie es scheint, vermittels einiger Veränderungen noch jetzt damit Erfolg haben.
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