Die Einleitung, ein wenig gedehnt und leer, das heißt hinsichtlich der Regeln, war einfach und Gringoire bewunderte ihre Klarheit vor dem aufrichtigen Heiligtum seines inneren Richterstuhls. Wie man sich denken kann, waren die vier Personen von ihrer Reise durch die vier Erdteile, auf der sie keine Gelegenheit fanden, sich ihren goldenen Delphin auf gute Manier vom Halse zu schaffen, ein wenig müde. Damit war denn ein Lob des wunderbaren Fisches und tausend zarte Anspielungen auf den jungen Bräutigam der Margarete von Flandern verbunden, der damals in trauriger Abgeschiedenheit zu Amboise lebte und sich nicht einfallen ließ, daß Bauernstand und Geistlichkeit, Adel und Kaufmannsstand um seinetwillen eine Reise um die Welt gemacht hatten. Genannter Delphin also war jung, schön, stark und vor allem der Sohn des Löwen von Frankreich, ein herrlicher Vorsprung aller königlichen Tugenden! Ich gestehe, diese kühne Metapher ist bewunderungswürdig, und die Naturgeschichte des Theaters wird an einem Tage der Allegorie und der königlichen Hochzeitsfeier auf keine Weise von einem Delphin, Sohn des Löwen, sich abschrecken lassen. Das ist eben das seltene und Pindarische Gemisch, das den Enthusiasmus beweist. Dennoch, um auch der Kritik ihren Teil zu lassen, hätte der Dichter diese schöne Idee in weniger als zweihundert Versen entwickeln können. Aber das Mysterium sollte von zwölf Uhr mittags bis vier Uhr nachmittags, nach dem Befehle des Herrn Prévot, dauern, und es mußte also doch etwas gesagt werden. Übrigens hörte man mit aller Geduld zu.
Plötzlich öffnete sich, mitten in einem Streite zwischen Madame Kaufmannsstand und Madame Adel, als Meister Bauernstand den wunderbaren Vers sprach:
Nie sah man in dem Wald ein mut’ger Tier, die Tür nach der unbesetzten Galerie, die bis dahin auf so ungeziemende Weise geschlossen blieb, auf eine noch bei weitem mehr ungeziemende Art, und die laute Stimme des Türhüters rief: „Seine Eminenz der Kardinal von Bourbon!“
3. Der Herr Kardinal
Armer Gringoire! Der Lärm aller doppelten Petarden am St. Johannistage, die Salve von zwanzig Hakenbüchsen, das Auffliegen des Pulvermagazins am Tore du Temple hätte ihm nicht so schmerzhaft die Ohren verletzt, als in diesem feierlichen und dramatischen Augenblick die wenigen Worte im Mundes des Torhüters: „Seine Eminenz der Kardinal von Bourbon!“
Peter Gringoire freilich hegte weder Furcht noch Verachtung gegen den Kardinal. Er besaß weder jene Schwäche, noch diese Frechheit. Ein wahrer Eklektiker, wie man gegenwärtig sagen würde, gehörte er zu den erhabenen und festen Geistern, die immer fest, ruhig und gemäßigt, stets in der Mitte bleiben und von Vernunft und liberaler Philosophie übersprudeln, aber zugleich die Kardinäle auch hoch zu achten wissen. Ein treffliches und nie unterbrochenes Geschlecht von Philosophen, denen die Weisheit gleich einer zweiten Ariadne ein Knäuel gab, das sie seit Anfang der Welt im Labyrinth der menschlichen Dinge entwickeln, findet man sie in allen Zeiten als dieselben, das heißt mit einigen Veränderungen nach den Zeitverhältnissen wieder.
In dem unangenehmen Eindruck, den des Kardinals Gegenwart bei Peter Gringoire erweckte, lag also weder Haß noch Verachtung; allein der Dichter fürchtete eine abermalige Störung des Stückes. Seine Besorgnis ward nur zu bald verwirklicht. Das Erscheinen Seiner Eminenz brachte das Publikum in Aufruhr. Alle Köpfe wandten sich zur Galerie. Keiner wollte weiter hören. „Der Kardinal! Der Kardinal!“ ertönte es aus jedem Munde; der unglücklich Prolog ward zum zweiten Male unterbrochen.
Der Kardinal verweilte einen Augenblick auf der Schwelle der Galerie. Während er seinen ziemlich gleichgültigen Blick auf das Publikum warf, verdoppelte sich der Lärm. Jeder wollte ihn besser sehen; es schien, jeder wollte seinen eigenen Kopf auf die Schultern seines Vordermannes stellen. Er war auch wirklich ein hoher Herr, und sein Anblick mußte wohl jedes andere Schauspiel aufwiegen. Karl, Kardinal von Bourbon, Erzherzog und Graf von Lyon, Primas von Gallien, war durch seinen Bruder Pierre, Herrn von Beaujeu, der die älteste Tochter des Königs geheiratet hatte, und seine Mutter Agnes von Burgund zugleich mit Ludwig XI. und mit Karl dem Kühnen verwandt. Der vorherrschende Charakterzug dieses Primas war der Sinn eines Höflings und Ergebenheit gegen die Gewalt. Man mache sich deshalb eine Vorstellung von den zahllosen Verlegenheiten, die ihn diese doppelte Verwandtschaft schuf, und von den zeitlichen Klippen, zwischen denen seine gleistliche Barke lavieren mußte, um weder an Ludwig, noch an Karl zu scheitern, jener Szylla und Charybdis, die den Herzog von Nemours und den Connetable von Saint-Pol bereits verschlungen hatte. Dem Himmel sei Dank, er hatte die gefährliche Fahrt glücklich vollbracht und war ohne Hindernis nach Rom gelangt. Allein ob auch im Hafen, erinnerte er sich eben, weil er im Hafen war, nie ohne Unruhe der Gefahren seines so lange unruhigen und mühsamen politischen Lebens.
Übrigens war er ein gutmütiger Mann; er führte das Leben eines lustigen Kardinals, erheiterte sich gern mit dem königlichen Gewächs von Challoan, gab hübschen Mädchen weit lieber Almosen als alten Weibern, und war deshalb beim Pariser Volke sehr beliebt. Wenn er ausging, umgab ihn stets ein kleiner Hof von Bischöfen und Äbten aus hohem Stamm, mit munterm und galantem Sinn, die im Notfall auch ein gutes Mahl nicht verschmähten; mehr als einmal nahmen die trefflichen und andächtigen Frauen von St. Germain d’Auxerre gar großes Ärgernis, wenn sie des Abends bei den erleuchteten Fenstern des Palais Bourbon vorüberwandelten und von denselben Stimmen, die ihnen die Vesper gesungen hatten, beim Gläserklang die bacchischen Worte Benedikts XII. vernahmen: „Bibamus papaliter.“
Ohne Zweifel bewahrte ihn diese durch so gerechte Ansprüche erworbene Volkstümlichkeit vor jedem üblen Empfang der Menge, die den Augenblick vorher noch so unzufrieden und zur Achtung gegen einen Kardinal um so weniger gestimmt war, da sie an demselben Tage sich einen Papst wählen wollte.
1 comment