Jedoch hegen die Pariser keinen langen Groll; außerdem hatten die guten Bürger über den Kardinal dadurch gesiegt, daß sie das Stück zur Aufführung brachten, und mit diesem Triumph waren sie zufrieden. Außerdem war der Herr Kardinal ein schöner Mann; er trug ein prächtiges rotes Kleid und nahm sich sehr gut darin aus; das heißt, er hatte alle Frauen für sich, folglich die bessere Hälfte des Publikums. Gewiß wäre es ungerecht und ein Zeichen von schlechtem Geschmack, einen Kardinal auszupfeifen, weil er im Schauspiele auf sich hatte warten lassen, wenn er ein schöner Mann war und sein rotes Kleid geschmackvoll trug.

Er trat also ein, grüßte die Versammlung mit jenem Lächeln der Großen für ihr Volk, das jene seit undenklichen Zeiten für die Menge voneinander geerbt haben. Langsamen Schrittes ging er auf seinen Sessel von Scharlachsamt zu und schien seinen Mienen nach an ganz andere Dinge zu denken. Sein Gefolge, das wir gegenwärtig seinen Generalstab von Bischöfen und Äbten nennen würden, brach in die Galerie, nicht ohne Verdoppelung des Lärms und der Neugier des Parterres, ein. Alle suchten sie sich einander zu zeigen und zu nennen. Keiner sparte Verachtung und Schimpfwörter. Die Studenten fluchten. Es war ihr Tag; der Tag der Narrheit, der jährlichen Saturnalien und Orgien der Parlamentsschreiber und Studenten. Jede Schändlichkeit war an diesem Tage geheiligt und erlaubt. Jeder hatte sich einen der neuen Ankömmlinge der Galerie zur Zielscheibe genommen, einen schwarzen, grauen, weißen oder violetten Chorrock. Johannes Frollo von Molendino hatte, als Bruder des Archidiakons, sich keck einen roten auserkoren und sang kreischend mit frechen Blicken auf den Kardinal: „Cappa repleta mero!“

Alle diese Einzelheiten, die wir hier zur Erbauung des Lesers genau berichten, wurden so sehr von dem allgemeinen Lärm verschlungen, daß sie in ihm untergingen, bevor sie zur Galerie gelangten. Übrigens hätte der Kardinal sich darum nicht gekümmert; denn die Freiheit dieses Tages lag in den Sitten. Übrigens bekümmerte ihn auch eine andere Sorge, und seine Mienen zeigten durchaus, wie sehr er davon eingenommen war, nämlich die Gesandtschaft von Flandern, die fast zugleich mit ihm die Galerie betrat. Er war zwar kein großer Politiker und überrechnete auch nicht die möglichen Folgen der Heirat seiner Kusine Madame Margarete von Burgund mit dem Dauphin von Vienne; auch nicht, wie lange das zusammengeleimte Einverständnis zwischen dem Herzog von Österreich und dem König von Frankreich währen würde; auch die sehr geehrte Gesandtschaft des Herrn Herzogs von Österreich machte dem Kardinal keine Sorgen, aber sie war ihm in jeder Hinsicht lästig. Es war in der Tat ein wenig hart, daß er, Karl von Bourbon, unbekannte Bürgersleute wohl empfangen und bewirten mußte; er, ein Kardinal, keine höheren Personen als Schöffen, er, ein Franzose und munterer Gesellschafter, Flamländer und Biertrinker, die sich ihres Gerstensafts nicht einmal öffentlich schämten. Dies war gewiß eine der langweiligsten Fratzen, die er zum Vergnügen des Königs schneiden mußte.

Er wandte sich mit genau berechneter Grazie (denn er hatte lange darauf studiert) zur Tür, als der Türhüter in lautem Baß hineinrief: „Die Herren Abgesandten des Herrn Herzogs von Österreich!“

Hierauf traten mit einem Ernst, der dem munteren geistlichen Gefolge des Kardinals in grellem Kontrast stand, die achtundvierzig Gesandten Maximilians von Österreich paarweise ein. An ihrer Spitze wandelten der ehrwürdige Vater in Gott, Jehan, Abt von Saint-Bertin, Kanzler des goldenen Vlieses, und Jacques de Goy, Herr Dauby, Hochamtmann von Gent. In der Versammlung herrschte eine von unterdrücktem Lachen begleitete Stille, um alle die sonderbar klingenden Namen und bürgerlichen Würden zu vernehmen, die jeglicher dieser Personen in unerschütterlicher Ruhe dem Türhüter mitteilte, der sie dann verstümmelt durcheinander ins Publikum hineinwarf. Es waren Meister Loys Roelof, Schöffe der Stadt Löwen; Herr Paul von Baeust, Herr von Voirmizelle, Präsident von Flandern; Meister Jehan Coleghens, Bürgermeister von Antwerpen; Meister Georg de la Moere, erster Schöffe der Kuen der Stadt Gent; Meister Gheldorf van der Haye, ein anderer Schöffe der genannten Stadt usw., Amtsleute, Schöffen, Bürgermeister; Bürgermeister, Schöffen, Amtsleute; sämtlich steif, schwerfällig, geputzt mit Samt und Damast, gehüllt in schwarzseidene Oberkleider mit dicken goldenen Quasten, übrigens gutmütige flamländische Köpfe, würdige und strenge Gestalten. Einer war jedoch davon ausgenommen. Seine Gesichtszüge waren fein, listig, klug, sein Mund zur Hälfte der eines Affen, zur andern Hälfte der eines Diplomaten. Der Kardinal ging ihm mit drei Schritten und einer tiefen Verbeugung entgegen, und dennoch hieß er nur Wilhelm Rym, Rat und Pensionär der Stadt Gent.

Wenige Personen wußten, was er war. Ein seltener Geist, wäre er in den Zeiten einer Revolution im Strome vorangeschwommen; allein im fünfzehnten Jahrhundert ward er auf schleichende Intrigen und auf ein Leben in den Minen beschränkt, wie der Herzog von St. Simon sagt. Übrigens wußte der erste Minierer Europas ihn nach Verdienst zu schätzen. Rym intrigierte mit Ludwig XI. auf vertrautem Fuße und steckte oft seine Hand in die geheimen Arbeiten des Königs. Allein alle diese Dinge waren der Volksmenge unbekannt, die über die Höflichkeit des Kardinals gegen diese schmächtige Gestalt erstaunte.

4. Meister Jakob Coppenole

Während der Ratsherr von Gent und die Eminenz beide eine tiefe Verbeugung austauschten und mit leiser Stimme einige Worte wechselten, erschien ein Mann von hohem Wuchs, mit breiten Schultern und großem Gesicht zugleich neben Rym, um einzutreten; er glich einem Bullenbeißer neben einem Fuchs.