Sein Mund stand ganz weit offen, und Schreie stieß er aus, die man kaum hörte, nicht etwa weil sie von dem allgemeinen heftigen Getöse übertäubt wurden, sondern weil seine Stimme ohne Zweifel die Grenze der vernehmbaren hohen Töne, die zwölftausend Schwingungen Sauveurs oder die achttausend Biots, erreicht hatte.

Was Gringoire betrifft, so hatte er wieder Fassung bekommen, nachdem der erste Augenblick der Bestürzung vorüber war. Er hatte dem Mißgeschick Trotz geboten. »Fahret fort!« hatte er zum dritten Male seinen Sprechmaschinen, den Schauspielern, zugerufen; dann vor der Marmorplatte in großen Schritten auf-und abgehend, kam er auf den Einfall, in der Luke der Kapelle sich auch zeigen zu wollen, wäre es auch nur des Vergnügens halber, diesem undankbaren Volke Grimassen zu schneiden. »Aber nein! das wäre unserer nicht würdig; keine Rache! Kämpfen laßt uns bis ans Ende,« wiederholte er sich; »groß ist die Macht der Poesie über das Volk. Ich werde sie zurückbringen. Wir wollen sehen, wer den Sieg davontragen soll, ob Fratzen, oder ob die schönen Künste.« Wehe! er war der einzige Zuschauer seines Stückes geblieben.

Es war noch schlimmer als vorhin. Er sah jetzt nur die Hintertheile der Leute. Doch nein! Der dicke geduldige Mann, den er schon einmal im kritischen Augenblicke um Rath gefragt hatte, war dem Theater zugewandt stehen geblieben. Gisquette und Liénarde aber waren schon längst davongelaufen.

Gringoire wurde von der Treue seines einzigen Zuschauers im tiefsten Herzen gerührt. Er näherte sich ihm, sprach zu ihm, indem er ihn sanft am Arme schüttelte; denn der gute Mann hatte sich an das Geländer gestützt und schlief ein wenig.

»Herr,« sagte Gringoire, »ich danke Euch vielmahls!«

»Herr,« erwiderte der dicke Mann mit einem Gähnen, »wofür?«

»Ich sehe, was Euch langweilt,« entgegnete der Dichter, »es ist dieser ganze Lärm, der Euch hindert, nach Belieben zuzuhören. Aber seid ruhig: Euer Name wird der Nachwelt überliefert werden. Euer Name, wenn ich bitten darf?«

»Renauld Château, Siegelbewahrer des Gerichtshofes von Paris, zu dienen.«

»Herr, Ihr seid hier der einzige Vertreter der Musen,« sagte Gringoire.

»Ihr seid zu gütig, Herr,« antwortete der Siegelbewahrer des Gerichtshofes.

»Ihr seid der einzige,« entgegnete Gringoire, »der das Stück anständig angehört hat. Wie findet Ihr es?«

»Ei! nun!« antwortete der dicke Beamte noch halb im Schlafe, »gewiß recht lustig.«

Gringoire mußte sich mit diesem Lobe begnügen; denn ein donnerndes Beifallklatschen mit ungeheuerem Jubelgeschrei schnitt ihre Unterhaltung plötzlich ab. Der Narrenpapst war erwählt.

»Hurrah! Juchhe! Hurrah!« schrie das Volk von allen Seiten.

Es war in der That eine wunderbare Fratze, die soeben im Loche der Rosette erglänzte. Nach alle den fünf- und sechseckigen und unregelmäßigen Gesichtern, welche nach und nach in jenem Guckloche erschienen waren, ohne das Ideal des Häßlichen, das sich in den erhitzten Köpfen gebildet hatte, zu verwirklichen, bedurfte es nichts Geringeren, als der grandiosen Fratze, welche soeben die Versammlung berückt hatte und die Stimmen erhielt. Meister Coppenole selbst klatschte Beifall; und Clopin Trouillefou, welcher als Mitbewerber aufgetreten war (Gott weiß, welchen Grad der Häßlichkeit sein Gesicht erreichen konnte), erklärte sich für besiegt. Wir wollen dasselbe thun. Versuchen wollen wir aber nicht, dem Leser einen Begriff zu geben von dieser vierkantigen Nase, diesem hufeisenartigen Maule, von diesem kleinen, hinter roth-borstiger Augenbraue versteckten linken Auge, während das rechte ganz unter einer ungeheuern Warze verschwand, von diesen unregelmäßigen, hier und da abgebrochenen Zähnen, Schießscharten einer Festung vergleichbar, von dieser schwulstigen Lippe, über welche einer dieser Zähne, wie ein Elephantenstoßzahn herausfuhr, von diesem gespaltenen Kinn und dem Gesichtsausdruck, der unter alledem verborgen lag, von dieser Mischung von Bosheit, Stumpfsinn und Trübsinn. Wer es kann, vergegenwärtige sich dieses Ganze!

Das Beifallsgeschrei war einstimmig; man stürzte auf die Kapelle los. Im Triumphe wurde der glückliche Narrenpapst herausgebracht. Aber Ueberraschung und Bewunderung stiegen jetzt auf den höchsten Gipfel: die Grimasse war sein wirkliches Gesicht.

Oder besser: seine ganze Person war eine Grimasse. Ein dicker Kopf, der von rothen Haaren starrte; zwischen beiden Schultern ein ungeheurer Buckel, dessen Gegenstück man vorn sehen konnte; Schenkel und Beine in so widernatürlicher Stellung, daß sie sich nur an den Knien berührten, und von vorn gesehen zwei Sichelbogen glichen, die am Griff verbunden waren; mächtige Füße, ungeheure Hände, und bei all dieser Mißgestaltung ein schrecklicher Anstrich von Stärke, Gewandtheit und Muth: eine sonderbare Ausnahme von der ewigen Regel, nach welcher Kraft wie Schönheit aus der Harmonie entspringt. So war der Papst, den sich die Narren soeben gewählt hatten. Man hätte ihn für einen zerbrochenen und schlecht zusammengefügten Riesen halten mögen.

Als dieses Stück Cyklop auf der Schwelle der Kapelle erschien, unbeweglich, untersetzt, fast ebenso breit wie hoch, »ein viereckiges Ganze«, wie ein großer Mann sagt, erkannte ihn die Bevölkerung sofort an seinem halb rothen, halb schwarzen, mit silbernen Thürmen übersäeten Rocke, vor allem an der vollendeten Häßlichkeit, und rief einstimmig:

»Das ist Quasimodo, der Glöckner! Das ist Quasimodo, der Bucklige von Notre-Dame! Quasimodo, der Einäugige! Quasimodo, das Krummbein! Hurrah! Juchhe!«

Man sieht, der arme Teufel konnte sich Spitznamen wählen.

»Nehmt die schwangern Weiber in Acht!« schrien die Studenten.

»Oder die es gern werden wollen,« fuhr Johannes fort.

Die Frauen verhüllten in der That das Gesicht.

»O! der häßliche Affe!« sagte eine.

»So boshaft, wie häßlich,« fuhr eine andere fort.

»Das ist der Teufel,« setzte eine dritte hinzu.

»Ich habe das Unglück, neben Notre-Dame zu wohnen; des Nachts höre ich ihn in der Dachrinne umherlaufen.«

»Mit den Katzen.«

»Er ist immer auf unsern Dächern.«

»Er wirft uns verzauberte Dinge durch die Schornsteine herab.«

»Neulich Abend machte er mir eine Grimasse in mein Dachfenster. Ich glaubte, es wäre ein Mensch. Ich hatte Furcht.«

»Ich bin überzeugt, er geht auf den Hexensabbath. Einmal hat er einen Besen auf meinem Dache liegen lassen.«

»O! das häßliche Gesicht des Buckligen.«

»O! die gemeine Seele!«

»Buha!«

Die Männer im Gegentheil waren entzückt und klatschten Beifall.

Quasimodo, der Gegenstand des Tumultes, stand immer noch an der Thür der Kapelle, finster und ernst, und ließ sich bewundern.

Ein Student (Robin Poussepain, glaube ich, war es) stand ein wenig zu nahe und lachte ihm ins Gesicht. Quasimodo ließ sich genügen, ihn am Gürtel zu packen und zehn Schritte weit mitten durch die Menge zu werfen – und alles das, ohne ein Wort zu sagen.

Meister Coppenole näherte sich ihm erstaunt:

»Kreuz Gottes! Heiliger Vater! du hast ja die schönste Häßlichkeit, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Der Papstwürde wärest du in Rom wie in Paris werth.«

Während dieser Worte legte er ihm lustig die Hand auf die Schulter. Quasimodo rührte sich nicht.