Coppenole fuhr fort:

»Du bist ein Kerl, mit dem ich Lust habe, eins zu trinken, sollte es mir auch zwölf neue Tournosen kosten.«

Quasimodo antwortete nicht.

»Kreuz Gottes!« rief der Strumpfwirker, »bist du taub?«

Er war es allerdings.

Indessen fing er an, über Coppenole's Benehmen ungeduldig zu werden, und wandte sich plötzlich mit einem so fürchterlichen Zähnefletschen nach ihm hin, daß der flamländische Riese wie ein Bulldogge vor einer Katze zurückfuhr.

Nun entstand um die seltsame Person vor Schrecken und Ehrfurcht ein Umkreis, der mindestens fünfzehn Fuß im Halbmesser hatte.

Eine alte Frau setzte dem Meister Coppenole auseinander, daß Quasimodo taub wäre.

»Taub!?« sagte der Strumpfwirker mit seinem lauten flamländischen Lachen. »Kreuz Gottes! das ist ein vollkommener Papst!«

»Ei, ich erkenne ihn!« rief Johann, der schließlich von seinem Säulenknaufe heruntergestiegen war, um Quasimodo in der Nähe zu sehen, »es ist der Glockenläuter meines Bruders, des Archidiakonus. Guten Tag, Quasimodo!«

»Teufelskerl!« sagte Robert Poussepain, der von seinem Falle noch ganz zerquetscht war. »Er ist offenbar ein Buckliger; geht er, so habt ihr ein Krummbein; sieht er euch an, da hat er nur ein Auge; sprecht ihr mit ihm, da ist er taub. Nun wohlan, was macht er denn mit seiner Zunge, dieser Polyphem?«

»Wenn er will, kann er sprechen,« sagte die Alte; »er ist durchs Läuten taub geworden. Stumm ist er nicht.«

»Das fehlt ihm noch,« bemerkte Johann.

»Und er hat ein Auge zu viel,« fügte Robin Poussepain hinzu.

»Ganz und gar nicht,« sagte Johann verständig; »ein Einäugiger ist doch weit unvollkommener, als ein Blinder; er weiß, was ihm fehlt.«

Unterdessen hatten alle Bettler, alle Bedienten, alle Beutelschneider, im Verein mit den Studenten, feierlich aus dem Schranke der Gerichtsschreibergilde die pappene Tiara und das Spottkleid des Narrenpapstes herbeigeholt. Quasimodo ließ sich damit bekleiden, ohne eine Miene zu verziehen, ja mit einer Art stolzer Bereitwilligkeit. Dann ließ man ihn auf einem buntgeschmückten Tragsessel niedersitzen. Zwölf Beamte der Narrenbrüderschaft hoben ihn auf ihre Schultern, und eine Art herber und verachtender Freude strahlte auf dem mürrischen Gesichte des Cyklopen, als er unter seinen mißgestalteten Füßen alle diese Köpfe schöner, gesunder und wohlgestalteter Menschen sah. Dann setzte sich der heulende und zerlumpte Zug in Bewegung, um, dem Herkommen gemäß, den Umzug in den innern Galerien des Palastes auszuführen, ehe er seinen Marsch durch die Straßen und Gassen begann.

 

6. Die Esmeralda.

 

Wir sind froh, unsern Lesern melden zu können, daß während dieser ganzen Scene Gringoire und sein Stück Stand gehalten hatte. Seine Schauspieler hatten, von ihm gedrängt, nicht aufgehört, sein Stück zu declamiren, und er hatte nicht unterlassen, zuzuhören. Er hatte sich dem Getöse gefügt und war entschlossen, bis ans Ende auszuharren, weil er an einer Rückkehr der Aufmerksamkeit seitens des Publikums nicht verzweifelte. Dieser Hoffnungsschimmer wurde noch mehr belebt, als er Quasimodo, Coppenole und die betäubende Begleitung des Narrenpapstes mit lautem Geräusche den Saal verlassen sah. Die Menge stürzte begierig hinter ihnen her. »Gut,« sagte er sich, »das sind die Störenfriede, die da weggehen.« Unglücklicherweise waren alle die Störenfriede das Publikum. In einem Augenblicke war der große Saal leer.

Die Wahrheit zu sagen, es blieben noch einige Zuschauer zurück, manche zerstreut, andere um die Pfeiler herum gruppirt, Weiber, Greife oder Kinder, welche genug an dem Getöse und Tumulte hatten. Einige Studenten waren im Fenstergesims sitzen geblieben und blickten auf den Platz hinab.

»Nun gut,« dachte Gringoire, »das sind gerade so viel als nöthig, um das Ende meines Stückes anzuhören. Es sind wenige, aber es ist ein gewähltes Publikum, ein gebildetes Publikum.«

Gleich darauf blieb ein Musikchor, welches die größte Wirkung bei der Ankunft der heiligen Jungfrau hätte hervorbringen müssen, aus. Gringoire bemerkte, daß seine Musik vom Zuge des Narrenpapstes fortgerissen worden war. »Nur weiter,« sagte er mit stoischer Ruhe.

Er näherte sich einer Gruppe von Bürgern, welche den Eindruck machten, als unterhielten sie sich von seinem Stücke. Folgendes Bruchstück ihrer Unterhaltung verstand er.

»Ihr kennt, Meister Cheneteau, das Hôtel Navarra, welches dem Herrn von Nemours gehörte?«

»Ja, der Kapelle Braque gerade gegenüber.«

»Nun wohl, der Fiskus hat es kürzlich an Wilhelm Alexander, den Geschichtsmaler, für sechs Livres acht Sols Pariser Münze vermiethet.«

»Wie die Miethen aufschlagen!«

»Wirklich,« sagte sich Gringoire seufzend, »die andern hören zu.«

»Kameraden,« schrie plötzlich einer von den jungen Schelmen in den Fenstern, »die Esmeralda! die Esmeralda ist auf dem Platze!«

Dieses Wort brachte eine zauberhafte Wirkung hervor. Alles, was im Saale zurückgeblieben war, stürzte an die Fenster, stieg auf die Mauern, um hinauszusehen, und wiederholte: »Die Esmeralda! die Esmeralda!« Gleichzeitig hörte man draußen lärmendes Beifallsgeschrei.

»Was will denn das heißen, die Esmeralda?« sagte Gringoire, indem er betrübt die Hände zusammenschlug. »Ach! mein Gott! es scheint, daß jetzt die Fenster an der Reihe sind.«

Er wandte sich nach der Marmorplatte um und sah, daß die Vorstellung unterbrochen war. Es war gerade der Augenblick da, wo Jupiter mit seinem Blitz erscheinen sollte. Doch Jupiter stand unbeweglich unten am Theater.

»Michel Giborne,« schrie der erzürnte Dichter, »was machst du da? Ist das deine Rolle? Steige doch hinauf!«

»Ach!« sagte Jupiter, »ein Student hat soeben die Leiter weggenommen.«

Gringoire sah hin; die Sache war nur zu wahr. Alle Verbindung zwischen Knotung und Entwickelung seines Stückes war abgeschnitten.

»Der Schurke!« murmelte er. »Und warum hat er diese Leiter genommen?«

»Um die Esmeralda zu sehen,« antwortete Jupiter jämmerlich. »Er sagte: ›Halt, da ist eine Leiter, die niemand braucht!‹ – weg war sie.«

Das war der letzte Streich. Gringoire empfing ihn mit Ergebung.

»Hol' euch der Teufel!« sagte er zu den Schauspielern, »und wenn ich bezahlt werde, sollt ihr Geld bekommen.« Dann trat er seinen Rückzug an, mit gesenktem Haupte, aber als der letzte, wie ein Feldherr, der sich tapfer geschlagen hat.

Und als er die gewundenen Treppenstiegen des Palastes hinabstieg, murmelte er zwischen den Zähnen: »Ein schöner Haufen Esel und Tölpel, diese Pariser! Sie kommen ein Schauspiel zu hören, und horchen auf nichts.