Zur einen rechne ich die üppigen Sittenlehrer, deren Seele bloß in ihrem Blute ist; die den wesentlichen Vorzug des Menschen vor dem Tiere mißkennen, und das höchste Gut gefunden zu haben glaubten, wenn sie den Maulwürfen und Meerschweinchen keinen Vorzug eingestehen müßten: zur andern diese gravitätischen Zwitter von Schwärmerei und Heuchelei, welche, unter dem Vorwande die menschliche Natur von ihren Schwachheiten zu befreien, ihre Grundzüge auskratzen, und ihre einfältig schöne Form am einen Orte stümmeln, am andern recken und aufblasen, um eine Mißgeburt aus ihr zu machen, für die man keinen Namen finden kann. Beide sind als Störer der geheiligten Gesetze der Natur, und als Verderber des schönsten unter allen ihren Werken anzusehen; und wenn ihre verderblichen Bemühungen sich mit den natürlichen Folgen und Einflüssen des Luxus bei einem Volke vereinigen, wie und wem sollt es möglich sein dieses Volk zwischen so gefährlichen Klippen unbeschädigt durchzuführen? – Welche von besagten beiden Arten von Vergiftern die schädlichste sei, ist eine Aufgabe, die vielleicht nicht unwürdig wäre, von der Akademie Ihrer Majestät entschieden zu werden. Aber, wenn wahr ist, was man bemerkt haben will, daß sich jene gemeiniglich in diese verwandeln, so könnte man auf den Gedanken kommen, die Denkungsart der letztern aus einem höhern Grade von Verderbnis der Natur zu erklären. Doch, wie dem auch sei, die Frage ist, wie wir diesen schädlichen Geschöpfen ihr Gift benehmen wollen? Ich vermute, daß jene in einem wohl polizierten Arbeitshause, bei mäßiger Kost und einem Spinnrade richtiger philosophieren lernen sollten. Aber was die zweite Gattung betrifft – es sei nun, daß sie es, wie der Derwisch Kuban so weit gebracht haben, ihre fiebrischen Träume für Wahrheit zu halten, oder daß sie nur gewissen Ärzten gleichen, welche die Leute krank machen um sich ihre Heilung als ein Verdienst anrechnen zu können, – so weiß ich der schönen Lili keinen andern Rat zu geben, als diese wackern Leute nach ihren eigenen Grundsätzen zu behandeln. Wir sind aus der Welt ausgegangen, sagen sie: gut, man nehme sie beim Worte! Man messe zu einer jeden Derwischerei und Bonzerei so viel Land, als sie zu ihrem Unterhalte vonnöten haben, ziehe eine hohe Mauer rings umher, und – um der Welt alle Gelegenheit abzuschneiden sie in dem edlen Werke ihrer Entkörperung zu stören –13 maure man alles so gleich und eben zu, daß niemand, wer einmal darin ist, wieder heraus könne: so ist allem Bösen vorgebogen, und jedermann kann zufrieden sein.«
»Weißt du wohl, Danischmend«, sagte der Sultan, »daß ich gute Lust habe, deinen Vorschlag, wenigstens was die Bonzen betrifft, ins Werk zu setzen? Es ist wie du sagst; niemand kann was dagegen einzuwenden haben. Ich selbst und meine Untertanen gewönnen etliche Millionen Taels dabei, die man besser anwenden könnte; und die Bonzen hätten vollkommene Muße, Pagoden zu werden, wie und wenn sie wollten.«
Es war glücklich für die Bonzen, oder vielmehr für den Sultan selbst, daß dergleichen Einfälle bei ihm keine Folgen hatten; denn er würde vermutlich in der Ausführung einige Schwierigkeiten gefunden haben.
7.
Um die gewöhnliche Zeit fuhr die Sultanin Nurmahal in ihrer Erzählung der Geschichte von Scheschian also fort:
»Da die schöne Lili nicht so glücklich war den weisen Danischmend zum Ratgeber zu haben; so erfolgte nach und nach, was die Mißvergnügten und Milzsüchtigen von den Folgen ihrer schimmerden Regierung geweissagt hatten; und die Gegner des Luxus hatten nun den Triumph, sich in ihren schallreichen Deklamationen auf die Erfahrung berufen zu können. Indessen wurde doch das Übel erst unter der folgenden Regierung sichtbar, welche überhaupt eine der merkwürdigsten ist, die wir aus den Jahrbüchern von Scheschian kennen lernen, weil sie ein erstaunliches Beispiel abgibt, wie viel Böses unter einem gutherzigen Fürsten geschehen kann.
Azor, ein Sohn der schönen Lili, bestieg nach dem Tode seines namenlosen Vaters den Thron unter den glücklichsten Vorbedeutungen. Er war der schönste junge Prinz seiner Zeiten, einnehmend in seinem Bezeigen, sanft von Gemütsart, geneigt Vergnügen zu machen, und sich denjenigen völlig zu überlassen, welche die Werkzeuge des seinigen waren. Das Volk, gewohnt von allem nach dem Eindrucke der auf seine Sinne gemacht wird, zu urteilen, erwartete von der Regierung eines so guten Prinzen goldne Zeiten, und hatte unrecht; es betete ihn zum voraus deswegen an, und hatte unrecht; es hassete und verachtete ihn zwanzig Jahre hernach eben so unmäßig als es ihn geliebt hatte, und hatte sehr unrecht.«
»Sie erregen meine Neugier«, sagte der Sultan: »lassen Sie hören, warum die Scheschianer immer unrecht hatten; unrecht wenn sie ihren König liebten, und unrecht wenn sie ihn haßten; aber vergessen Sie nicht, daß ich kein Liebhaber von Wortspielen bin.«
»Die Neugier Ihrer Majestät soll befriediget werden«, versetzte Nurmahal, »wenn ich anders meine Geschichte lebhaft genug werde erzählen können, um Ihre Aufmerksamkeit zu unterhalten.«
»Ich danke für das Kompliment, das Sie der Gründlichkeit meines Geistes machen«, sagte der Sultan: »aber zur Sache!«
»Der junge Azor war wie die meisten Menschen (Prinzen oder nicht) mit einer Anlage geboren, aus welcher, unter den bildenden Händen eines Weisen, ein vortrefflicher Privatmann, und vielleicht sogar ein guter König hätte hervorkommen mögen. Freilich war er keiner von diesen mächtigen und seltnen Geistern, die sich selbst bilden; die mitten unter einer rohen oder verderbten Nation, in einem unglücklichen Zeitalter, ohne einen andern Anführer oder Gehülfen als ihren eigenen Genius, die Wege der Unsterblichkeit gehen, durch die natürliche Erhabenheit und Scharfsicht ihres Geistes den ganzen Umkreis der menschlichen Angelegenheiten übersehen, und, kurz, die großen Grundregeln einer weisen Regierung in ihrem eigenen Verstande, so wie in ihrem Herzen das Urbild jeder königlichen Tugend finden.« »Allergnädigster Herr«, sagte Danischmend, »ich bitte um Vergebung; aber es ist mir unmöglich, die schöne Nurmahal nicht zu unterbrechen. Der Verfasser, aus dem sie diese prächtige Periode entlehnt hat, glaubte vermutlich etwas sehr Schönes gesagt zu haben; aber es ist bloßer Schall. Es gibt keine so wundervolle Menschen als er uns bereden will; und Prinzen sind, bei allen ihren Vorteilen vor uns andern, im Grunde doch, wie man sagen möchte, nur eine Art von – Menschen. Um der menschlichen Natur und dem guten Sultan Azor das gebührende Recht angedeihen zu lassen, wollen wir lieber ohne alle Wörterpracht heraus sagen: Er befand sich nicht in den glücklichen Umständen, welche sich vereinigen müssen, um aus einem jungen Prinzen von der besten Anlage einen vortrefflichen Fürsten zu bilden. So war es in der Tat; und ich bin erbötig im Notfall gegen die ganze Akademie von Dely zu behaupten: Daß von Erschaffung der Welt an (welches schon lange sein mag) kein einziger großer Mann gelebt hat, der sich ohne Anführer, ohne Beispiele, und ohne Gehülfen, bloß durch die Stärke seines eigenen Genius gebildet hätte.«
»Ich danke dem Philosophen Danischmend im Namen aller Sultanen, meiner guten Brüder, für eine so tröstliche Anmerkung«, sagte der Sultan lächelnd. »Allen den Schmeichlern, die mir tausendmal das Gegenteil gesagt haben, zu Trotz, glaube ich, daß er recht hat; und wenn ich nicht besorgte mir einige schale Komplimente zuzuziehen, so wollt ich noch hinzu setzen, daß ich sehr daran zweifle, ob jemals einer von uns nur halb so gut gewesen ist, als er unter günstigern Umständen hätte sein können.«
Es schwebte dem naseweisen Danischmend auf der Zunge, zu sagen: oder nur halb so gut, als er unter den Umständen sein konnte, worin er sich wirklich befand. Aber zu seinem Glücke besann er sich noch, »daß die Wahrheit, die man einem Großen sagt, niemals beleidigen soll«, und daß es wirklich sehr edel an dem Sultan war, aus eigener Bewegung so viel einzugestehen, als er schon eingestanden hatte. Er begnügte sich also der schönen Nurmahal die preiswürdige Demut seines Herren rühmen zu helfen; und die Sultanin setzte die Erzählung also fort.
»Die Erziehung des Prinzen Azor war mehr vernachlässiget worden, als man es von den Einsichten der schönen Lili, seiner Mutter, hätte erwarten sollen. Diese Dame hatte in der Wahl desjenigen, dem sie den vornehmsten Teil seiner Bildung anvertraute, einen kleinen Trugschluß gemacht, der für ihren Sohn, und für die Völker, deren Schicksal einst von seiner Art zu denken abhangen sollte, von großen Folgen war. Sie glaubte, ein Mann, der die Gabe hatte ihr besser als irgend ein anderer die Zeit zu vertreiben, und der überdies die niedlichsten kleinen Verse machte, müsse notwendig auch die Gabe haben einen König zu bilden. Der Prinz bekam also einen schönen Geist zum Hofmeister, der nichts vergaß um seinen Witz zu schärfen und seinen Geschmack zu verfeinern. Azor lernte die Schönheiten der Dichter empfinden, Szenen aus Tragödien deklamieren, den gemeinsten Dingen sinnreiche Wendungen geben, und zwanzig andre solche Künste, welche zur Auszierung gehören, und ihren Wert haben, wenn sie der Schmuck wesentlicher Vollkommenheiten sind. Der Prinz stellte sich auf die edelste und angenehmste Art in einer Gesellschaft dar, er sagte witzige und verbindliche Sachen, er kleidete sich mit dem besten Geschmack, und urteilte besser als jemand von allem was in dem Gebiete des Schönen liegt. Er blies die Flöte, malte ganz artig, und tanzte zum Bezaubern. Seine Feinde (denn bei aller seiner Liebenswürdigkeit fehlte es ihm nicht an Feinden) sagten ihm sogar nach, daß er in der Schwärmerei seiner ersten Leidenschaft für eine Dame des Hofes – Verse gemacht habe; Verse, welche ihm die Ungelegenheit zugezogen hätten, von den Poeten seiner Zeit einhellig zu ihrem Schutzgott erwählt, und im Eingang ihrer Gedichte oder in schallreichen Zueignungsschriften mit hungriger Beredsamkeit um seinen mächtigen Beistand und – eine Mittagsmahlzeit angerufen zu werden.
Eh ich weiter fortgehe, Sire, muß ich eines Umstandes erwähnen, der in verschiedene Teile der Geschichte von Scheschian einigen Einfluß hat, und einen Zweig der Sitten betrifft, worin die Bewohner dieses Landes von den meisten Völkern in Asien unterschieden sind. Das weibliche Geschlecht genoß bei ihnen von alten Zeiten her aller der Freiheit, in deren Besitz es bei den abendländischen Völkern ist; und unter der Sultanin Lili, welche sich eine Angelegenheit daraus gemacht hatte, die schönsten und vollkommensten Personen ihres Geschlechtes aus dem ganzen Scheschian um sich her zu versammeln, war der Hof, aus einer finstern Werkstätte der öffentlichen Geschäfte, ein Schauplatz der angenehmsten Bezauberungen der Liebe und des Vergnügens geworden.
Es konnte dem jungen Prinzen nicht fehlen, in dieser Schule gar bald zu demjenigen ausgebildet zu werden, was die Damen seines Hofes einen liebenswürdigen Mann nannten. Sie beeiferten sich in die Wette, das Werk seiner Erziehung zur Vollkommenheit zu bringen; und es ist zu vermuten, daß ihre Absichten dabei nicht so ganz uneigennützig waren als sie sich das Ansehen gaben. Azor befand sich eben in der Verlegenheit, sein Herz unter so vielen reizvollen Gegenständen eine Wahl treffen zu lassen; als ihm der Tod des Königs seines Vaters eine Krone aufsetzte, von deren Wert er ziemlich romantische Begriffe haben mußte, weil sie (wie er zu einer jungen Schönen seines Hofes zu sagen beliebte) nur in so fern einigen Preis in seinen Augen habe, als er sie, zugleich mit seinem Herzen, zu den Füßen dieser kleinen Zaubrerin legen könne. Man kann aus dieser Probe sicher schließen, wie gut er in den Pflichten, die mit dieser Krone verbunden waren, müsse unterrichtet gewesen sein.
In der Tat waren diese Pflichten für Personen, welche einen so angenehmen Gebrauch von ihrem Leben zu machen wußten, als man es an dem Hofe zu Scheschian gewohnt war, allzu beschwerlich, als daß nicht ein jedes, das man damit beladen wollte, geeilet haben sollte, sich einer so mühsamen Bürde so bald nur immer möglich wieder auf die Schultern einer andern Person zu entledigen. Der junge König überließ den größten Teil davon seiner Mutter; seine Mutter ihrem Günstlinge; der Günstling seinem ersten Sekretär; der erste Sekretär seiner Mätresse; die Mätresse einem Bonzen, welcher, unter dem Vorwand an ihrer Seele zu arbeiten, Gelegenheit fand sich sehr tief in die Angelegenheiten der Welt zu mischen, und endlich eine große Rolle zu spielen, ohne einen andern Beruf dazu zu haben, als einen lächerlichen Ehrgeiz, und die Neigung zum Ränkeschmieden, die damals ein unterscheidendes Merkmal der Personen seines Standes in Scheschian war.
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