Der Aberglaube, auf den ihr vormaliges Ansehen gegründet war, setzt eine gewisse Verfinsterung der Seele als eine notwendige Bedingung voraus, und nimmt also in der nämlichen Gradation ab, in welcher die Aufklärung eines Volkes zunimmt. Witz, Geschmack, Geselligkeit, Verfeinerung der Empfindung und der Sitten, sind seine natürlichen Feinde; ihre gegenseitige Antipathie ist unversöhnlich; und entweder gelingt es ihm sie zu unterdrücken, oder sie unterdrücken ihn. Die Bonzen von Scheschian sahen sich dem letztern Falle so nah, daß sie endlich, wie es scheint, an der Erhaltung ihres vormaligen Systems zu verzweifeln anfingen. Ein jeder war nun bloß darauf bedacht, anstatt für die gemeine Sache, für sich selbst zu arbeiten, und von seinen eigenen Talenten, körperlichen oder geistigen, so viel Vorteil zu ziehen, als er Gelegenheit dazu hatte.

In dieser Lage befanden sich die Sachen, als im zehnten Jahre der Regierung Azors ein Ya-faou, der sich durch seine Bemühungen um die scheschianischen Altertümer hervor getan hatte, mit einer Entdeckung auftrat, welche so wenig sie auch beim ersten Anblicke zu bedeuten schien, durch ihre Folgen das ganze Reich in Verwirrung setzte. Er hatte nämlich gefunden, oder glaubte gefunden zu haben, daß der Name des großen Affen auf den ältesten Denkmälern der Nation niemals Tsai-Faou (wie er seit einigen Jahrhunderten geschrieben und ausgesprochen wurde), sondern allezeit Tsao-Faou geschrieben sei. Da nun Tsai in der scheschianischen Sprache allezeit feuerfarben, Tsao hingegen, vermöge eines mit großer Gelehrsamkeit von ihm geführten Beweises, von jeher blau bedeutet hatte: so ergab sich der Schluß von selbst, daß der Name des blauen Affen eigentlich der wahre, uralte und charakteristische Name der Schutzgottheit ihres Landes sei.

Gorgorix (so nannte sich der Ya-faou), welcher, nach Art aller Altertumsforscher, eine ungemessene Freude über diesen Fund hatte, der ihm Gelegenheit gab, Dissertationen zu schreiben, worin er seinen in vielen Jahren mühsam gesammelten Vorrat von Kollektaneen, Lesarten, Verbesserungen, Ergänzungen, Mutmaßungen, Zeitrechnungen, etymologischen Untersuchungen, und dergleichen, anbringen konnte, – glaubte sich nicht genug beschleunigen zu können, der Welt eine so wichtige Entdeckung mitzuteilen. Wirklich hatten ihn die Untersuchungen, die er bei dieser Gelegenheit anstellen mußte, auf die Spur so vieler andrer antiquarischer und grammatischer Entdeckungen gebracht, und eine jede derselben hatte ihm zu so vielen gelehrten und äußerst interessanten Digressionen Anlaß gegeben, daß, ungeachtet des Titels seines Buchs, dasjenige was darin den blauen und feuerfarbnen Affen betraf, kaum den zwanzigsten Teil davon ausmachte. Seine Absicht scheint anfangs nichts weniger gewesen zu sein, als Neuerungen in der Religion seines Landes anzuspinnen; und vielleicht würde die Sache ohne Folgen geblieben sein, wenn seine Schüler und Freunde weniger eifrig gewesen wären, die Entdeckungen des großen Gorgorix (wie sie ihn nannten) in allen Zeitungen und Journalen von Scheschian als Dinge von der verdienstlichsten Wichtigkeit anzupreisen. Durch die unbescheidenen Bemühungen dieser Leute geschah es denn, daß sein Buch endlich die öffentliche Aufmerksamkeit rege machte. Verschiedene Bonzen, welche den Ruhm des großen Gorgorix mit scheelen Augen ansahen, traten mit kritischen Beleuchtungen seines Buches hervor, worin es ihnen nicht sowohl darum zu tun war, zu ergründen, ob Gorgorix recht oder unrecht habe, als der Welt zu zeigen, daß sie zum wenigsten einen eben so großen Vorrat von Kollektaneen besäßen, und noch scharfsinnigere und gelehrtere Ergänzungen, Verbesserungen, Mutmaßungen, Zeitrechnungen und Wortableitungen zu machen wüßten als Gorgorix. Bald gesellten sich auch einige Ya-faou zu ihnen, welche die Entdeckung dieses Antiquars aus einem ganz andern Gesichtspunkt ansahen, und über die Gottlosigkeit und Gefährlichkeit dieser Neuerung ein mächtiges Geschrei erhoben. Da es weder diesen noch jenen an Freunden mangelte, die aus mancherlei Ursachen und Absichten öffentlich ihre Partei ergriffen, so wurde der Streit immer hitziger und allgemeiner. Die Liebe zum Neuen zog den größten Teil der jungen Bonzen und Ya-faou auf die Seite des blauen Affen, und Gorgorix sah sich in kurzem an der Spitze eines ansehnlichen Teils der Nation.

Nun bekam er Mut, dasjenige, was er anfangs in einem bescheidenen und problematischen Tone vorgebracht hatte, mit dem herrischen Anstand eines gelehrten Diktators vorzutragen, und allen, welche die Bündigkeit seiner Beweise nicht so einleuchtend fanden als er selbst, mit einer Verachtung zu begegnen, die seinen Gegnern unerträglich war. ›Man muß entweder ein Dummkopf sein‹, sagte er, ›wenn man die Wahrheit meiner Entdeckungen nicht einsehen kann, oder sehr boshaft, wenn man sie nicht sehen will.‹ Diese unter den Gelehrten zu Scheschian sehr gewöhnliche Art zu disputieren, hatte auch hier ihre gewöhnliche Wirkung. Die Gemüter der Streitenden wurden immer mehr erbittert; die Streitfragen selbst vermehrten sich täglich durch die Wut einander nichts einzugestehen; und eine Menge von Leuten erklärte sich mit der größten Hitze für die eine oder die andere Partei, ohne untersucht zu haben wer recht habe, oder zu einer solchen Untersuchung geschickt zu sein.

Unvermerkt verwandelte sich diese Fehde aus einem Wortkrieg in einen weit aussehenden Religionsstreit, und jede Partei wandte alles an, sich zu vergrößern: als Kalaf, ein junger Bonze, welcher Mittel gefunden hatte sich bei Hofe in einiges Ansehen zu setzen, das bisher noch zweifelhafte Übergewicht durch seinen Beitritt auf die Seite des Gorgorix zog. Nicht, als ob er sich im geringsten für die Sache selbst interessiert hätte; denn er hatte sich nie die Mühe genommen, das Buch dieses Ya-faou zu lesen, und niemand in der Welt bekümmerte sich weniger als er, ob der große Affe blau, grün oder pomeranzengelb sei. Aber Kalaf war ehrgeizig; er hatte ein Auge auf die Würde eines Oberbonzen der Hauptstadt Scheschian, welche in kurzem ledig werden mußte, und der blaue Affe konnte ihm zu einem Vorhaben beförderlich sein, wozu er sich in dem ordentlichen Laufe der Dinge wenig Hoffnung zu machen hatte. Sein gutes Glück hatte ihn zu dem Amte erhoben, eine persische Tänzerin, deren rühmliche Fesseln der Vertraute des ersten Günstlings der Sultanin Lili trug, von der Religion der Gebern, worin sie erzogen war, zu der scheschianischen, für welche ihr Liebhaber sich ungemein beeiferte, zu bekehren. Da die Tänzerin große Ansprüche an Witz machte, so war dies eben kein leichter Auftrag. Allein Kalaf war ein liebenswürdiger Mann, wenigstens in den Augen einer Tänzerin; er fand Mittel sich vor allen Dingen ihres Herzens zu bemeistern, nicht zweifelnd, wenn er einmal dieses gewonnen hätte, würde sich ihr Kopf nicht lange gegen seine Gründe halten können. Er wußte ihrer Eitelkeit so gut zu schonen, und die Augenblicke, welche seiner Unternehmung am günstigsten waren, so geschickt zu wählen, daß die Tänzerin endlich gestehen mußte, daß er sie überzeugt habe: aber sie erklärte sich zu gleicher Zeit, wenn sie ja genötiget würde sich den großen Mithras unter dem Bilde eines Affen vorzustellen, so sollte es doch schlechterdings kein andrer als ein blauer sein; denn blau war ihre Lieblingsfarbe. Kalaf, zu klug, durch eine unzeitige Unbiegsamkeit in einem Punkte, woran ihm so wenig gelegen war, sich der Frucht so vieler mühsamen Nachtwachen zu berauben, und scharfsichtig genug, um beim ersten Blicke zu sehen was man aus einer Sache machen kann, versicherte sie, daß er selbst immer geneigt gewesen sei sich für den blauen Affen zu erklären, und daß er itzt um so eifriger für ihn arbeiten würde, da er das günstige Vorurteil seiner schönen Neubekehrten für nichts Geringeres als die Wirkung eines übernatürlichen Einflusses halten könne. Von dieser Stunde an hatte Gorgorix keinen stärkeren Verfechter als den Bonzen Kalaf. Der Vertraute des Günstlings, welcher es unmöglich fand seiner Tänzerin etwas abzuschlagen, war der erste unter den Hofleulen, der für die neue Meinung gewonnen wurde. Der Vertraute gewann den Günstling, der Günstling die Sultanin, die Sultanin den König ihren Sohn, und das Beispiel des Königs den ganzen Hof.

Die erste große Folge dieses glücklichen Fortgangs war, daß Kalaf bald darauf zur erledigten Würde eines Oberbonzen der Stadt Scheschian befördert wurde.

Huktus, ein Bonze von edler Geburt und großem Ansehen, hatte sich zu dieser Würde die meiste Hoffnung gemacht, und alles angewandt sie zu erlangen. Unter andern Umständen würde Kalaf kein furchtbarer Nebenbuhler für ihn gewesen sein; aber Kalaf hatte sich einen Augenblick zu Nutze gemacht, da die persische Tänzerin alles vermochte. Es ist wahr, es kostete ihm die Mühe, sie zu einer kleinen Gefälligkeit gegen den Günstling der Königin zu überreden; und die ärgerliche Chronik sagte sogar, daß er in seinem eigenen Hause Gelegenheit dazu gemacht habe. Ein Beweggrund dieser Art konnte wohl dem Günstling hinreichend scheinen, Kalaffen, der keine andre als die Verdienste eines geschmeidigen Höflings aufzuweisen hatte, vor dem Bonzen Huktus, für den die Wünsche des ganzen Volkes sprachen, den Vorzug zu geben; nur war er nicht hinlänglich, diesen Vorzug vor den Augen der Nation zu rechtfertigen. Huktus verbarg seinen Unmut unter dem Scheine der vollkommensten Gleichgültigkeit; aber sein Herz kochte Rache. Die Streitigkeiten über Tsai und Tsao, an welchen er bisher aus Klugheit wenig Anteil genommen hatte, schienen ihm Gelegenheit darzubieten, diese Rache unter einem scheinbaren Vorwand auszuüben.