Dieser günstige Umstand machte den Feuerfarbnen Luft, und verhütete den gänzlichen Ausbruch eines allgemeinen Bürgerkrieges. Alabanda hatte zwar große Lust ihren Freunden eine vollständige Rache an den Blauen zu verschaffen; aber Kalafs Anhang war zu groß, und der Ausgang eines Bürgerkrieges zu ungewiß, als daß ein solcher Anschlag bei den Häuptern der Feuerfarbnen selbst Eingang gefunden hätte. Man begnügte sich also auf beiden Seiten einen Vertrag zu Stande zu bringen, wodurch die Sachen in eine Art von Gleichgewicht gesetzt wurden. Indessen zeigte sich in der Folge, daß der Altertumsforscher Gorgorix der Nation durch seine Entdeckung eine Wunde geschlagen hatte, welche zwar zugeschlossen, aber nicht von Grund aus geheilt werden konnte. Das immer währende Gezänke der Bonzen; der Abscheu, welcher natürlicher Weise beide Parteien gegen einander erfüllen mußte, wenn sie dem Gegenstand ihrer Verehrung von der andern Partei mit Verachtung begegnen sahen; die Beeiferung sogar in den gleichgültigsten Dingen sich von einander zu unterscheiden: alles vereinigte sich, die Blauen und Feuerfarbnen mit einem unauslöschlichen Hasse gegen einander zu entzünden; mit einem Hasse, der nicht nur das zarte Gewebe der feinern Bande der Natur zerriß, sondern stark genug war, um von Zeit zu Zeit die gröbern Fesseln der bürgerlichen Verhältnisse zu zerbrechen. Er glich einem schleichenden Gifte, welches die ganze Masse des politischen Körpers ansteckte, und alle andre Gebrechen und Zufälle desselben bösartiger machte, als sie an sich selbst gewesen wären. Bei jeder Veranlassung brach das gärende Übel bald in diesem bald in jenem Teile des Reichs aus: und da der Hof weder mächtig genug war, eine von den Parteien gänzlich zu unterdrücken, noch weise genug, ein genaues Gleichgewicht zwischen ihnen zu erhalten; so drückte und verfolgte immer eine die andre wechselsweise, je nachdem sie in einer Provinz oder bei Hofe selbst die Oberhand hatte; und das Unglück der Nation wurde durch diese neue Klasse von Beschwerden, wie schimärisch auch die erste Quelle derselben war, so vollkommen gemacht, daß die Scheschianer sich endlich zum zweiten Male in der unseligen Lage befanden, das Ende ihres Elendes nur von einer gewaltsamen Staatsveränderung zu erwarten.«
Unter den Anmerkungen, womit der Sultan Gebal diese Erzählung etlichemal unterbrach, hat uns nur Eine wichtig genug geschienen, bemerkt zu werden. Er zweifelt nämlich, wie es möglich gewesen, daß eine Nation, die man uns (wenigstens von den Zeiten des Sultans Ogulan) in einem Zustande von Aufklärung und Verfeinerung vorstellt, dumm genug habe sein können, sich zum Opfer eines so albernen antiquarischen Streites machen zu lassen?
Die Auflösung, welche Danischmend von diesem Problem gibt, verdient wenigstens gehört zu werden. »Es ist wirklich eine klägliche Sache«, spricht er, »Geschöpfe unsrer Gattung ihres besten Vorzugs vor den übrigen Tieren auf eine so demütigende Art beraubt zu sehen. Und gleichwohl habe ich bisher von den Scheschianern nichts gesagt, was nicht, unter gewissen Voraussetzungen, so glaublich wäre als irgend eine andre natürlich Begebenheit. Diese Voraussetzungen sind zum Exempel – daß kein gewöhnlicheres Phänomen in der Welt ist, als Leute mit Vernunft rasen zu sehen; oder auch, zu sehen, daß sie bei tausend Gelegenheiten vernünftig, und in einer einzigen Sache unsinnig sind; – daß man zu allen Zeiten und auf allen Teilen dieses Erdenrundes sehr alberne Meinungen und sehr unsinnige Gebräuche im Schwange gesehen hat; – daß der Aberglaube, wenn er in Zeiten der Unwissenheit und der rohen Einfalt sich des Gehirns eines Volkes bemächtiget und etliche Jahrhunderte Zeit gehabt hat sich fest zu setzen, durch eine stufenweise zunehmende Aufheiterung zwar geschwächt, aber schwerlich anders als nach Verfluß eines langen Zeitraums, und durch eine ununterbrochene Fortdauer der Ursachen welche seinen Untergang befördern, so gänzlich vernichtet werden kann, daß die Überbleibsel davon nicht zuweilen in Gärung geraten, und wunderliche, auch wohl bösartige Zufälle veranlassen sollten. Überdies«, fährt er fort, »würde mir nichts leichter sein, als einen jeden Teil meiner Erzählung durch historische Beispiele dessen, was unter den abgöttischen Völkern des Erdbodens, und zum Teil unter den Moslemim selbst, vorgegangen ist, zu erläutern. Ich sehe nicht, warum die Scheschianer wegen ihrer Verehrung eines feuerfarbnen Affen mehr Vorwürfe verdienen sollten, als die weisen Ägypter wegen der Anbetung des Stiers Apis, und so vieler andrer Tiere, worunter auch Affen und Meerkatzen waren; und der Streit über die Frage, ob der große Affe blau oder feuerfarben sei, scheint mir jenen wohl wert zu sein, den die Stadt Oxyrynchus mit der Stadt Kynopolis, ihrer Nachbarin, über die Gottheit des Anubis und ich weiß nicht was für eines Meerfisches mit spitziger Schnauze, aus dem Geschlechte der Rochen, geführt haben soll, wenn wir einem der weisesten Männer des alten Gräciens glauben dürfen. Dieser Fisch, welcher der Schutzgott der Oxyrynchiten war, wurde von den Kynopoliten als ein bloßer Fisch behandelt, und also ohne Bedenken gegessen. Die Einwohner von Oxyrynchus, die dies natürlicher Weise sehr übel nahmen, glaubten ihren Gott nicht besser rächen zu können, als indem sie an den Hunden, welche zu Kynopolis heilig waren und auf gemeiner Stadt Unkosten unterhalten wurden, das Wiedervergeltungsrecht ausübten. Es entstand darüber ein so blutiger Krieg zwischen diesen beiden ägyptischen Städten, daß die Römer sich endlich genötigt sahen, die Wütenden mit Gewalt aus einander zu reißen.31 Im übrigen läßt sich vermuten, daß der denkende Teil der Nation, das ist (nach der billigsten Berechnung) unter tausend Einer, den ganzen Streit eben so ungereimt gefunden haben werde als wir. Hingegen ist nicht weniger zu glauben, daß die meisten von diesem tausendsten Teile sich darum nicht weniger für einen von beiden Affen interessierten. Es ist mit einem alten Aberglauben eben so wie mit andern alten und unvernünftigen Gewohnheiten beschaffen. Man sieht die Torheit davon ein, man lacht darüber, man beweist sich selbst mit vielen Gründen, daß es Mißbräuche sind: aber gleichwohl beobachtet man sie nicht allein um der alten Gewohnheit willen; sondern man rechnet es noch demjenigen als ein Verbrechen an, der sich die Freiheit nehmen wollte davon abzugeben. Privatvorteile und Leidenschaften können wohl gar die Ursache sein, daß wir solche Mißbräuche, bei der völligsten Überzeugung daß es Mißbräuche sind, mit Eifer und Hitze verfechten. Man unterscheidet in solchen Fällen Theorie und Ausübung. Man behauptet einen nützlichen Mißbrauch, und lacht bei sich selbst der Toren, welche betrogen zu werden verdienen, weil sie betrogen werden wollen.«
Wir schließen diesen Auszug mit den eigenen Worten des weisen Danischmend, und mit einer Betrachtung, die wir von Herzen unterschreiben. »Die Ränke und Kunstgriffe«, spricht er, »welche von beiden Parteien angewandt wurden, einander zu schwächen und zu unterdrücken, – einander wechselsweise das Vertrauen des Königs und das Ruder des Staates aus den Händen zu winden, – oder sich dem Hofe furchtbar zu machen, und allen seinen Unternehmungen, unter dem Vorwande des gemeinen Besten, unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen; – die Künste, welche gebraucht wurden, tausend streitende Privatvorteile mit dem Interesse der Parteien in einen wirklichen oder doch anscheinenden Zusammenhang zu bringen; – der schändliche Mißbrauch, den man zu Beförderung aller dieser Absichten mit den ehrwürdigen Namen der Religion, des königlichen Ansehens und des allgemeinen Besten trieb; – die unzähligen Auftritte von Ungerechtigkeit, Betrug, Verräterei, Undankbarkeit, Raubsucht, Giftmischerei, usw. welche unter diesen ehrwürdigen Masken gespielt wurden: alles dies würde überflüssigen Stoff zu einem ungeheuern Geschichtbuche geben, welches zu lesen nur die größten Verbrecher verdammt zu werden verdienen könnten. Unglücklicher Weise ist die Geschichte der polizierten Völker, wenn man ihre Kriege (einen andern Schauplatz von Abscheulichkeiten) abrechnet, beinahe nichts anders als dies. Für einen Menschen, der an den Schicksalen seiner Gattung wahren Anteil nimmt, ist es Pein, bei diesen ekelhaften und grauenvollen Gemälden zu verweilen. Das Herz des Menschenfreundes schaudert vor ihnen zurück. Ängstlich sieht er sich nach Szenen von Unschuld und Ruhe, nach den Hütten der Weisen und Tugendhaften, nach Menschen die dieses Namens würdig sind, um; und wenn er in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechtes nicht findet was ihn befriedigen kann32, flüchtet er lieber in erdichtete Welten, zu schönen Ideen, welche, so wenig auch ihr Urbild unter dem Monde zu suchen sein mag, immer Wirklichkeit genug für sein Herz haben, weil sie ihn (wenigstens so lange bis er durch Bedürfnisse oder unangenehme Gefühle in diese Welt zurück gezogen wird) in einen angenehmen Traum von Glückseligkeit versetzen, – oder, richtiger zu reden, weil sie ihn mit dem innigsten Gefühle durchdringen, daß nur die Augenblicke, worin wir weise und gut sind, nur die Augenblicke, die wir der Ausübung einer edlen Handlung, oder der Betrachtung der Natur und der Erforschung ihres großen Plans, ihrer weisen Gesetze und ihrer wohltätigen Absichten, – oder der Freundschaft und Liebe, und dem weisen Genusse der schuldlosen Freuden des Lebens widmen, – daß nur diese Augenblicke gezählt zu werden verdienen, wenn die Frage ist, wie lange wir gelebt haben.«
Der sinesische Herausgeber dieser wahrhaften Geschichte sagt uns, daß der Sultan über dem letzten Teile der Rede des weisen Danischmend eingeschlafen, und dieser also genötigt worden sei, mit weiterem Moralisieren einzuhalten; ein Umstand, der uns, wie er vermutet, verschiedene schöne Betrachtungen entzogen hat, welche der indostanische Philosoph über diesen Teil der Geschichte von Scheschian noch gemacht haben könnte.
Des folgenden Abends befahl ihm der Sultan, über den Rest der Regierung des unglücklichen Azors so schnell als nur immer möglich sein würde, hinweg zu glitschen. »Es gibt« (sprach er) »gewisse Leute, die gar zu dumm sind, wie sogar mein guter Oheim Schach-Baham irgendwo angemerkt hat; und gewiß ist dieser Azor einer aus dieser Klasse. Man kann nicht bald genug mit ihm fertig sein.«
11.
Danischmend setzte also die Geschichte der Regierung Azors folgender Maßen fort.
»Die kläglichste unter allen den Schwachheiten, welche den Ruhm des guten Königs Azor verdunkeln, war seinem Alter aufbehalten: eine Schwachheit, welche desto verführerischer ist, weil sie einer Tugend ähnlich sieht; desto schädlicher, weil sie Böses aus guter Absicht tut, und desto schwerer zu vermeiden, da selbst der Weiseste aller morgenländischen Könige nicht weise genug war, sich ihrer zu erwehren.«
»Dies nennt man, denke ich, ein Rätsel«, sagte Schach-Gebal.
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