Azor war weder ehrgeizig noch begierig nach dem Eigentum seiner Untertanen, weder launisch, noch hartherzig, noch grausam. Weit entfernt zu verlangen, daß seine unüberlegtesten Einfälle für Gesetze und Göttersprüche gelten sollten, oder, wie viele seines Standes, sich einzubilden, daß Scheschian bloß um seinetwillen aus dem Chaos hervorgegangen sei, und seine Untertanen für eben so viele Sklaven anzusehen, deren Glück oder Unglück, Sein oder Nichtsein, nur in so fern als es sich auf seinen Vorteil beziehe, in Betrachtung komme, – war er der leutseligste, der mitleidigste und wohltätigste Fürst seiner Zeit. Unwissenheit in den Pflichten seines Standes, Unwissenheit in der Kunst zu regieren, wollüstige Trägheit, und allzu großes Vertrauen zu seinen Günstlingen, die er als seine Wohltäter ansah, weil sie ihm die Last der Regierung abnahmen, Fehler der Erziehung, Schwachheiten des Herzens und des Temperaments, nicht Laster waren es, die ihm die Liebe seiner Völker und die Hochachtung der Nachwelt entzogen haben. Seine größten Fehler waren, daß er mit eignen Augen bloß durch fremde sah; daß seine Ohren nur angenehme Dinge hören wollten; daß er nur sprach was man ihm auf die Zunge legte; und, wenn er auch, entweder durch die natürliche Schärfe seines Geistes, oder durch die Bemühungen irgend eines ehrlichen Narren, der seinen Kopf wagte ihm die Augen zu öffnen, zuweilen eine gute Entschließung faßte, – zu viel Mißtrauen gegen seine eigenen Einsichten und zu viel Gefälligkeit für seine Günstlinge hatte, um seiner Entschließung treu zu bleiben. Indessen muß man gestehen, daß auch das Schicksal nicht ohne alle Schuld an den Fehlern seiner Regierung war. Die Gebrechen und Untugenden Azors würden wenig geschadet haben, wenn es lauter weise und tugendhafte Personen um ihn her versammelt hätte. Er würde solche Leute, wenn sie übrigens eben so witzig und unterhaltend gewesen wären als seine Günstlinge, eben so wert gehalten haben, sich ihnen eben so gänzlich überlassen haben, und Scheschian würde glücklich gewesen sein. Aber freilich zeigt uns die Geschichte des ganzen Erdkreises kein einziges Beispiel, daß ein schwacher und untätiger Fürst, durch einen Schlag mit einer Zauberrute, bei seinem Erwachen auf einmal von lauter Walsinghams und Süllys umgeben gewesen wäre, und wir sind wohl nicht berechtigt, ein solches Wunder vom Schicksal zu erwarten.«
Ende des ersten Teils
Zweiter Teil
1.
»Herr Danischmend, ein paar Worte, ehe wir weiter gehen«, sagte der Sultan. »Wenn es ohne der historischen Wahrheit Gewalt anzutun, geschehen könnte, daß du uns auf diesen Azor, der (unter uns!) die Erlaubnis schwach zu sein ein wenig zu sehr mißbraucht, diesen Abend einen guten König gäbest, so würdest du mir keinen kleinen Gefallen erweisen. Ich weiß wohl, die Geschichte soll den Fürsten nicht schmeicheln; und dies aus einem gedoppelten Grunde: erstens, weil es genug ist, daß uns in unserm Leben geschmeichelt wird; und dann, weil die Wahrheit, die man nach unserm Tode von uns sagt, uns nicht mehr schaden, der Welt hingegen nützen kann. Aber ich möchte doch auch nicht, daß es so heraus käme, als ob ich mir alle Abende in meinem Schlafzimmer eine Satire auf die Sultanen von Scheschian machen ließe. Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, ein Mensch sollte nichts, was einen Menschen angeht, für fremd ansehen; und ich sehe nicht ab, warum wir Sultanen uns nicht in dem nämlichen Falle befinden sollten. Mit Einem Worte, ich interessiere mich für die Sache, und dies ist, denke ich, genug.«
»Ihre Hoheit befehlen also daß ich den Sultan Isfandiar überhüpfe?« fragte Danischmend –
»Eine weise Frage!« antwortete Schach-Gebal. »Ich muß doch wohl zuvor wissen, wer Sultan Isfandiar war, eh ich sie beantworten kann!«
»Er war Azors unmittelbarer Nachfolger, sein einziger Sohn von der schönen Alabanda, und einer von den scheschianischen Sultanen, deren Regierung einer förmlichen Satire auf böse Fürsten ähnlich sieht.«
»Er war also noch schlimmer als Azor?«
»Um Vergebung, Sire! Azor war in der Tat kein böser Fürst; er war nur schwach. Isfandiar hingegen« – –
»Gut, gut«, fiel ihm der Sultan ins Wort: »wir wollen immerhin Bekanntschaft mit ihm machen, wenn es auch nur wäre, weil er ein Sohn der schönen Alabanda war, die ich, bei allem Bösen was du uns von ihr sagtest, dennoch sehr liebenswürdig finde. Und aus eben diesem Grunde ersuch ich dich, den armen Isfandiar so leicht davon kommen zu lassen als du immer kannst.«
»Wofern« (sagte Danischmend) »unter dem Worte Satire eine Rede oder Schrift verstanden wird, worin man zur Absicht hat jemanden verhaßt oder lächerlich zu machen: so verhüte der Himmel, daß mir jemals der Gedanke einfalle, eine Satire auf Fürsten zu machen, und wenn es auch nur über den König Tonos Konkoleros, oder einen der alten Pharaonen in Ägypten wäre. Aber unglücklicher Weise hat es unter den Großen zu allen Zeiten einige gegeben, deren Leben eine Satire auf sie selbst war; ich will sagen, die sich durch ihre Torheiten verächtlich und durch den Mißbrauch ihrer Gewalt verhaßt gemacht haben, ohne daß der Biograph, der den Auftrag erhielt ihre Geschichte zu erzählen, die mindeste Schuld an der Sache hatte. Ich besorge, der Sultan Isfandiar war in diesem Falle, und daher« – –
»Immerhin!« rief der Sultan: »das Böse, das du von ihm sagen wirst, bleibt unter uns. Erinnere dich nur, daß ich unnötige Vorreden hasse.«
»Sire« (fing Danischmend an), »Isfandiar war, wie gesagt, Azors und Alabandens einziger Sohn, und der jüngste von verschiedenen, welche seine Sultaninnen ihm geboren hatten. Er wurde, ungeachtet der Entfernung seiner Mutter von dem Herzen des Königes, bei Hof erzogen – wie die scheschianischen Prinzen damals erzogen zu werden pflegten.«
»Dies ist gerade, was wir wissen wollen«, sagte Schach-Gebal.
»Er hatte die geschicktesten Lehrmeister in allen den Wissenschaften und Künsten, welche sich (wie man zu sagen pflegt) für einen Prinzen schicken. Er lernte von der Mathematik so viel, daß er ein Dreieck kunstmäßig von einem Viereck unterscheiden konnte. Er wußte, zum Beweise seiner geographischen Kenntnisse, die Namen aller Flüsse, Seen, Berge, Provinzen und Städte von Scheschian herzusagen; und, um eine Probe seiner Stärke in der Philosophie zu geben, verteidigte er in seinem dreizehnten Jahre öffentlich einen sehr tiefsinnigen Beweis, daß ein Ding – ein Ding ist, und so lang und so fern als es ist was es ist, nicht zugleich etwas andres sein kann als es ist. Sein Lehrer in der Staatswissenschaft hatte nichts Angelegeners, als ihm die ausgebreitetste Kenntnis von dem Umfang und den Rechten der höchsten Gewalt, und von den unzählbaren Mitteln und Wegen, wie man sich mit guter Art des Eigentums seiner Untertanen bemächtigen kann, beizubringen. Hingegen nahm sich sein Lehrer in der Moral sehr in Acht, die Zärtlichkeit seines Ohres durch Erwähnung des unangenehmen Wortes Pflichten zu beleidigen. Er bildete sich ein, es vortrefflich gemacht zu haben, wenn er dem Prinzen, in zierlich gedrehten Perioden oder durch rührend ausgemalte Beispiele, Gerechtigkeit und Wohltätigkeit als die höchsten Tugenden eines Fürsten vorschilderte. Aber der Ton, worin er von diesen Tugenden schwatzte, das unbesonnene und übertriebene Lob, womit er einige Fürsten wegen ziemlich zweideutiger Handlungen dieser Art unter die Götter versetzte, mußte natürlicher Weise eine verkehrte Wirkung bei seinem Untergebenen tun. Der junge Isfandiar machte sich von Gerechtigkeit und Wohltätigkeit einen Begriff, der für das Glück seiner künftigen Untertanen gänzlich verloren ging. Er glaubte, die Ausübung dieser Tugenden hange bloß von seiner Willkür ab; und er mutmaßte auch nicht von ferne, daß sie allein durch ihre unzertrennliche Verbindung zu Tugenden werden, und daß die unermüdete Bestrebung, beide in dem ganzen Umfang des Regentenamtes auszuüben, eine so wesentliche Fürstenpflicht sei, daß derjenige, welcher sie funfzig Jahre lang in der höchsten Vollkommenheit ausgeübt hätte, beim Schlusse seines Lebens kein andres Lob verdient hätte, als das Zeugnis seine Schuldigkeit getan zu haben. Kurz, der höfische Mentor hatte keinen Begriff davon, daß man einem jungen Fürsten die Ausübung aller Tugenden, von welchen das Wohl seiner Untergebenen und die möglichste Vollkommenheit seines Staates abhängt, unter der Gestalt von Verbindlichkeiten vorstellen müsse, deren Forderungen eben so dringend als unverletzlich sind; es sei nun, daß man sie von den Gesetzen des höchsten Wesens, als des Königs über die Könige, oder von einem gesellschaftlichen Vertrag ableite, vermöge dessen derjenige, der die meisten Rechte zu haben scheint, gerade der ist, der die meisten Pflichten hat.«
»Ohne Unterbrechung, Herr Doktor«, sagte der Sultan: »ich sollte doch denken, der Sittenlehrer des jungen Prinzen Isfandiar habe nicht so ganz unrecht gehabt, ihm das, was ihr die Pflichten der Fürsten nennt, unter einer gefälligen Gestalt zu zeigen. Das Wort Pflicht ist ein hartes Wort: es hat für die Untertanen selbst einen widrigen Ton; wie sollten wir andere unsere Ohren daran gewöhnen können? Wir werden die Tugend immer liebenswürdiger finden, wenn unsere Neigung zu ihr freiwillig ist, als wenn sie uns mit Gewalt aufgebürdet wird.«
»Um Vergebung, gnädigster Herr«, erwiderte der freimütige und unhöfische Danischmend.
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