»Es gibt ein weniger gefährliches Mittel uns unsere Pflichten angenehm zu machen. Anstatt uns zur Tugend durch Lobeserhebungen anzuspornen, welche die Ausübung unserer Schuldigkeit zu einem Gegenstande der Ruhmsucht und Eitelkeit machen, würde besser getan sein, uns zu überzeugen, daß die Vollziehung unsrer Pflichten mit den unmittelbarsten und wichtigsten Vorteilen und mit dem reinsten Vergnügen verbunden ist. Immerhin mag auch des Ruhmes, als des natürlichen Begleiters guter Taten, erwähnt werden. Aber zu bedauern ist der Fürst, dessen Herz nicht empfindsam genug ist, das Vertrauen und die Liebe seines Volkes allen Lobgedichten, Ehrendenkmälern, Bildsäulen, Schaumünzen und Inschriften vorzuziehen, womit Dankbarkeit oder Schmeichelei seine Taten verewigen können. Wie wenig wahre Befriedigung können ihm diese geben! denn wie oft sind sie nicht an Tyrannen und namenlose Könige verschwendet worden!«
»Danischmend hat nicht ganz unrecht«, sagte der Sultan, der diesen Abend in der Laune war, seinen Philosophen schwatzen zu hören: »der Moralist des Prinzen Isfandiar war, wie es scheint, ein zu guter Höfling, um ein guter Sittenlehrer zu sein.«
»Gleichwohl« (fuhr Danischmend fort) »war sein Lehrer in der Geschichte noch schlimmer, wiewohl unstreitig der gelehrteste Mann in seiner Art, den man im ganzen Reiche hatte finden können. Die Geschichte war das Lieblingsstudium des Prinzen, und wirklich erwarb er sich eine Fertigkeit darin, womit er bei tausend Gelegenheiten sich und seinem Lehrer Ehre machte. Dieser erhielt zur Belohnung die Stelle eines königlichen Geschichtschreibers mit einer großen Pension. Konnte der gute Sultan Azor sich einfallen lassen, daß der Mann, den er so edel belohnte, die Oberstelle auf einer Ruderbank verdient habe? Und doch war nichts gewisser.
Das Amt eines Lehrers der Geschichte bei einem jungen Fürsten erfodert einen Mann, der mit der wärmsten Rechtschaffenheit einen tief sehenden und viel umfassenden Blick, und das reinste sittliche Gefühl mit der scharfsinnigsten Unterscheidungskraft vereiniget. Keine geringern Eigenschaften setzt die vollkommene Gerechtigkeit voraus, welche er in Zeichnung der Charakter und in Beurteilung der Handlungen, sowohl aus dem sittlichen als politischen Gesichtspunkt, auszuüben hat. Er muß (wenn es mir erlaubt ist, mich durch ein Beispiel verständlicher zu machen) in Alexandern einen dieser außerordentlichen Sterblichen erkennen, welche die Natur zu Ausführung ungewöhnlich großer Dinge gebildet hat; welche, wie die Götter Homers, eine Mittelklasse zwischen Menschen und höhern Wesen ausmachen, und daher in ihren Lastern wie in ihren Tugenden mehr als gewöhnliche Menschen sind. Er muß jedem seiner Vorzüge, jeder seiner Tugenden ihr Recht widerfahren lassen, ohne seiner Laster um jener willen zu schonen, oder die Schönheit von jenen um dieser willen zu mißkennen. Er muß fähig sein, in dem großen Entwurfe dieses wohltätigen Eroberers einen ganz andern Geist zu entdecken, als derjenige war, der die Attilas antrieb den Erdboden zu verheeren. Er muß einem Manne, der zum Beherrscher der Welt geboren war,33 aus der erhabenen Leidenschaft, große Taten zu tun, kein Verbrechen machen; einer Leidenschaft, welche an einem kleineren Geist Ehrgeiz gewesen wäre, aber bei jenem der angeborne Enthusiasmus einer Heldenseele war. Aber weh ihm, wenn er nicht empfindet, daß der Sieg bei Arbela nicht mehr war, als was zwanzig andre griechische Feldherren eben so gut hätten bewerkstelligen können als Alexander; und daß hingegen eine fast übermenschliche Größe der Seele dazu erfodert wurde, den Arzneibecher aus der Hand seines Leibarztes zu nehmen und mit ruhig heiterm Lächeln auszutrinken, während er demselben mit der andern Hand den Brief hinreichte, worin ihm entdeckt wurde, daß dieser Arzt durch Versprechungen, welche einen Heiligen verführen könnten, bestochen sei, ihm Gift zu geben! Weh ihm, wenn er nicht empfindet, daß Alexander, da er lieber brennenden Durst leiden, als etliche seiner Soldaten des Wassers, welches sie ihren schmachtenden Kindern in ihren Helmen zutrugen, berauben wollte, ein größerer Mann war, als da er, von Feldherren und Königen umgeben, zum ersten Mal vom Thronhimmel der persischen Sultanen auf das besiegte Asien herab sah; oder wenn er nicht empfindet, daß der überwundene Darius, in dem Augenblicke, da er, gerührt von dem edlen Betragen seines Siegers gegen seine Gemahlin und Kinder, niemand als Alexandern für würdig erklärte den Thron des Cyrus zu besteigen, – größer als Alexander war; – Alexander hingegen in dem Augenblicke, da er, berauscht von der wollüstigen Pracht der persischen Könige, beim Eintritt in das innere Gezelt des Darius ausrief: Dies nenn ich König sein! von der Hoheit eines Halbgottes zum gemeinen Erdensohn herunter sank!
Weit entfernt von dieser Feinheit und Wärme des sittlichen Gefühls, urteilte der gelehrte Mann, der den jungen Isfandiar durch die Geschichte zu einem Könige bilden sollte, von den Großen und ihren Handlungen nach keiner bessern Regel, als nach dem Schein den sie von sich warfen, und (in allen Fällen, wo er keine besondere Ursache hatte zu loben, was er nach seinen Grundsätzen hätte tadeln müssen) nach den Vorurteilen der übel zusammen hängenden, schwärmerischen, in einigen Stücken überspannten, in andern allzu schlaffen Sittenlehre, an welche er in den Schulen der Bonzen auf eine mechanische Weise angewöhnt worden war. Jeder Eroberer hieß ihm ein Held, jeder freigebige Fürst großmütig, jeder schwache Fürst gut. Vornehmlich machte er sich zur Pflicht, dem Prinzen von den Fürsten seines Stammes immer die vorteilhaftesten Begriffe zu geben, wiewohl es größten Teils auf Unkosten der Wahrheit geschehen mußte. Er malte alles ins Schöne; er vergrößerte ihre guten oder erträglichen Eigenschaften, stellte ihre Laster in den tiefsten Schatten, und entschuldigte durch sophistische Spitzfindigkeiten was sich nicht verbergen ließ. Kurz, er behandelte ihre Geschichte nicht anders, als ob die Begriffe vom Guten und Bösen, sobald sie auf einen Großen angewendet werden, willkürlich würden, oder als ob der königliche Mantel durch eine talismanische Kraft jedes Laster, das er bedeckt, in eine schöne Eigenschaft verwandeln könnte. – ›Man muß gestehen‹ (pflegte er von einem offenbaren Tyrannen, oder von einem in Üppigkeit versunkenen Wollüstling zu sagen), ›daß dieser große Sultan in einigen Handlungen seines Lebens die Strenge, welche durch die Umstände seiner Zeiten notwendig gemacht wurde, etwas weiter getrieben hat als zu wünschen war‹ – oder: ›Es ist nicht zu leugnen, daß seine Neigung zu den Ergetzungen nicht immer in den Schranken der weisesten Mäßigung blieb; aber diese Schwachheiten‹ (setzte er hinzu) ›wurden durch so viele große Eigenschaften vergütet, daß es eben so unbillig als unehrerbietig wäre, sich dabei aufzuhalten.‹
Der junge Prinz hätte nicht so schlau sein müssen als er war, wenn er sich nicht einige kleine Grundsätze hieraus gezogen hätte, welche das wenige Gute, das der Unterricht seines Sittenlehrers in seinem Gemüte übrig gelassen hatte, vollends vernichteten; zum Beispiel: Daß die Laster eines Fürsten ein Gegenstand seien, von welchem man mit Ehrerbietung reden müsse; daß ein Fürst um so weniger vonnöten habe seinen schlimmen Neigungen Gewalt anzutun, weil es immer in seiner Macht stehe, das Böse, das er tut, wieder zu vergüten; daß man es einem Sultan desto höher anrechnen müsse, wenn es ihm gefällt einige gute Eigenschaften zu haben, weil es bloß an ihm lag, ungestraft so schlimm zu sein als er nur gewollt hätte, und dergleichen mehr. Der junge Isfandiar ermangelte nicht, aus diesen und ähnlichen Sätzen, welche aus der verkehrten Weise, wie ihm die Geschichte beigebracht wurde, zu folgen schienen, sich eine geheime Sittenlehre zu seinem eigenen Gebrauch zu bilden, welche desto gefährlicher war, da sein von Natur wenig empfindsames Herz keine Neigungen hatte, welche seinen Launen und Leidenschaften das Gegengewicht hätten halten können.
Ich habe mich, nicht ohne Gefahr dem Sultan meinem Herrn lange Weile zu machen, bei der Erziehung des Prinzen Isfandiar verweilt, weil ich überzeugt bin, daß sie großen Teils an den Torheiten und Lastern schuld ist, welche die Regierung dieses unglücklichen Fürsten auszeichnen.«
»Aber, wenn dies wäre«, sagte Schach-Gebal, »wie viele Königssöhne in der Welt müßten eben so schlimm sein, als dein Isfandiar! Denn ich bin gewiß, daß unter zehen kaum Einer ist, der sich einer bessern Erziehung rühmen kann.«
»Sire« (antwortete Danischmend), »dieses letzte als eine Erfahrungssache vorausgesetzt, ließe sich schließen, die meisten Fürsten würden, durch eine besondere Vorsehung welche für das Beste der Menschheit wacht, mit einer so vortrefflichen Anlage in die Welt geschickt, daß sie alles dessen was die Erziehung an ihnen verderbt ungeachtet, immer noch gut genug blieben, um uns zu zeigen wie vortrefflich sie hätten werden können, wenn der Keim der Vollkommenheit in ihnen entwickelt und zur Reife gebracht worden wäre.«
»Wofern dies nicht etwann Ironie ist«, sagte Schach-Gebal lächelnd, »so bedanke ich mich bei dir im Namen aller, die bei dieser sehr verbindlichen Hypothese etwas zu gewinnen haben.«
»Ich empfinde meine Pflicht zu stark« (erwiderte Danischmend), »um von einer so ernsthaften Sache anders als in vollem Ernste zu reden. Und ich denke, nichts kann dem hohen Begriff, den wir uns von der Güte des unsichtbaren Regierers der Welt zu machen schuldig sind, gemäßer sein, als der Gedanke, daß er (ordentlicher Weise wenigstens) nur die schönsten Seelen zu seinen Unterkönigen in den verschiedenen Teilen des Erdkreises ernenne.«
»Wenn mir erlaubt ist meine Meinung über eine Sache von dieser Wichtigkeit zu sagen«, sprach die schöne Nurmahal, »so denke ich, Danischmend habe niemals etwas Wahrscheinlicheres gesagt. Wäre es nicht so wie er behauptet, so dünkte mich unerklärbar, woher es komme, daß unter zwanzig großen Herren kaum Einer so schlimm ist, als sie alle zwanzig sein sollten, wenn man bedenkt, was die Lebensart, worin sie aufwachsen, die verkehrten Begriffe, welche sie unvermerkt einsaugen, die Mühe, die man sich gibt, durch Schmeichelei, niederträchtige Gefälligkeit und schlaue Verführungskünste ihren Kopf und ihr Herz zu verderben, bei gewöhnlichen Menschen für eine Wirkung tun müßten.«
»Ich zweifle nicht, meine guten Freunde«, sagte der Sultan, »daß alles dies eine abgeredete Schmeichelei ist, die ihr mir sagen wollt. Indessen ist doch wenigstens die Wendung, die ihr dazu genommen habt, zu loben. Aber ich sehe nicht, Danischmend, was der Taugenichts Isfandiar dabei gewinnen kann.«
»In der Tat«, versetzte Danischmend, »es mangelte ihm, wie ich bereits erwähnte, an dem Kostbarsten, was die Natur einem Sterblichen, sie mag ihn zum Pflug oder zu einer Krone bestimmt haben, geben kann, an einer empfindsamen Seele. Diesen Mangel kann auch die vollkommenste Erziehung nicht ganz ersetzen; aber, da sie doch wenigstens etwas tun kann (denn warum sollte sich die Natur nicht eben sowohl verbessern als verschlimmern lassen?), so sind in einem solchen Falle die Leute, deren Amt dies ist, desto größere Verbrecher, wenn sie darin saumselig sind.«
»Vermutlich fehlten sie mehr aus Ungeschicklichkeit als aus Bosheit«, sagte die Sultanin.
»Ich würde selbst nicht strenger von ihnen geurteilt haben«, erwiderte Danischmend, »wenn es weniger gewiß wäre, daß diese Herren (wiewohl sie ihre wahre Absicht unter der gewöhnlichen Phraseologie von Menschenliebe, Patriotismus und Uneigennützigkeit verbargen) insgesamt kein höheres Augenmerk hatten, als ihr Glück zu machen; ein Zweck, den sie am gewissesten zu erhalten glaubten, wenn sie keine Gelegenheit versäumten, sich durch eine wenig bedenkliche Gefälligkeit in das Herz des künftigen Thronerben einzustehlen.
So fehlerhaft indessen die Erziehung dieses Prinzen war, so würde doch der Schade, den sie ihm zufügte, nicht unheilbar gewesen sein, wenn er nicht das Unglück gehabt hätte, einem gewissen Kamfalu in die Hände zu fallen, der ein Bösewicht aus Grundsätzen, aber der angenehmste Bösewicht war, den man jemals gesehen hatte. Ich werde, um dem Charakter dieses Menschen sein gehöriges Licht zu geben, genötiget sein, eine kleine Digression in die Gelehrtengeschichte der damaligen Zeit zu machen.
Es lebte damals ein Schriftsteller, namens Kador, der sich von dem großen Haufen der moralischen Schreiber seiner Zeit durch eine Art von Antipathie gegen alles Aufgedunsene und Gezierte in Empfindungen, Begriffen und Sitten, und überhaupt durch eine merkliche Entfernung von der Kunstsprache sowohl als von den Maximen jenes großen Haufens unterschieden hatte. Es ist natürlich, daß die besagten Schreiber mit diesem Unterschied um so weniger zufrieden waren, weil das Publikum zwischen ihren Schriften und den seinigen noch einen andern Unterschied machte, der ihrer Eitelkeit nicht gleichgültig sein konnte. Man las nämlich seine Werke mit einem Vergnügen, welches immer die Begierde zurück ließ sie wieder zu lesen; da hingegen die ihrigen ordentlicher Weise nur zum Einpacken der seinigen gebraucht wurden. Sie hätten mehr oder weniger als gewöhnliche Menschen sein müssen, wenn sie dieses nicht sehr übel hätten finden sollen. Sie suchten den Grund davon nicht in der schlechten Beschaffenheit der übel zubereiteten und unverdaulichen Nahrung, welche sie dem Geist ihrer Zeitgenossen vorsetzten, sondern (wie natürlich war) in der Verdorbenheit des menschlichen Herzens, welchem Kador, ihrem Vorgeben nach, auf die unerlaubteste Weise schmeichelte.
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