Zu einem so gräßlichen Zustande von Verderbnis hatte das Gift der Grundsätze des sinnreichen Eblis die Scheschianer gebracht; und so gewiß ist es, daß die Menschen, eben so leicht als ein weiser und guter Fürst sie zu guten Geschöpfen bilden kann, sich von einem Isfandiar zu Ungeheuern umgestalten lassen.

Dieser hassenswürdige Tyrann begnügte sich nicht, durch alle Arten von Räuberei und Unterdrückung seine Untertanen so elend zu machen, als es, ohne sie gänzlich und auf einmal aufzureiben, möglich war: er wollte sie auch dahin bringen, daß sie unfähig wären die Tiefe ihres Elendes einzusehen. Wenn er dabei die Absicht gehabt hätte, ihnen das Gefühl desselben zu benehmen, indem er machte daß sie es für ihren natürlichen Zustand hielten, so hätte man es ihm noch für einen Überrest von Menschlichkeit gelten lassen können. Aber Isfandiar würde sehr beschämt gewesen sein, zu dem Verdachte, daß er einer solchen Schwachheit fähig wäre, Anlaß zu geben. Er hatte keine andre Absicht dabei, als es ihnen unmöglich zu machen, auch nur den bloßen Gedanken zu fassen, daß Menschen nicht dazu erschaffen sein könnten, sich von einem Menschen so sehr mißhandeln zu lassen. Zu diesem Ende wurde Sorge getragen alles von ihnen zu entfernen, was ihnen einen gesunden Begriff von der Bestimmung und den Rechten der Menschheit, von dem Zwecke des gesellschaftlichen Vereins, und von dem unverbrüchlichen Vertrage, der dabei zum Grunde liegt, hätte geben können. Jede andre als die Philosophie des Eblis wurde aus Scheschian verbannt. Niemand durfte sich zu einem Schriftsteller aufwerfen, ohne vom Hofe dazu bevollmächtiget zu sein, und seine Schrift der Beurteilung desselben unterworfen zu haben; und ein paar ehrliche Enthusiasten, welche der Anblick ihres Vaterlandes dahin gebracht hatte, in einem Anstoß von Verzweiflung Wahrheiten zu sagen, welche man nur unter guten Fürsten sagen darf, wurden so grausam wegen dieser aufrührerischen Vermessenheit gezüchtiget, daß einem jeden, dem seine Ohren und seine Nase lieber waren als sein Vaterland, die Lust vergehen mußte ihrem Beispiele nachzufolgen.

Inzwischen herrschte am Hofe Isfandiars und unter den verschiednen Klassen und Ordnungen der Werkzeuge seiner Tyrannei eine alle Einbildung übersteigende Üppigkeit. Alle Künste, welche der Wollust dienstbar sind, wurden nach dem Maße ihrer Unnützlichkeit in eben dem Verhältnise hochgeschätzt und aufgemuntert, wie die nützlichern Künste nach dem Grad ihrer Nützlichkeit verachtet, gehemmt und abgeschreckt wurden. Und weil die Bestrebung, dem verzärtelten Geschmack und den stumpfen Sinnen der Großen neue Bequemlichkeiten, neue Ersparungen des kleinsten Aufwands ihrer ausgenutzten Kräfte, neue Mittel ihre schlaffen Nerven reizbar zu machen, anzubieten, beinahe der einzige Weg war, der dem Volke zu Verbesserung seines Zustandes noch offen stand: so wurden täglich neue Künste, oder wenigstens neue Werkzeuge der üppigen Weichlichkeit erfunden; und während daß der Ackerbau im kläglichsten Verfalle lag, stiegen jene zu einem Grade von Vollkommenheit, wovon man in den Zeiten der schönen Lili noch keinen Begriff hatte. Eblis triumphierte bei jeder Gelegenheit über diese herrliche Wirkung seiner Grundsätze. ›Was für Wunderwerke‹, pflegte er zu sagen, ›kann Hunger und Gewinnsucht tun! Ich biete allen Zauberern und Feen Trotz, mit allen ihren Stäben und Talismanen auszurichten, was ich ganz allein durch diese zwei mächtigen Triebräder der menschlichen Natur bewerkstelligen will.‹

In der Tat gewannen die meisten, welche Tag und Nacht für die Üppigkeit des scheschianischen Hofes arbeiten mußten, wenig mehr dabei als den notdürftigsten Unterhalt. Aber auch hier vergaß Eblis seine Grundsätze nicht. Von Zeit zu Zeit erhielt ein Mann von Talenten (wie man diese Leute nannte) eine Belohnung, welche die Begierde der übrigen so heftig anfachte, daß sich Tausende in der Hoffnung eines ähnlichen Glückes zu Tode arbeiteten. Indessen hütete man sich doch sorgfältig, kein Talent zu belohnen, bei welchem es nur im mindesten zweideutig sein konnte, daß es nicht etwann wegen eines Vorzugs in demjenigen, was die eigentliche Vollkommenheit desselben ausmacht, sondern bloß als ein Werkzeug der Üppigkeit Isfandiars und seiner Günstlinge belohnt werde.

Der beliebteste Maler, der Mann dessen Arbeit mit Entzücken angepriesen und mit Golde aufgewogen wurde, war nicht der größte Meister in der Kunst; sondern derjenige, welcher leichtfertige Gegenstände auf die wollüstigste Weise zu behandeln wußte: und eine Sängerin, welche (in der Sprache dieses Hofes zu reden) albern genug war, nur durch die Vollkommenheiten einer schönen Stimme und den Gebrauch derselben zum Ausdruck hoher Empfindungen und tugendhafter Leidenschaften gefallen zu wollen, hatte die Freiheit im Besitz einer frostigen Bewunderung unbedauert zu verhungern; während eine andre, durch die anziehende Kraft ihrer Augen, durch ein gewisses wollüstiges Girren und hinsterbende Töne, üppige Bilder in der Phantasie ihrer Zuhörer rege zu machen, mit einem unendlich kleinern Talent der Abgott der Leute von Geschmack war, und den Aufwand einer Prinzessin machen konnte.

Die Weissagungen der verdrießlichen Alten, welche dem scheschianischen Reiche von der goldnen Zeit der Königin Lili Unglück und Verderben angedrohet hatten, waren nun in ihre vollständigste Erfüllung gegangen. Der kleinste Teil der Nation führte das Eigentum und den Erwerb des größern, gleich einem dem Feind abgejagten Raub, durch die ungeheuerste Verschwendung im Triumph auf. Ein größerer Teil suchte, durch seine Bereitwilligkeit im Dienste der Großen jedes Laster zu begehen, sich ein Recht an das beneidete Glück, den Raub mit ihnen zu teilen, zu erwerben. Aber der größte Teil schmachtete in einem Zustande, den nur die lange Gewohnheit alles zu leiden und die sklavische Mutlosigkeit eines stufenweise zum Vieh herab gewürdigten Volkes, dem Tode vorziehen konnte. Die Verderbnis der Sitten war so groß, daß selbst den wenigen, welche noch einen Überrest von Rechtschaffenheit, wie aus einem allgemeinen Schiffbruche, gerettet hatten, alle Hoffnung verging, dem Strom entgegen zu schwimmen. Alle Stände hatten ihre wahre Bestimmung vergessen, oder waren unfähig gemacht worden sie zu erfüllen. Die niedrigste Klasse hörte auf zu arbeiten; das Land und die Städte wimmelten von ungestümen Bettlern, welche ihren Müßiggang, zur Schande der Regierung, mit dem Mangel der Arbeit entschuldigten. Gleichwohl wurden die fruchtbarsten Provinzen des Reichs aus Mangel an Anbauung nach und nach zu Wildnissen. Die Gewerbe nahmen zusehens ab, der Kreislauf der Lebenssäfte des Staats war allenthalben gehemmt, und die Hauptstadt selbst, die schon so lange der Schlund gewesen war, in welchen alle Reichtümer desselben sich unwiderbringlich verloren hatten, stellte den empörenden Kontrast der äußersten Üppigkeit und des äußersten Elendes in einem Grade, der die Menschheit beleidigte, dar. Eine halbe Million hungernder Menschen schrie den Sultan um Brot an, wenn er sich in einem schimmernden Palankin zu einem seiner Großen tragen ließ, um den Ertrag etlicher Provinzen in einem einzigen abscheulichen Gastmahle verschlingen zu helfen – und der Lärm der Trompeten und Pauken, der dem unglücklichen Volke die grausame Fröhlichkeit seiner Tyrannen ankündigte, machte ihr Murren, ihre Verwünschungen unhörbar. Die Großen, die Günstlinge, Isfandiar selbst, konnten bei aller Bemühung, einander vorsetzlich zu verblenden, sich selbst die schreckliche Wahrheit nicht verbergen, daß sich das Reich seinem Untergang nähere. Auch mangelte es nicht an Vorschlägen und Entwürfen, den schädlichsten Mißbräuchen abzuhelfen, das Finanzwesen zu verbessern, den Untertanen ihre Last zu erleichtern, den Fleiß wieder aufzumuntern, und so ferner. Aber die einzigen von diesen Entwürfen, die der Ausführung wert waren, wurden entweder als patriotische Träume verworfen, oder unter allerlei Vorwänden dem Privatvorteile gewisser Leute aufgeopfert. Einige angebliche Verbesserungen wurden zwar ins Werk gesetzt; aber sie bestanden in bloßen Palliativen, welche die Ausbrüche des Übels eine Zeit lang verbargen, ohne die Wurzel desselben auszurotten. Die mißverstandene Maxime, daß man dem allzu tief eingedrungenen Luxus nicht Einhalt tun könne, ohne die ganze Maschine des Staats in die gefährlichste Stockung zu setzen, war immer die Antwort, womit sich diejenigen abfertigen lassen mußten, welche augenscheinlich bewiesen, daß es lächerlich sei, eine Krankheit, die man vorsetzlich ernährt, durch schmerzlindernde Mittel heilen zu wollen. Doch gesetzt auch, Isfandiar, da ihn endlich die ersten Erschütterungen des Thrones, dessen Grundfeste untergraben war, geneigt machten, zu allen Rettungsmitteln die Hand zu bieten, gesetzt er hätte einen großen, durchdachten, das Ganze umfassenden Entwurf einer allgemeinen Verbesserung unternehmen wollen: so mangelte es ihm an geschickten und redlichen Männern, denen er die Ausführung anvertrauen konnte. Wo hätte er solche Männer suchen sollen? In welcher Schule, durch welche Beispiele hätten sie sollen gebildet werden? Es war schon lange, seit der Geist der Tugend die Scheschianer verlassen hatte.