Der Hagestolz

Der Hagestolz

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Tags: Erzählung

Stifters dreizehnte Erzählung entstand Ende 1844 und wurde erstmals in dem Almanach ›Iris. Taschenbuch für das Jahr 1845‹ abgedruckt. Thema der Geschichte ist die Erkenntnis eines alten einsamen Mannes, dass ein Junggesellen-Dasein nicht erstrebenswert ist. Indem er seinem jungen Neffen seine eigene Liebes- und Lebensgeschichte erzählt, die auch das Geheimnis um dessen Pflegemutter Ludmilla enthüllt, weist er ihn auf eine glücklichere Lebensbahn. Die berühmte Erziehungsnovelle trägt die schmerzlichen Züge der Biographie Stifters, der seine Kinderlosigkeit als dramatische Entbehrung erfahren hat.

Adalbert Stifter

Der Hagestolz

Erzählung

 

1844

 

 

 

 

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt

 

 

epub: 2009 © TUX

 

 

Autor

 

 

Adalbert Stifter wurde am 23.10.1805 in Oberplan (Böhmerwald) geboren. Er kam als Sohn eines Leinewebers und Flachshändlers aus einfachen Verhältnissen. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater, und er wurde von da ab von den Großeltern erzogen. Er besuchte von 1818 bis 1826 das Gymnasium und studierte anschließend bis 1830 in Wien zunächst Jura, dann Naturwissenschaften und Geschichte, machte aber keine Abschlußprüfung.

Stifter wollte gern Landschaftsmaler werden. Den Lebensunterhalt verdiente er sich als Privatlehrer in Wiener Adelshäusern. 1848 zog Stifter nach Linz und lebte dort die letzten Jahrzehnte seines Lebens. In seinen letzten Lebensjahren war er schwerkrank und litt unter Depressionen. Ob er Selbstmord beging, ist nicht sicher nachzuweisen. Er starb am 28.1.1868.

 

1. Gegenbild

 

Auf einem schönen grünen Plaze, der bergan steigt, wo Bäume stehen und Nachtigallen schlagen, gingen mehrere Jünglinge in dem Brausen und Schäumen ihres jungen kaum erst beginnenden Lebens. Eine glänzende Landschaft war rings um sie geworfen. Wolkenschatten flogen, und unten in der Ebene blickten die Thürme und Häuserlasten einer großen Stadt.

Einer von ihnen rief die Worte: »Es ist nun für alle Ewigkeit ganz gewiß, daß ich nie heirathen werde.«

Es war ein schlanker Jüngling mit sanften schmachtenden Augen, der dieses gesagt hatte. Die andern achteten nicht sonderlich darauf, mehrere lachten, knikten Zweige, bewarfen sich und schritten weiter.

»Ha, wer wird denn heirathen,« sagte einer, »die lächerlichen Bande eines Weibes tragen, und wie der Vogel auf den Stangen eines Käfiches sizen?«

»Ja, du Narr, aber tanzen, verliebt sein, sich schämen, roth werden, gelt?« rief ein Dritter, und es erschallte wieder Gelächter.

»Dich nähme ohnehin keine.«

»Dich auch nicht.«

»Was liegt daran?«

Die nächsten Worte waren nicht mehr verständlich. Es kam noch durch die Stämme der Bäume ein lustiges Rufen zurück und dann nichts mehr; denn die Jünglinge gingen bereits auf der schiefen Fläche, die sich von dem Plaze weg zieht, empor und sezten die Gebüsche der Fläche in Bewegung. Rüstig schritten sie in der funkelnden Sonne hinan, rings um sind grünende Zweige, und auf ihren Wangen und in ihren Augen leuchtet die ganze unerschütterliche Zuversicht in die Welt. Um sie herum liegt der Frühling, der eben so unerfahren und zuversichtlich ist, wie sie.

Der Jüngling, aus dessen Munde der Entschluß der Nichtvermählung hervor gegangen war, hatte in der Sache nichts mehr gesprochen und sie war vergessen.

Ein neues Geplauder und ein fröhliches Sprechen tanzte von den beweglichen Zungen. Sie redeten zuerst von allem und oft alle zugleich. Dann reden sie von dem Höchsten, dann von dem Tiefsten und haben beides schnell erschöpft. Dann kommt der Staat. Es wird in ihm die unendlichste Freiheit vorgeschlagen, die größte Gerechtigkeit und unbeschränkteste Duldsamkeit. Wer gegen dieses ist, wird niedergeworfen und besiegt. Der Landesfeind muß zerschmettert werden, und von dem Haupte der Helden leuchtet dann der Ruhm. Während sie so, wie sie meinten, von dem Großen redeten, geschieht um sie her, wie sie ebenfalls meinten, nur das Kleine: es grünen weithin die Büsche, es keimt die brütende Erde und beginnt mit ihren ersten Frühlingsthierchen, wie mit Juwelen zu spielen.

Hierauf singen sie ein Lied, dann jagen sie sich, stoßen sich gegenseitig in den Hohlweg oder ins Gebüsch, schneiden Ruthen und Stäbe, und kommen dabei immer höher auf den Berg und über die Wohnungen der Menschen.

Wir müssen hier bemerken: welch ein räthselhaftes, unbeschreibliches, geheimnißreiches, lokendes Ding ist die Zukunft, wenn wir noch nicht in ihr sind - wie schnell und unbegriffen rauscht sie als Gegenwart davon - und wie klar, verbraucht und wesenlos liegt sie dann als Vergangenheit da! Alle diese Jünglinge stürmen schon in sie hinein, als könnten sie dieselbe gar nicht erwarten. Der eine prahlt mit Dingen und Genüssen, die über seine Jahre gehen, der andere thut langweilig, als hätte er schon alles erschöpft, und der dritte redet Worte, die er bei seinem Vater Männer und Greise hatte reden gehört. Dann haschen sie nach einem vorüberflatternden Schmetterlinge und finden auf dem Wege einen bunten Stein.

Immer höher streben sie hinauf. Oben an dem Waldesrande schauen sie auf die Stadt zurück. Sie sehen allerlei Häuser und Gebäude, und wetten, ob sie es sind oder nicht.