Folge mir bald, Engelländer!«
Nach diesen geflügelten Worten schmiegte Herr Burkhard sich fröstelnd in seinen Pelz und begann, vorsichtig wie er gekommen war, die feuchte Gasse wieder hinanzusteigen.
Hans aber rief den lungernden Knecht herbei und übergab ihm mit den Zügeln seines Gauls allerhand Aufträge und Weisungen an den Wirt und die Stammgäste des Hauses zu den Raben; denn dort sprach der Adel ein und unter ihm hatte der Armbruster viele Kunden und Schuldner.
Dann schnallte er sein Felleisen von dem Rücken des Tieres, nahm das Gepäck unter den Arm und schritt mit Tapp, der sich nie von dem Eigentum seines Herrn trennte, die zum Stifte führende steile Gasse hinauf.
Die Einladung des Chorherrn kam ihm gelegen, denn Hans der Armbruster war ein sparsamer Mann.
II
Der Wintertag blieb so dunkel, daß der schmale Wohnraum des Chorherrn, wo er seinen Gast bewirtete, mehr von der golden flackernden Flamme des Herdes als durch das einzige hoch gelegene Bogenfensterchen erhellt wurde.
Während der Armbruster sein Mahl beendigte, hatte sich Herr Burkhard, der von feiner Körperlichkeit und mäßiger Lebensweise war, schon eine Weile in seinen mit weichen Vliesen überlegten Armstuhl versenkt und die pelzumhüllten Füße dem Feuer zugestreckt. Ein ebenfalls ergreister Schaffner räumte das Tischgeräte weg und stellte eine Kanne kräftigen Landweins mit zwei silbernen Bechern auf das Steinsims des Kamines.
Der Chorherr war offenbar in vergnügter Stimmung. Es ergötzte ihn, an diesem traben Wintertage einen welt- und menschenkundigen, auch weitgewanderten Mann schnellen Geistes in sein Gelaß gelockt zu haben zur Befriedigung einer längst gehegten Neugierde. Das feingeformte Haupt mit seinen wenigen schneeweißen Locken lag auf dem roten Kissen der Lehne, mit geschlossenen Augen, aber dem wachen Ausdrucke des Triumphes über einen gelungenen Anschlag.
Jetzt öffnete er plötzlich einen leuchtenden Blick und sagte: »Gesegnete Mahlzeit, Hans! Wende deinen Stuhl und rücke zu mir. Du fragtest mich, wer der neue, von der Frau am Münster erhöhte, von uns Chorherren aber geschmähte Heilige sei. Über Tisch halte ich es nicht für heilsam, von kirchlichen oder gar himmlischen Dingen zu reden; aber nun bin ich da, um Auskunft zu geben. Der neue, von dem heiligen Vater der Christenheit bescherte Fürsprecher im Himmel hat im selben Jahre mit mir das Licht der Welt erblickt. Schon das spricht gegen ihn. Es gilt von den Heiligen, wie vom Weine: je älter, desto besser und wundertätiger. Wie dieser hier« – er schlürfte aus seinem Becher –, »das Blut unseres Bodens, mit unserem Blute verwandt ist und es seit undenklicher Zeit würzt und stärkt, ähnlich wirken unsere Heiligen St. Felix und Regula, über deren Leibern dieses Stift und diese Stadt erbaut sind. Geschlecht um Geschlecht haben sie als streitbare Nothelfer behütet. Wir sind ihnen und sie uns vertraut und verpflichtet. Mit ihrem Bild und Siegel machen wir, nach dem Vorgange unserer Väter, unser Tun und Lassen gültig. Ich will keine Hoffart damit treiben, daß sie nach ihrer blutigen Marter die abgeschlagenen Häupter urkundlich in den eigenen Händen von der Richtstätte am Limmatufer bis hieher getragen haben, vierzig Schritte bergan, obgleich ihnen das sicherlich keiner der abgeschwächten neuen Heiligen nachtut. Für mich kommt in Betracht, daß St. Felix und Regula ihren Glauben gegen einen heidnischen Kaiser mit ihrem Blute bezeugt und nicht gegen einen christlichen König und Lehensherrn sich überhoben und aufgelehnt haben, wie dieser neue Heilige von meinem Jahrgang.
Solcher gerechten Erwägungen aber sind die Köpfe unserer Frauen vom fürstlichen Stifte nicht fähig! Da mußte ihnen unter andern kostbaren Schriftstücken ein Pergament zukommen, worauf das Leben und die Marter meines Altersgenossen beschrieben und verherrlicht ist. Die heiligen Akten wurden zur Erbauung während der Mahlzeit vorgelesen und von Stund an konnten die Gedanken der edeln Frauen nicht: mehr zur Ruhe kommen. Sie trieben offen und heimlich daran, daß der Tag dieses Märtyrers auch bei uns feierlich begangen werde.
Den Weibern gefällt das Neue und Fremdländische.
Der Rat unserer Stadt war aus genannten Gründen der Sache abhold und hätte sie auch wohl verhalten, wäre den Frauen nicht eine Güte des Himmels zu Hilfe gekommen.
Verwichenen Herbstmonat bei der langen Dürre geriet der Abtei eine Scheune voll Heu neben ihrem großen Gehöde zu Wiedikon in Brand. Der Föhn jagte die Flamme gerade auf das Meierhaus zu, das zu rauchen begann und verloren schien Da ließ die mächtig fromme Kusterin, Frau Berta, die eben zu gegen war, durch den Meier und seine Söhne den schweren Schiefertisch vor das Haus schleppen, zog eine Kreide aus der Tasche und schrieb mit armlangen Buchstaben auf die Platte:
Sancte Thoma, steh uns bei!
Was geschah? Blickte der Heilige vom Himmel herunter und las? Dem sei wie ihm wolle, der Wind wandte sich augenblicklich, das Scheuerlein fiel in erlöschenden Schutt zusammen und die Meierei war gerettet. Jetzt langte die Hilfe aus der Stadt an. Hier stand der Tisch, dort verkohlte der Trümmerhaufen – das Wunder und der Heilige waren nicht weiter anzufechten.
So ist es gekommen, daß wir heute sein Fest feiern, den Tag, daß ich's zu sagen nicht vergesse, des heiligen Thomas von Canterbury.«
Nach dieser ausgiebigen Rede ergriff der Chorherr seinen Pokal, tat ein paar kleine Züge, und die Kanne ergreifend, sah er sich nach seinem Zuhörer um, dessen Becher er auffüllen wollte. Hans, der auf einem Holzschemel am Feuer saß, gab keinen Laut von sich. Etwas Seltsames war mit ihm vorgegangen. Im Anfang war er, die Ellenbogen auf die Kniee stützend und das gesenkte Haupt in die Hände gelegt, der Erzählung des Chorherrn mit Aufmerksamkeit gefolgt. Herr Burkhard hatte den Namen des Heiligen absichtlich bis zuletzt verschwiegen, doch der Armbruster mochte ihn schon früher erraten haben. Er blieb jetzt unbeweglich, wie in sich selbst zusammengebrochen und es war, als schüttle ein Schauder seine Glieder. Der Chorherr schenkte ihm den Becher voll und betrachtete ihn mit Blicken der Teilnahme und etwas durchschimmernder Schadenfreude.
»Halt ich dich endlich, schlauer Mann!« begann er wieder. »Bei den blutigen Zöpfen der heiligen Regula, heute, Armbruster, trittst du mir nicht über die Schwelle zurück, ohne mir von St. Thomas von Canterbury erzählt zu haben, was du weißt, und ganz andere Dinge, als der Luzernerpfaffe unserer gnädigen Frau drüben im Stift aufbindet oder als in dem Pergamente stehen, das mir die edle Herrin zur Gesundung meiner Seele geliehen hat.
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