Du bist dem Heiligen zu seinen Lebzeiten begegnet, das wirst du mir nicht leugnen! Ich habe es selbst gehört, wie du meinen Brüdern, den Chorherren, es mag sich jetzt gerade verjähren, in unserer Trinkstube mit lauter Stimme – denn sie hatten dir mit dem Becher stark zugesetzt – und gewaltigen Gebärden dartatest, daß du an König Heinrich gehaftet habest wie der Knopf am Wamse, ja wie die Haut am Leibe. Du gerietest in lodernden Eifer; denn die Herren hatten in Zweifel gezogen, daß König Heinrich bei jener unseligen Krönung seines ältesten Sohnes Tränen der Freude vergossen habe. Du riefest: ›Ich habe sie rieseln sehen!‹ und verschwurest dich bei deiner Seelen Seligkeit. Ich, der gerade eintreten wollte, um einen geselligen Becher zu trinken, denn ich war noch um das jünger, und dich deine Geschichte beteuern hörte, ich glaubte dir, denn du bist kein Prahler. Bist du aber immerdar um König Heinrich gewesen, hast ihm Gewand und Becher gereicht, sein Lachen und Weinen gekannt, wie du versichertest, so mußt du auch den Mann gekannt haben, der ihm Leib und Seele zerstört hat, sei es, während er als Kanzler ihm zu Diensten war, sei es später, da er als heiliger Bischof, sein Feind und sein Opfer, ihn zur Verzweiflung und ins Verderben trieb. Am Ende, Unglücklicher, warest auch du unter jenen, die dem Heiligen zu seinem Martertode geholfen haben. Doch nein! In dem Pergamente der Äbtissin steht geschrieben, wie die Mörder des Heiligen durch ihre Sünde dergestalt entmenscht wurden, daß es der ganzen Schöpfung vor ihnen graute und selbst ihre Leibhunde den Bissen aus ihrer Hand verabscheuten. Tapp aber« – er wies auf den zwischen den Knieen des Armbrusters sich aufmerksam hervordrängenden Pudelkopf – »nimmt, wie ich gesehen habe, alles, was du ihm reichst.«

»Der gnädige Gott hat mich davor behütet«, murmelte Hans; »aber den Heiligen – ja – ich habe ihn gekannt, so gut als ich Euch kenne, Herr Burkhard. Und dabei bin ich auch gewesen, wenn Ihr es doch wissen wollt, als ihm der Wilhelm Tracy vor dem Hochaltare den Schädel einschlug. Und sein Lächeln sehe ich noch, das – Gott genade mir – heilige Hohnlächeln, mit dem er verschied, als erwiesen ihm seine Henker gerade einen Liebesdienst. O Herr, das sind schwere, unerforschliche Geschichten!«

»Erzähle Hans«, rief der Chorherr mit zitternder Lebendigkeit, und richtete sich, die alten Hände auf die Armlehnen stützend, begierig in seinem Stuhl in die Höhe.

Der Armbruster schürte schweigend das Feuer und faßte seine Gedanken zusammen. Seine festen eckigen Züge waren finster geworden und seine funkelnden Augen sannen. Offenbar schien ihm billig, den Wunsch seines Gastfreundes zu erfüllen; aber ungerne tat er es. Denn jene Ereignisse, staunenswert und unbegreiflich nicht nur für die Fernstehenden, sondern auch für die Mithandelnden, waren der wichtigste Teil seiner eigenen Geschichte, die es dem verschlossenen Manne zu erzählen schwer wurde, und griffen in Tiefen seiner Seele hinunter, wo sein Empfinden zwiespältig wurde und seine Gedanken wie vor einem Abgrunde stehenblieben.

Er äußerte sich mit behutsamen Worten: »Ihr mögt leichtlich besser Bescheid wissen, Herr Burkhard, in dem was meines Herrn Königs Fürstenhändel und Taten im Weltlauf betrifft; was aber den Wandel und die Natur seiner Person angeht – und des Thomas Becket Menschenantlitz auch« – fügte er scheu und leise hinzu –, »so habe ich wahrlich vor einem Jahre in jener trunkenen Nacht nicht geprahlt, als ich mich berühmte, sie zu kennen, obwohl ich, heilsamer für mich, davon geschwiegen hätte. Noch jetzt, Herr, brauch ich nur die Augen zu schließen, um den König wie den Priester leibhaft vor mir zu sehen. Lieblich ist der Anblick nicht, wie der dieser langen ruhigen Gesichter, welche Eure Stadtheiligen hier in den Händen tragen!« und er wies auf das Mittelbild eines farbig gewirkten Teppichs, der die Mauer bekleidete. »Viele Jahre lang, nachdem ich aus Engelland heimgekehrt war, hatte ich während des Tages in Gedanken und des Nachts im Traume mit jenen zwei unglücklichen Herren zu schaffen. Am Tage mußte ich mir die sanften, spitzfindigen Reden des einen, die leichtfertigen Scherze, harten Drohungen und verzweiflungsvollen Zornworte des andern ohne Unterlaß wiederholen und war gezwungen, darüber nachzusinnen, wie unabwendbar beider Verderben sich daraus entwickelte. Des Nachts sah ich sie aufeinanderstoßen mit Rauch und Feuer, wie der Apostel Hans in seiner Offenbarung schreibt, und keines meiner Weiber – ich habe deren etliche geehlicht und begraben – konnte es dann unterlassen, mich mit Angst und Grauen aus dem Schlafe zu rütteln. Denn, Herr, es ist etwas anderes, wenn Könige und Heilige gegeneinanderfahren, als wenn in unseren schwäbischen Trinkstuben geschrieen und gestochen wird. Wohlan, ich will Euch von diesen Geschichten erzählen, obwohl es ein schlimmes Ding ist und schwierig zu bewältigen; aber ich darf den Wunsch meines Gastfreundes nicht unerfüllt lassen«, schloß der Armbruster mit einem grimmigen Lächeln.

»So tue, wie du verheißest«, sagte der Stiftsherr und legte sich mit erwartungsvoll angeregten Mienen in seinen Sessel zurück.

 

III

 

»Ich rede nicht gerne von meiner Jugend« – begann Hans der Engelländer seine Erzählung – »und meine Gedanken weichen ihr aus, wenn ich nicht vor den heiligen Festen, um mich vor Gott und seiner heiligen Mutter zu demütigen, sie aus dem Dunkel emporsteigen lasse, oder wenn nicht ein Neider und Widersacher mir dieselbe böswillig in meinen alten Tagen gegen die Zähne wird.

Lieber Herr« – und der Armbruster tat einen tiefen Seufzer – »sie ist eine unehrliche und befleckte. Dennoch muß ich damit Euch und mir zur Last fallen, denn mein armer Lebenslauf läßt sich von dem des Heiligen und des Königs nicht trennen, wenigstens in meinem alten Kopfe nicht. Ihr müßt wissen, ich bin aus einem edeln Geschlechte, und wenn Ihr Hohenklingen oder Hohenkrähen sagt, so nennet Ihr zwar nicht mein Stammhaus, das in Schutt versunken ist, aber sein Name lautete ähnlich und es lag, wie jene festen Häuser, unweit vom Bodan und vom Rhein. Schon mein Vater war schwer verschuldet und – warum, das weiß Gott – von seiner Sippe gescheut und gemieden, als er, um seinen Gläubigern zu entgehen und um seine Seele zu retten, sich das Kreuz anheftete und nach dem Gelobten Lande zog, aus welchem er nicht zurückkehrte. Mein Mutterlein schleppte seit meiner Geburt einen siechen Leib und weinte sich die Augen blind, als mein älterer Bruder nicht in ritterlicher Fehde, sondern in bösem Raufhandel um Dein und Mein erschlagen wurde; denn wir halfen uns, wie wir konnten, und lauerten an den Wegen, wo etwas vorüberkam. Bei meiner Sippe suchte ich weder Rat noch Hilfe, ich hätte dort keine gefunden. Die einzigen Freunde waren mir meine Armbrust und meine Hunde, mit denen ich zu Walde zog; aber ich selbst ward wie ein Wild gehetzt von einem bösen Feinde, den ich wie den Teufel haßte. Das war der Jude Manasse, der in Schaffhausen saß und auf Zinsen lieh. Ihm hatte mein Vater seinen Burgstall und seine wenigen Äcker verpfändet. Nun begab es sich, daß mich meine Mutter zu dem Juden schickte, um Aufschub zu verlangen, aber keine Barmherzigkeit war bei dem Wucherer zu finden.