So durfte er mit königlichen Gesetzen das sächsische Volk erleichtern, nicht auffällig und herausfordernd, sondern umsichtig und verborgen, um die Normannen nicht zu reizen. Begreift, er packte die Last auf dem Rücken des Saumtieres um, ohne sie zu vermindern, und sorgte nur dafür, daß die Riemen nicht zu tief ins Fleisch schnitten.
Aber auch den Normannen erwies er Dienste und verdoppelte gegen sie seine Freigebigkeit. Er überhäufte sie mit Gunst und fürstlichen Geschenken und schlichtete ihre persönlichen Zwiste mit weisen Schiedsprüchen. Hatten sich zwei Mächtige verfeindet, so trat er als Friedensstifter zwischen sie.
›Wer bin ich?‹ sagte er dann wohl, ›um mich in die Angelegenheiten der Großen zu mischen? Ein Diener meines Herrn, der ihm die Stützen seines Thrones erhalten will.‹ Und die zwei Feinde gingen versöhnt und in ihrem Stolze befriedigt von ihm. Hätte sich Herr Fauconbridge nur warnen lassen! Dieser beneidete den Kanzler um seine Gunst bei beiden Königen, Herrn Heinrich und dem Kapetinger, und stellte ihm nach mit gezogenem Schwerte, aber auch mit heimlicher Verleumdung und der Schrift des Kanzlers nachgefälschten, an den König von Frank reich gerichteten Briefen, mit denen er unter der Hand Herrn Thomas des Hochverrats bezichtete, während er selbst mit dem Hofe von Frankreich gefährliche Ränke spann.
Doch Herr Thomas durchschaute und überblickte ihn. Er lud ihn ohne Wissen und Beunruhigung des Königs zu sich – ich selber trug den Brief – und legte ihm dann mit gelassenen Worten und in sichern Beweisstücken die Wahrheit vor. – Weil er ihn aber, ohne Rache an ihm zu suchen, ziehen ließ, statt ihn, wie er gekonnt hätte, mit einem Schlage zu vernichten, hielt ihn der Normann für einen vorsichtigen Feigling, der sich vor dem entscheidenden Streiche fürchte, und gebärdete sich fortan zwiefach sicher und frech, bis er mit einer Tat offener Felonie die Krone angriff und man ihm dann freilich sein Blutgerüst zimmern mußte.
Dergestalt verlor Herr Fauconbridge, dessen Ahnen mit dem Eroberer gekommen waren, sein Erbe und sein Haupt durch die langmütige Barmherzigkeit des Kanzlers.
Als dieser dem Könige später erzählte, er habe die verwegenen Pfade des rebellischen Barons von Anfang an gekannt und im Auge behalten, der König aber ihn fragte, warum er den Verräter nicht früher entlarvt habe, antwortete der Kanzler: ›O Herr, wozu? . . . Es regen sich unter dem Tun eines jeglichen unsichtbare Arme. Alles Ding kommt zur Reife und jeden ereilt zuletzt seine Stunde.‹
VIII
Da begab es sich eines Tages, daß der König mit seinem Kanzler über Staatsgeschäften zusammensaß. Das war in einem Schlosse der Normandie. Der Herr ließ sich von mir den Becher füllen mit jenem leichten Schaumweine, den er liebte, und der Kanzler legte ihm den Inhalt der eben aus Engelland angelangten Botentasche vor. Einen Brief, an welchem das Siegel von Canterbury hing, behielt er bis zuletzt und sprach dann, denselben vor dem Könige entfaltend, in seiner ruhigen Art:
›Der Primas von Canterbury ist zu Anfang verwichener Woche gestorben, erhabener Herr.‹ – Herr Heinrich wunderte sich wenig darüber. Ohne etwas zu entgegnen, ließ er wohlgefällige Blicke auf dem Kanzler ruhen.
›Er kränkelte schon lange‹, fuhr Herr Thomas fort, ›doch glaubte ich ihn seinem Ziele noch nicht so nahe. Jetzt ist für dich, o König, und für die englische Staatsmacht die gelegene Zeit, die entscheidende Stunde gekommen, wo du das schädliche Geschwür deines Reichs, die geistliche Gerichtsbarkeit, schneiden und heilen kannst. Wenn mein Herr diese gefährliche Stelle mit kühner Wahl besetzt, so ist er der Erfüllung seiner königlichen Wünsche nahegerückt.‹
Der König zwinkerte schalkhaft mit den Augen, sei es, daß er wie gewöhnlich an der Weisheit seines Kanzlers sich ergötzte, sei es, daß er dieselbe mit der seinigen diesmal noch zu überbieten und zu überraschen hoffte.
Herr Thomas sah die schlaue Miene des Königs und beobachtete sie gelassen. ›Auch einen besseren Heiligen Vater als den, welchen sie vor etlichen Monden in Rom auf den Thron gehoben haben, könnten wir uns nicht wünschen. Er hat eine Leidenschaft, durch welche wir ihm menschlich nahekommen können. Mit gelehrter Hast sammelt und betrachtet er Münzen, und, wunderbar, während er sich begnügt, die alten römischen Imperatoren in ein paar wohlerhaltenen Exemplaren zu besitzen, kann er deiner Goldstücke, o Herr, nie genug bekommen, zu Hunderten, zu Tausenden ersehnt er sie, weil sie dein erhabenes Antlitz tragen und er an ihm, als an demjenigen eines treuen Sohnes der Kirche, sein Gefallen findet.‹
Herr Heinrich schüttelte sich vor Lachen, während der Kanzler diese Hohnrede mit ernstem und traurigem Munde, wie er immer zu scherzen pflegte, vortrug. ›Wie aber wird mein Herr nun den Stuhl des Primas besetzen?‹ sprach er weiter. ›Mit jenem Bischof, oder mit diesem Abte‹ – ich bin der Namen nicht mehr sicher, und möchte Euch um nichts in der Welt, auch nur in einer Kleinigkeit, das Unwahre sagen – ›beide sind sie geeignet für die Zwecke meines Herrn, doch vielleicht der Abt noch besser, denn er ist der lasterhaftere.‹
›So läßt er sich leichter handhaben‹, ging der König auf den Gedanken seines Kanzlers ein.
›Der Bischof wäre nicht weniger gefügig‹, versetzte Herr Thomas, ›der Vorzug des Abtes ist ein anderer und ich gebe nur der Weisheit meines Königs Worte, wenn ich der Gefahr deiner Politik folgendermaßen das Antlitz aufdecke. Du weißt, o Herr, wie und warum der Eroberer, dein erhabener und ruhmbedeckter Ahne, die englischen Bistümer nicht nur mit der Gerichtsbarkeit über die Kleriker, sondern, was den Staat entkräftet und zerstört, über die Händel zwischen Klerikern und Laien begabt hat. Das war damals nützlich, da die ersten Bischöfe des Eroberers Kreaturen waren; jetzt ist es schädlich und unerträglich, denn aller Eigenwille deiner Normannen duckt unter den Bischofsstab, und jeder Empörer gegen deine Majestät läßt sich eine Krone scheren, um die Blitze deiner Gerechtigkeit ungestraft verhöhnen zu können.‹
Mein Herr und König ballte seine auf der Lehne des Stuhles liegende Hand, denn er war ein Freund der Ordnung und der Gerechtigkeit.
›Deiner Weisheit ist nicht verborgen‹, bemerkte Herr Thomas, ›warum auch erschlichene Rechte der Kirche sich so schwer mindern oder aufheben lassen: weil die Kirche ein Doppelwesen ist, das aus Leib und Seele besteht. Der Leib ist ein Heer von Geschorenen und Ehelosen, ein paar tausend von Münstern und Klöstern, ein Bündel von Gebräuchen, Gelübden und auf Fabeln und Fälschungen beruhenden Ansprüchen. – Die Seele der Kirche aber ist Tugend, Bescheidenheit, Erbarmen, Keuschheit‹ – der König machte unwillkürlich eine Gebärde und zuckte mit den Wimpern – ›kurz, alles, was jener andere lehrte, den sie gekreuzigt haben.‹
Ihr müßt wissen, Herr Burkhard, daß der Kanzler den Salvator nie bei einer seiner hochgelobten Würden nannte, sondern immer nur den ›andern‹, und ich meine, daß es seinem heidnischen Blute widerstrebte, den heiligen Namen auszusprechen.
›Das Volk aber, o Herr, kann Gefäß und Inhalt nicht trennen; – hast du es mit einem Primas zu tun, der durch seine Tugend Gewalt über die englischen Seelen übt, du nimmst ihm nicht ein Titelchen seiner Vorrechte. Darum wähle du einen öffentlichen Sünder, einen unbestritten Lasterhaften wie unsern Abt ...‹«
Also fuhr der Armbruster, der im besten Zuge war, in der Rede des Kanzlers fort, doch Herr Burkhard hatte sich gegen ihn vorgeneigt und zupfte ihn am Ärmel.
»Armbruster«, tat er Einspruch, »ich halte dich für einen wahrhaften Mann; aber es wird mir schwer zu glauben, daß ein jetziges Mitglied der triumphierenden Kirche sich bei Lebzeiten, auch vor seiner Bekehrung, über die hienieden streitende so schnöde geäußert und deinem König einen so ruchlosen Rat gegeben. Ich habe es dir gesagt, dem neuen Heiligen bin ich nicht grün; aber was zuviel ist, ist zuviel. Das kommt aus deinem Eigenen!«
»Herr«, versetzte Hans der Engelländer mit einem bösen Lächeln unter seinem grauen Barte, »es mag sein, daß der Kanzler dazumal nicht diese körperlichen Worte ausgesprochen hat, dem Geiste nach aber hat er sich so ergangen, das dürft Ihr mir glauben, und nicht ein- sondern hundertmal – versteht mich, als Staatsmann. Er hat vor meinem Könige diese Frage häufig erörtert.
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