Einzelne Stoßseufzer, unzusammenhängende Worte nur vernahm ich in der allmählich aus meinem Gedächtnisse entschwindenden Sprache, die mich erbauten oder auch erschreckten. Innig und schmerzvoll sprach er zu dem stillen Gekreuzigten, aber lästerlich und wie zu seinesgleichen, so schien mir.
Also geschah es eines Tages, daß der Kanzler wiederum vor dem Bildnisse stand ohne mich gewahr zu werden, der, in einer Ecke des weiten Gemaches auf einem Schemel sitzend, sich stille hielt und gering machte.
›Auch du hast gelitten‹, so hauchte er, ›und wohl so grausig, als du hier in der Marter schwebst! . . . Warum? Warum? . . . Der Welt Sünde zu tragen, steht geschrieben ... Was hast du gesühnt, du himmlisches Gemüt? . . . Friede solltest du bringen und an den Menschen ein Wohlgefallen ... aber, siehe, diese Erde dampft und stinkt noch von Blut und Greuel ... und Schuld und Unschuld wird gemordet wie vor deiner Zeit! . . .
Sie haben dich geschlagen, angespieen, gemartert ... Du aber beharrtest in der Tapferkeit der Liebe und batest am Kreuze für deine Mörder ... Verscheuche den Geier des unversöhnlichen Grams, der mein Herz verzehrt! . . . Damit ich in deine Stapfen trete ... Ich bin der Ärmste und Elendeste der Sterblichen ... Siehe, ich gehöre dir zu und kann nicht von dir lassen, du geduldiger König der verhöhnten und gekreuzigten Menschheit! . . .‹
Nachdem der Kanzler noch eine Weile mit dem Bilde geflüstert, wendete er sich langsam und entdeckte mich auf meinem Schemel. Ich hielt mich unverwundert und beschloß tapfer zu lügen, wenn er mich früge, ob ich ihn belauscht hätte.
Er aber näherte sich mit ruhigen Schritten, unmerklich lächelnd. – ›Sohn Japhets‹, sprach er mich an, ›du hast unter den Kindern Sems gelebt und weißt, daß sie es nicht glauben, der Ewige habe seinen einigen Sohn ans Kreuz schlagen lassen – wie belehrst du sie eines Besseren?‹
Ich erhob meine Augen fest auf den Kanzler und antwortete unverzagt: ›Mein Salvator hat den Verräter Judas geküßt und seinen Peinigern vergeben; solches aber vermag ein bloßer Mensch nicht, denn es geht gegen Natur und Geblüt.‹
Herr Thomas wiegte leise das Haupt. ›Das hast du recht gesagt‹, meinte er, ›es ist schwer und unmöglich.‹ –
Waren aber die Worte des Kanzlers nicht allesamt christlich, so wurden es seine Werke je mehr und mehr. Es schien in jenen Tagen, als wolle Herr Thomas, müde seines Glanzes, der Herrlichkeit sich entkleiden und, selbst ein friedloser und herzkranker Mann, Übel heilen und Frieden bringen, soweit seine Macht reichte. Aber er tat es mit furchtsamer Klugheit, damit der König und die Normannen seiner nicht spotteten oder einen Argwohn gegen ihn faßten.
Es wurde ihm nicht schwer dem Könige zu zeigen, daß es klug sei, nicht über Maß seine Sachsen zu belasten und sie nicht zur Verzweiflung zu treiben, und daß es vorteilhaft sei, als ein gütiges Wesen über ihnen zu stehen, großmütiger als seine Normannen, die ihre sächsischen Knechte und Mägde nach ihrem Gefallen mißhandelten.
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