Es war ersichtlich, daß Sir Charles kurze Zeit dort gestanden hatte. Dann war er weitergegangen, und seine Leiche wurde am Ende der Allee aufgefunden. Eine der unerklärten Tatsachen ist Barrymores Behauptung, die Fußabdrücke seines Herrn hätten sich von dem Augenblick, als er das Tor verlassen hatte, verändert, und er scheine von da an auf Zehenspitzen gegangen zu sein. Ein gewisser Murphy, Zigeuner und Pferdehändler, überquerte um jene Zeit in nächster Nähe das Moor, doch scheint er seinem eigenen Bekenntnis zufolge angetrunken gewesen zu sein. Er sagt, er habe Schreie gehört, die genaue Richtung, aus der sie kamen, jedoch nicht feststellen können. An Sir Charles’ Leichnam waren keinerlei Zeichen von Gewalt zu sehen, und obwohl der Befund des Arztes von einer nahezu unglaublichen Verzerrung der Gesichtszüge spricht – die so stark war, daß Dr. Mortimer anfangs nicht glauben wollte, daß sein Freund und Patient vor ihm lag –, scheint es sich um ein Symptom zu handeln, das in einem Falle von Herzlähmung nicht selten ist. Diese Erklärung wurde durch den Obduktionsbefund bestätigt, der ein altes Herzleiden feststellte, und die Leichenschau-Kommission entschied in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Zeugnis. Es ist gut, daß dem so ist, denn es ist gewiß von großer Wichtigkeit, daß sich Sir Charles’ Erbe in Baskerville Hall niederläßt und die guten Werke fortsetzt, die so jäh unterbrochen wurden. Wenn das nüchterne Urteil des Coroner5 nicht mit den abenteuerlichen Geschichten aufgeräumt hätte, die im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit gemunkelt wurden, wäre es sicher schwer gewesen, einen Bewohner für Baskerville Hall zu finden. Der nächste Verwandte ist dem Vernehmen nach, falls er noch lebt, Mr. Henry Baskerville, der Sohn von Sir Charles Baskervilles jüngerem Bruder. Als man zuletzt von ihm hörte, war der junge Mann in Amerika, und Nachforschungen wurden bereits eingeleitet, um ihn von dem ihm zufallenden Erbe zu verständigen.«
Dr. Mortimer faltete die Zeitung zusammen und steckte sie wieder in die Tasche.
»Dies, Mr. Holmes, sind die allgemein bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, meinte Sherlock Holmes, »daß Sie mich auf einen Fall aufmerksam machen, der sicherlich viel Interessantes an sich hat. Ich habe zu jener Zeit einige Zeitungsberichte darüber gelesen, aber ich war damals mit dieser kleinen Angelegenheit der vatikanischen Kameen sehr beschäftigt, und in meinem Bestreben, dem Papst gefällig zu sein, habe ich den Überblick über einige interessante Fälle in England verloren. Dieser Artikel, sagen Sie, enthält alle allgemein bekannten Umstände?«
»So ist es.«
»Dann lassen Sie mich die unbekannten Umstände wissen.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und setzte seine gleichmütigste und kritischste Miene auf.
»Wenn ich das tue«, erklärte Dr. Mortimer, der Anzeichen starker Gemütsbewegung aufwies, »sage ich etwas, das ich noch niemandem anvertraut habe. Mein Beweggrund dafür, daß ich es dem Coroner vorenthalten habe, ist der, daß ein Mann der Wissenschaft davor zurückschreckt, in der Öffentlichkeit einem bestehenden Aberglauben das Wort zu reden. Weiter war es ein Motiv für mich, daß, wie die Zeitung sagt, Baskerville Hall nicht bewohnt werden würde, wenn sein ohnehin recht düsterer Ruf Bestätigung fände. Aus diesen beiden Gründen fühlte ich mich berechtigt, eher weniger zu sagen, als ich wußte, da etwas anderes auch keinen praktischen Sinn gehabt hätte. Aber Ihnen gegenüber kann ich vollkommen aufrichtig sein.
Das Moor ist sehr spärlich besiedelt, und die Menschen, die dort in der Nähe voneinander wohnen, halten natürlich zusammen. Daher habe ich Sir Charles Baskerville oft besucht. Mit Ausnahme von Mr. Frankland auf Lafter Hall und Mr. Stapleton, dem Naturforscher, gibt es im Umkreis von vielen Meilen keinen gebildeten Menschen. Sir Charles war von Natur aus zurückhaltend, aber der Zufall seiner Krankheit brachte uns zusammen, und ein gemeinsames Interesse für alles Wissenschaftliche vertiefte unsere Freundschaft. Er hatte aus Südafrika manch wissenschaftliche Kenntnis mitgebracht, und wir haben viele angenehme Abende mit Diskussionen über die vergleichende Anatomie des Buschmannes und des Hottentotten verbracht.
Im Laufe der letzten Monate wurde mir immer klarer, daß Sir Charles’ Nervensystem aufs äußerste angespannt war. Er hatte sich diese Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen, so sehr, daß, obschon er auf seinem eigenen Grund und Boden spazieren ging, ihn nichts dazu bringen konnte, in der Nacht auf das Moor zu gehen. So unwahrscheinlich es für Sie klingen mag, Mr.
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