Der einzige andere Verwandte, den wir ausfindig machen konnten, war Rodger Baskerville, der jüngste der drei Brüder, von denen der arme Sir Charles der älteste war. Der zweite Bruder, der früh starb, ist der Vater dieses jungen Henry. Der dritte, Rodger, war das schwarze Schaf der Familie. Er war in seiner herrischen Art ein echter Baskerville und ganz das Ebenbild des alten Hugo auf dem Familienporträt, wie man mir sagt. In England wurde ihm der Boden zu heiß, er floh nach Mittelamerika und starb dort 1876 am Gelbfieber. Henry ist der letzte der Baskervilles. In einer Stunde und fünf Minuten treffe ich ihn auf dem Waterloo-Bahnhof. Ich habe ein Telegramm erhalten, daß er heute morgen in Southampton ankommt. Nun, Mr. Holmes, was soll ich jetzt mit ihm anfangen? Wo soll er bleiben? Was würden Sie mir raten?«

»Warum soll er nicht in das Haus seiner Väter ziehen?«

»Das scheint das Natürlichste, nicht wahr? Aber bedenken Sie, daß jeden Baskerville, der dorthin zurückkehrt, ein böses Geschick ereilt. Ich bin ganz sicher, daß Sir Charles, wenn er vor seinem Tod noch mit mir hätte sprechen können, mich gewarnt hätte, den letzten des alten Geschlechts und Erben des großen Vermögens an diesen Ort des Todes zu bringen. Und doch läßt sich nicht leugnen, daß der Wohlstand des ganzen armseligen Landstrichs von seiner Anwesenheit abhängt. Alles Gute, das Sir Charles getan hat, geht wieder in Trümmer, wenn das Schloß keinen Bewohner hat. Ich fürchte, ich werde durch mein eigenes Interesse an der Sache zu sehr beeinflußt, und das ist der Grund, weshalb ich den Fall Ihnen vortrage und Sie um Ihren Rat bitte.«

Eine kleine Weile dachte Holmes nach, dann sagte er:

»Sagen wir es einmal klar und deutlich, wie sich die Sache verhält: Ihrer Meinung nach ist eine teuflische Macht am Werk, die Dartmoor zu einer unsicheren Wohnstätte für einen Baskerville macht. Das ist doch ihre Meinung, nicht wahr?«

»Ich würde zum mindesten so weit gehen, daß ich sage: Einige Anzeichen sprechen dafür, daß es so sein könnte.«

»Ganz recht. Wenn aber Ihre Theorie stimmt, daß übernatürliche Kräfte am Werke sind, dann können sie dem jungen Mann doch in London ebensoviel Böses zufügen wie in Devonshire. Ein Teufel, dessen Macht wie die eines Kirchenvorstands nur bis an die Gemeindegrenze reicht, ist wirklich nur schwer vorstellbar.«

»Mr. Holmes, Sie tun die Sache jetzt ein wenig scherzhaft ab und nehmen sie nicht so ernst, wie Sie es wahrscheinlich tun würden, wenn Sie mit diesen Dingen in persönlichen Kontakt gekommen wären. Sie meinen also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß der junge Mann in Devonshire ebenso sicher ist wie in London. Er kommt in fünfzig Minuten an. Was würden Sie mir empfehlen zu tun?«

»Sir, ich empfehle Ihnen, jetzt eine Droschke zu nehmen, Ihren Hund zu rufen, der an meiner Tür kratzt, und zum Waterloo-Bahnhof zu fahren, um Sir Henry Baskerville abzuholen.«

»Und dann?«

»Und dann werden Sie ihm nichts von alledem sagen, bis ich mir in dieser Angelegenheit eine Meinung gebildet habe.«

»Wie lange wird es dauern, bis Sie sich eine Meinung gebildet haben?«

»Vierundzwanzig Stunden. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Dr. Mortimer, wenn Sie mich morgen vormittag um zehn Uhr hier wieder aufsuchen würden, und um in dieser Sache einen Plan zu machen, wäre es hilfreich, wenn Sie Sir Henry Baskerville mitbrächten.«

»Das werde ich tun, Mr. Holmes.«

Er kritzelte die Stunde der Verabredung auf die Manschette seines Oberhemdes. Als er davonging, starrte er in seiner merkwürdigen Art gedankenverloren vor sich hin. An der Treppe hielt ihn Holmes noch einmal an.

»Nur noch eine Frage, Dr. Mortimer. Sie sagten, daß vor Sir Charles Baskervilles Tod mehrere Leute diese Erscheinung auf dem Moor gesehen hätten?«

»Ja, es waren drei, die sie gesehen haben.«

»Hat sie nach seinem Tod auch noch jemand gesehen?«

»Davon ist mir nichts bekannt.«

»Vielen Dank. Guten Morgen.«

Holmes kehrte mit jenem stillen Ausdruck innerer Zufriedenheit zu seinem Platz zurück, der bedeutete, daß er eine Aufgabe vor sich sah, wie er sie sich wünschte.

»Gehen Sie aus, Watson?«

»Nur, wenn ich Ihnen nicht helfen kann.«

»Nein, alter Junge, wenn die Stunde zum Handeln kommt, wende ich mich an Sie um Hilfe. Aber dieser Fall ist großartig, in mancher Hinsicht wirklich einmalig! Wenn Sie bei Bradley vorbeikommen, würden Sie ihn bitten, mir ein Pfund vom stärksten Shagtabak heraufzuschicken? Danke.