Dann kommt, vierzehn Meilen entfernt, das große Zuchthaus von Princetown. Zwischen diesen weit verstreuten Punkten und um sie herum dehnt sich das einsame, öde Moor aus. Dies ist also der Schauplatz, auf dem sich die Tragödie abgespielt hat und vielleicht mit unserer Hilfe noch einmal gespielt wird.«
»Es muß eine wilde Gegend sein.«
»Ja, die Szenerie ist wirklich etwas wert. Wenn den Teufel danach verlangte, in den Angelegenheiten der Menschen mitzuspielen ...«
»Sind Sie etwa selbst geneigt, an eine übernatürliche Erscheinung zu glauben?«
»Die Agenten des Teufels können durchaus von Fleisch und Blut sein, nicht wahr? Zu Beginn gibt es für uns zwei Fragen, die geklärt werden müssen. Erstens: Ist überhaupt ein Verbrechen begangen worden? Zweitens: Was für ein Verbrechen und wie wurde es ausgeführt? Natürlich, wenn Dr. Mortimers Vermutung richtig sein sollte und wir es mit Mächten zu tun haben, die außerhalb der normalen Naturgesetze stehen, hat unsere Untersuchung ein Ende. Aber wir haben die Pflicht, erst allen anderen Hypothesen nachzugehen, ehe wir auf diese eine zurückkommen und eine übernatürliche Erklärung gelten lassen. Ich denke, wir schließen das Fenster nun wieder, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es ist eine eigenartige Sache, aber ich finde, daß eine konzentrierte Atmosphäre auch zu gedanklicher Konzentration verhilft. Ich habe diese Idee noch nicht so weit verfolgt, daß ich zum Zwecke des Nachdenkens in eine Kiste krieche, aber das müßte eigentlich das logische Ergebnis meiner Überzeugung sein. Haben Sie sich über den Fall Gedanken gemacht?«
»Ja, ich habe im Laufe des Tages oft darüber nachgedacht.«
»Und was halten Sie davon?«
»Es ist alles sehr verwirrend.«
»Ja, es ist wirklich ein ganz eigenartiger Fall. Er bietet ein außerordentliches Charakteristikum. Die Veränderung der Fußspuren zum Beispiel. Was denken Sie darüber?«
»Mortimer sagte, der Mann sei diesen Teil der Allee auf Zehenspitzen hinuntergegangen.«
»Er hat bloß wiederholt, was irgend so ein Schafskopf bei der Untersuchung gesagt hat. Warum sollte ein Mensch auf Zehenspitzen eine Allee entlanggehen?«
»Was bedeutet es dann?«
»Er rannte, Watson, rannte verzweifelt, rannte um sein Leben, rannte, bis ihn ein Herzschlag ereilte.«
»Vor was rannte er denn davon?«
»Da liegt unser Problem. Es gibt Anzeichen dafür, daß der Mann vor Angst durchgedreht war, noch bevor er zu rennen begonnen hatte.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Ich nehme an, daß der Grund seiner Angst über das Moor auf ihn zukam. Wenn es so war, und das scheint höchstwahrscheinlich zu sein, dann würde nur ein Mensch, der nicht mehr bei Sinnen war, weglaufen vom Hause anstatt darauf zu. Wenn die Angaben des Zigeuners stimmen, dann rannte er um Hilfe rufend gerade in die Richtung, aus der Hilfe am wenigsten zu erwarten war. Und dann weiter: Auf wen wartete er an diesem Abend, und warum wartete er auf ihn lieber in der Taxusallee als bei sich Zuhause?«
»Sie glauben, daß er auf jemanden gewartet hat?«
»Der Mann war alt und kränklich. Wir können verstehen, daß er einen Abendspaziergang machte, aber der Boden war feucht und das Wetter rauh und ungemütlich. Ist es natürlich, daß er unter diesen Umständen fünf bis zehn Minuten stehenbleibt, wie Dr. Mortimer mit mehr praktischem Sinn, als ich ihm zugetraut hätte, aus der Zigarrenasche gefolgert hat?«
»Aber er machte jeden Abend seinen Spaziergang.«
»Ich halte es für unwahrscheinlich, daß er jeden Abend am Moorpförtchen herumstand und wartete. Im Gegenteil, es ist erwiesen, daß er das Moor mied. An dem Abend aber wartete er dort. Es war der Abend vor seiner Abreise nach London. Die Sache nimmt Form an, Watson. Da ist ein Zusammenhang. Darf ich Sie bitten, mir meine Geige herüberzureichen? Alles weitere Kopfzerbrechen in dieser Angelegenheit vertagen wir auf morgen und warten erst einmal ab, bis uns Dr. Mortimer und Sir Henry Baskerville mit ihrem Besuch beehrt haben.«
4. KAPITEL
Sir Henry Baskerville
Unser Frühstück war früher als gewöhnlich abgeräumt, und Holmes wartete in seinem Morgenmantel auf die versprochene Unterredung.
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