Und nun ist es ein alter, schwarzer.«
»Was! Sie wollen doch nicht damit sagen...«
»Genau das wollte ich damit sagen. Ich hatte bloß drei Paar Schuhe: die neuen braunen, die alten schwarzen und die Lackschuhe, die ich jetzt trage. Gestern nahmen sie mir einen von meinen schönen braunen weg, und heute haben sie mir einen von den schwarzen geklaut. Na, was ist? Haben Sie ihn gefunden? Nun reden Sie schon, Mann, und starren Sie mich nicht so an!«
Ein entnervter deutscher Kellner war auf der Szene erschienen.
»Nein, Sir, ich habe überall im Hotel danach gefragt, aber ohne Erfolg.«
»Nun, entweder ist bis heute abend der Stiefel wieder da, oder ich gehe zum Direktor und sage ihm, daß ich auf der Stelle aus diesem Hotel ausziehe.«
»Man wird ihn finden, Sir — bestimmt, wenn Sie nur etwas Geduld haben wollen. Man wird ihn finden!«
»Kümmern Sie sich darum, denn es ist das letzte Mal, daß mir in dieser Räuberhöhle etwas abhanden kommt.
Sie entschuldigen, Mr. Holmes, daß ich Sie mit solchen Lappalien aufhalte...«
»Ich halte das gar nicht für eine Lappalie.«
»Sie nehmen die Sache also ernst.«
»Wie erklären Sie sich das denn?«
»Ich versuche gar nicht erst, dafür eine Erklärung zu finden. Es ist die verrückteste und seltsamste Sache, die mir je vorgekommen ist.«
»Die seltsamste vielleicht...«, sagte Holmes nachdenklich.
»Und was halten Sie davon?«
»Nun, ich muß sagen, daß ich da noch nicht durchblicke. Ihr Fall ist wirklich sehr verwickelt, Sir Henry, und wenn ich ihn in Verbindung mit dem Tod Ihres Onkels betrachte, dann bin ich gar nicht sicher, ob von den fünfhundert kriminalistisch bedeutenden Fällen, mit denen ich mich befaßt habe, einer eine so komplexe Problematik aufweist wie dieser. Aber wir halten mehrere Fäden in der Hand, und die Wahrscheinlichkeit besteht, daß einer davon uns zur Wahrheit führt. Es mag sein, daß wir Zeit verlieren, indem wir zunächst einer falschen Spur folgen, aber früher oder später müssen wir auf die richtige stoßen.«
Wir unterhielten uns recht angeregt während des Essens, doch über die Angelegenheit, die uns zusammengeführt hatte, wurde kaum gesprochen. Erst als wir hinterher in dem privaten Wohnzimmer saßen, fragte Holmes Sir Henry, was er nun zu tun beabsichtige.
»Nach Schloß Baskerville reisen.«
»Und wann?«
»Am Ende der Woche.«
»Ich halte Ihre Entscheidung durchaus für vernünftig«, sagte Holmes. »Deutliche Anzeichen sprechen dafür, daß hier in London jeder Ihrer Schritte überwacht wird. Doch herauszufinden, wer diese Leute sind und was sie eigentlich wollen, ist in dieser Millionenstadt schwierig. Wenn sie böse Absichten haben, könnten sie Ihnen Schaden zufügen, und wir wären nicht in der Lage, das zu verhindern. Sie haben nicht gemerkt, Dr. Mortimer, daß jemand Ihnen heute morgen gefolgt ist, als Sie mein Haus verließen?«
Dr. Mortimer fuhr erschrocken in die Höhe. »Gefolgt! Wer könnte das sein?«
»Das kann ich Ihnen unglücklicherweise nicht sagen. Haben Sie unter Ihren Nachbarn und Bekannten in Dartmoor jemand mit einem schwarzen Vollbart?«
»Nein — oder, lassen Sie mich nachdenken — ja, Barrymore, Sir Charles' Butler, hat einen schwarzen Vollbart.«
»Aha! Wo ist Barrymore?«
»Er hat Dienst im Schloß.«
»Wir sollten uns lieber vergewissern, ob er wirklich dort ist oder etwa in London.«
»Wie wollen Sie das anstellen ?«
»Geben Sie mir ein Telegrammformular: >Ist alles bereit für Sir Henry?< Das genügt. Adresse: Mr. Barrymore, Schloß Baskerville. Wo ist das nächste Postamt? Grimpen? Sehr gut. Wir senden ein zweites Telegramm an den Postvorsteher in Grimpen: >Telegramm an Barrymore nur persönlich aushändigen. Falls abwesend, bitte Telegramm zurück an Sir Henry Baskerville, Northumberland-Hotel.< So werden wir bis zum Abend wissen, ob Barrymore auf seinem Posten in Devonshire ist oder nicht.«
»Gut so«, sagte Baskerville.
»Übrigens, Dr. Mortimer, wer ist überhaupt dieser Barrymore?«
»Er ist der Sohn des alten Hausmeisters, der seit Jahren tot ist. Sie sind jetzt in der vierten Generation im Dienste des Schlosses. So weit ich weiß, sind er und seine Frau anständige Leute.«
»Aber trotzdem ist wohl klar«, sagte Baskerville, »daß diese Leute, solange niemand von der Familie im Schloß lebt, ein sehr schönes Zuhause haben und dafür nicht einmal etwas tun müssen.«
»Das stimmt.«
»Ist Barrymore überhaupt von Sir Charles im Testament bedacht worden?« fragte Holmes.
»Er und seine Frau erhielten je fünfhundert Pfund.«
»Ah! Wußten sie, daß sie das bekommen würden?«
»Ja, Sir Charles sprach sehr gerne davon, wen er in seinem Testament bedenken würde.«
»Das ist sehr interessant.«
»Ich hoffe«, sagte Dr. Mortimer, »daß Sie nicht jeden mit argwöhnischen Augen betrachten, dem Sir Charles etwas vermacht hat, denn mir hat er auch tausend Pfund hinterlassen.«
»So? Und wer hat sonst noch etwas geerbt?«
»Unbedeutende Summen bekamen alle möglichen Leute und eine große Zahl von öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen. Der gesamte Rest ging an Sir Henry.«
»Und wieviel war der Rest?«
»Siebenhundertvierzigtausend Pfund.«
Holmes zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Ich hatte keine Ahnung, daß es sich um solch eine Riesensumme handelt«, sagte er.
»Sir Charles galt als reich, aber wir wußten nicht, wie reich er war, bis wir seine Wertpapiere zu sehen bekamen.
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