Möglicherweise wirst du in zwanzig von dreiundzwanzig Fällen zu hören bekommen, daß die Papierkörbe von gestern geleert worden sind und man den Inhalt verbrannt oder fortgeschafft hat. In den drei übrigen Fällen wird man dir einen Haufen Papier zeigen, und du wirst hier nach diesem Blatt aus der >Times< suchen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß du etwas findest. Hier sind noch zehn Schilling für den Notfall. Schick mir heute abend ein Telegramm mit deinem Bericht in die Baker Street. Und nun, Watson, müssen wir bloß noch per Drahtnachricht die Identität des Kutschers Nr. 2704 herausfinden. Dann können wir uns in einer der Bildergalerien in der Bond Street die Zeit vertreiben, bis es so weit ist, zum Hotel zu gehen.«

 

 

5. KAPITEL

Drei falsche Spuren

 

Sherlock Holmes besaß in ganz erstaunlichem Maße die Fähigkeit, sich zu entspannen, und konnte seine Gedanken abschalten, wann es ihm beliebte. Zwei Stunden lang schien der rätselhafte Fall, der uns beschäftigte, vergessen, und Holmes war völlig vertieft in die Betrachtung der Bilder moderner belgischer Meister. Vom Verlassen der Galerie an, bis wir uns vor dem Northumberland-Hotel befanden, wollte er auch von nichts anderem als von Kunst reden, zu der er ein recht unmittelbares und natürliches Verhältnis hatte.

»Sir Henry Baskerville ist oben und erwartet Sie«, sagte der Empfangschef. »Er bat mich, Sie gleich nach oben zu führen.«

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich eben mal in Ihr Anmeldebuch schaue?« fragte Holmes.

»Nicht das geringste.«

Das Buch zeigte an, daß nach Baskerville noch zwei weitere Namen hinzugekommen waren: ein gewisser Theophilus Johnson mit Familie aus Newcastle und eine Mrs. Oldford mit Zofe aus High Lodge, Alton.

»Das muß bestimmt der Johnson sein, den ich kenne«, sagte Holmes zu dem Portier an der Rezeption. »Ein Rechtsanwalt, nicht wahr, grauhaarig und zieht das Bein ein wenig nach, wenn ergeht?«

»Nein, Sir, dieser Johnson ist ein Bergwerksbesitzer, ein sehr rüstiger Herr, und nicht älter als Sie.«

»Haben Sie sich in seinem Beruf auch nicht geirrt?«

»Nein, Sir, er steigt in unserm Haus seit vielen Jahren ab und ist uns gut bekannt.« »Nun, dann ist das klar. Auch Mrs. Oldmore — mir kommt es so vor, als kenne ich den Namen. Verzeihen Sie meine Neugier, aber oft findet man alte Bekannte wieder, wenn man jemandem im Hotel einen Besuch macht.«

»Die Dame ist körperlich behindert, Sir. Ihr Mann war früher Bürgermeister von Gloucester. Sie kommt stets zu uns, wenn sie in London ist.«

»Danke. Mir scheint, sie gehört nicht zu meinem Bekanntenkreis. Wir haben durch diese Fragen etwas sehr Wichtiges festgestellt, Watson«, fuhr er mit leiser Stimme fort, als wir zusammen die Treppe hinaufstiegen. »Wir wissen jetzt, daß sich die Leute, die sich so sehr für unseren Freund interessieren, nicht im selben Hotel niedergelassen haben. Das bedeutet, daß Sie nicht nur, wie wir gesehen haben, viel Mühe darauf verwenden, ihn zu beobachten, sondern ebenso bemüht sind, von ihm nicht gesehen zu werden. Nun, daraus läßt sich eine ganze Menge entnehmen.«

»Was läßt sich daraus entnehmen?«

»Es läßt sich daraus entnehmen — hallo, mein lieber Mann, was ist denn mit Ihnen los?« Wir waren am oberen Ende der Treppe mit Sir Henry Baskerville zusammengestoßen. Sein Gesicht war rot vor Ärger, und er hielt einen alten, staubigen Stiefel in der Hand. Er war so wütend, daß er kaum ein Wort herausbringen konnte. Als er endlich sprach, hörte man den breiten amerikanischen Dialekt viel deutlicher heraus als am Morgen.

»Die denken wohl in diesem Hotel, sie können mich für dumm verkaufen!« schrie er. »Aber da sind sie an den Falschen geraten, ich mache dieses Affenspiel nicht mit. Zum Donnerwetter, wenn der Bursche meinen Stiefel nicht findet, dann kann er was erleben! Ich kann bestimmt Spaß vertragen, Mr. Holmes, aber das geht dann doch zu weit!« »Suchen Sie immer noch nach Ihrem Stiefel?«

»Ja, Sir, und ich habe es mir in den Kopf gesetzt, ihn wiederzufinden.«

»Aber sagten Sie nicht, es war ein neuer, brauner Stiefel?«

»So war es, Sir.