Errol hier wohnen mußte, und der kleine Lord im Schlosse, jedermann wußte genau, welch ungeheures Vermögen seiner harrte und was für ein jähzorniger Großvater mit Gichtanfällen und bösen Launen.

»Leicht kriegt er's nicht, der arme kleine Kerl!« Das hatten sie längst untereinander ausgemacht.

Was es aber für eine Art von Kind war, dieser Lord Fauntleroy, das wußten sie nicht, und das Wesen des künftigen Herrn von Dorincourt war für sie eben nicht leicht verständlich. Er zog sehr selbständig seinen kleinen Ueberrock aus, gerade, als ob er gewöhnt wäre, sich selbst zu bedienen, und dann sah er sich um in der weiten Halle, betrachtete die Bilder und die Hirschgeweihe und alle möglichen Dinge, die ihm sehr merkwürdig vorkamen, weil er noch nichts derartiges gesehen hatte.

»Herzlieb,« rief er, »das ist ja ein goldiges Haus, nicht wahr? Ich bin so froh, daß du da wohnst! Und ein ganz großes Haus ist es!«

Freilich war es groß im Vergleiche mit dem engbrüstigen Gebäude in der ärmlichen New Yorker Straße, und hübsch und freundlich war es auch. Mary führte die Ankömmlinge hinauf in ein helles, ganz mit buntem Kattun tapeziertes und ausgestattetes Schlafzimmer, wo ein fröhliches Feuer brannte und eine riesengroße, schneeweiße Angorakatze behaglich hingestreckt auf dem Teppich vor dem Kamine lag.

»Die Haushälterin vom Schlosse schickt sie,« erklärte Mary. »Die ist eine brave Dame und hat überall nach dem Rechten gesehen und alles eingerichtet. Ich hab' sie auch schon gesehen, und sie hat den Herrn Kapitän selig arg gern gehabt und ist betrübt, daß er tot ist, und dann hat sie gesagt, 's könne leicht sein, daß die Katze Ihnen die Stube heimeliger macht, wenn sie so faul daliegt. Den Herrn Kapitän selig hat sie schon gekannt, wie er ein Kind war, und er sei ein schöner Jung' gewesen, sagte sie, und dann ein feiner Herr, der auch für geringe Leute ein gutes Wort gehabt hat. Da hab' ich zu ihr gesagt: ›Er hat gerade so einen Sohn zurückgelassen‹ ja und dann hab' ich gesagt: ›Kein hübscherer Junge hat je Schuhe zerrissen, solange die Welt steht.‹«

Nachdem Mutter und Sohn etwas Toilette gemacht, gingen sie wieder ins Erdgeschoß in ein ebenfalls großes, helles Zimmer. Die Decke war getäfelt, der Raum nicht hoch, die tiefen, breiten Stühle hatten hohe geschnitzte Lehnen, und allerhand kleine Wandschränkchen, Schlüsselbretter und eigentümliche Verzierungen waren in den ebenfalls getäfelten Wänden angebracht; vor dem Kamin lag ein mächtiges Tigerfell und zwei bequeme Lehnstühle standen zu beiden Seiten. Die würdevolle weiße Katze fand es offenbar recht angenehm, sich von Lord Fauntleroy streicheln zu lassen, und hatte sich ihm sofort angeschlossen, und als er sich nun auf das prächtige Fell legte, rollte sie sich majestätisch an seiner Seite auf, wodurch die Freundschaft besiegelt war. Cedrik schmiegte sein Köpfchen neben ihr in das weiche Fell und nahm keine Notiz von dem Gespräch zwischen seiner Mutter und Mr. Havisham, zumal beide halblaut sprachen. Mrs. Errol war sehr blaß und sichtlich bewegt.

»Heute nacht muß er doch nicht schon gehen?« fragte sie, »Heute nacht darf er doch noch bei mir bleiben?«

»Gewiß,« erwiderte Mr. Havisham, »es ist keineswegs nötig, daß er heute nacht geht. Ich werde mich nach Tische aufs Schloß begeben und Seine Herrlichkeit von unsrer Ankunft in Kenntnis setzen.«

Mrs. Errol warf einen Blick auf Cedrik, der mit unbewußter Anmut auf dem bunten Fell hingestreckt lag, während das Feuer im Kamin wechselnde Lichter auf sein golden schimmerndes Haar warf.

»Der Graf weiß nicht, was er mir nimmt,« sagte sie mit schmerzlichem Lächeln und setzte dann, zu dem Advokaten aufblickend, hinzu: »Wollen Sie die Güte haben, ihm zu sagen, daß ich sein Geld nicht will?«

»Sein Geld? Sie sprechen doch nicht von dem Jahreseinkommen, das er für Sie ausgesetzt hat?«

»Doch,« antwortete sie einfach, aber bestimmt. »Ich möchte dasselbe lieber nicht haben. Die Wohnung hier muß ich annehmen und bin dankbar dafür, denn ich könnte ja sonst nicht in der Nähe meines Kindes bleiben; aber ich habe ein kleines Vermögen, das hinreicht, um bescheiden davon leben zu können, und mehr brauche ich nicht. Bei der Natur unsrer Beziehungen könnte ich keine Wohlthaten von ihm annehmen, ohne das Gefühl zu haben, ihm Cedrik zu verkaufen, und ich lasse ihn doch nur von mir, weil ich nicht an mich denke, sondern an sein Bestes, und weil sein Vater es wünschen würde.«

»Seltsam, sehr seltsam,« sagte Mr. Havisham, sein Kinn reibend. »Der Graf wird sich ärgern, wird es ganz und gar nicht verstehen.«

»Ich glaube doch, wenn er sich's überlegt. Nötig habe ich das Geld nicht, und Luxus annehmen von seiten eines Mannes, der mich so sehr haßt, daß er mir meinen Sohn nimmt, könnte ich nicht.«

Kurz darauf wurde die Mahlzeit aufgetragen, an der alle drei teilnahmen und bei der sich auch die Katze einfand, die unter vergnüglichem Schnurren den Stuhl neben Ceddie für sich in Anspruch nahm.

Im Verlaufe des Abends begab sich Mr. Havisham noch nach dem Schlosse, wo er sofort von dem Hausherrn empfangen wurde. Er fand ihn in einem bequemen Fauteuil am Kamin, das gichtkranke Bein auf einer Fußbank. Ein scharfer, fragender Blick flog unter den buschigen Augenbrauen hervor, und Mr. Havisham erkannte wohl, daß er trotz aller zur Schau getragenen Gleichgültigkeit in großer Unruhe und gespannter Erwartung war.

»Da sind Sie ja, Havisham! Gut angekommen? Was gibt's Neues?«

»Lord Fauntleroy und seine Mutter sind in Court Lodge angelangt. Beiden ist die Reise gut bekommen und ihr Befinden ist vortrefflich.«

»Freut mich, zu hören,« sagte der Graf mit einer etwas ungeduldigen Handbewegung. »Machen Sie sich's bequem und nehmen Sie ein Glas Wein. Was sonst?«

»Der junge Lord bleibt heute nacht bei seiner Mutter. Morgen werde ich ihn ins Schloß bringen.«

Der Arm des Grafen hatte auf der Stuhllehne geruht, nun hielt er sich plötzlich die Hand vor die Augen.

»Nun so reden Sie doch weiter.