Hobbs war auch ein eifriger Zeitungsleser, und daher erfuhr
Cedrik so ziemlich alles, was in Washington vor sich ging, und
wußte immer, ob der Präsident seine Schuldigkeit that
oder nicht. Und bei der letzten Präsidentenwahl waren beide
sehr erregt gewesen und ohne Mr. Hobbs und Cedrik wäre das
Land womöglich aus den Fugen gegangen. Cedrik wurde dann auch
zu einem Fackelzug mitgenommen, und mancher Fackelträger
erinnerte sich nachher noch des untersetzten Mannes an dem
Laternenpfahl mit dem blonden Knaben auf der Schulter, der so energisch
sein Mützchen geschwungen und sein Hurra gerufen hatte.
Nicht lange nach dieser Wahl war es – Cedrik war nun
zwischen sieben und acht Jahren alt – daß das
seltsame Ereignis eintrat, welches sein Leben so ganz und gar
umgestaltete. Merkwürdig war, daß er gerade an dem
Tage mit seinem Freunde über England und die Königin
gesprochen hatte, wobei Mr. Hobbs sich sehr hart über die
Aristokratie geäußert und namentlich mit den
britischen Grafen und Marquis streng ins Gericht gegangen war. Es war
ein sehr heiterer Morgen, und Cedrik war, nachdem er mit ein paar
Kameraden Soldaten gespielt hatte, zu Mr. Hobbs gegangen, um sich
auszuruhen, und hatte denselben in entrüsteter Betrachtung der
»London Illustrated News« gefunden, die eine
Hofceremonie wiedergab.
»Ha,« sagte er, »auf die Art
treiben sie's nun, aber sie werden's schon eingetränkt kriegen
eines schönen Tages, wenn die sich aufrichten, die sie jetzt
mit Füßen treten, und das ganze Gelichter
übern Haufen werfen – Herzöge und Grafen
und all den Plunder! Das bleibt nicht aus; sie sollen sich nur
vorsehen.«
Cedrik saß wie gewöhnlich rittlings auf dem
Comptoirstuhle, den Hut aus der Stirn gerückt, die
Händchen in den Taschen, ganz Ohr.
»Haben Sie viele Marquis gekannt, Mr.
Hobbs?« fragte er ernsthaft. »Oder viele
Grafen?«
»Nein,« erwiderte Mr. Hobbs mit
Entrüstung, »ganz und gar nicht. Aber ich
möchte wohl mal so einen hier in meiner Bude klein kriegen,
dem wollte ich's klar machen, daß ich keine Räuber
und Tyrannen auf meinen Biskuitkasten sitzen und bei mir herumlungern
lassen will.«
Dies Bewußtsein erhabenen Bürgerstolzes
erfüllte ihn mit großer Befriedigung, und er wischte
sich die Stirn mit einem siegreichen Herrscherblick auf seine Kisten.
»Vielleicht sind sie nur Grafen, weil sie es eben
nicht besser wissen,« bemerkte Cedrik, in dessen kleinem
Herzen ein gewisses Mitgefühl für die
Unglücklichen aufstieg.
»Weil sie's nicht besser wissen!« sagte Mr.
Hobbs. »Da bist du ganz auf dem Holzwege, sie bilden sich ja
noch Wunder was darauf ein, die Kuckucksbrut!«
Mitten in dieser Unterhaltung erschien Mary. Cedrik nahm erst
an, sie werde irgend einen kleinen Bedarf für den Haushalt
holen, dem war aber nicht so; sie sah sehr aufgeregt aus und war so
bleich, wie man es bei ihrem Teint kaum für möglich
gehalten hätte.
»Komm heim, Liebling,« sagte sie,
»die Mama will's haben.«
Cedrik glitt von seinem erhabenen Sitze herunter.
»Soll ich mit der Mama ausgehen, Mary?«
fragte er. »Guten Tag, Mr. Hobbs. Ich komme ein
andermal.«
»Was ist denn geschehen, Mary?« forschte er
unterwegs. »Ist's die Hitze?«
»Nein, nein,« sagte Mary, »Gott,
was bei uns für Geschichten passieren!«
»Hat denn Herzlieb Kopfweh von der Sonne?«
fragte der kleine Mann, nach und nach ängstlich werdend.
Das war's aber auch nicht. Als sie das Haus erreicht hatten,
stand ein Wagen davor und im Wohnzimmer war jemand bei Mama; Mary zog
ihn eilends die Treppe hinauf, steckte ihn in sein bestes Gewand, den
weißen Flanellanzug mit der roten Schärpe, und
bürstete seine Haare glatt.
»Ein Lord!« sprach sie dabei vor sich hin.
»Lord war's ja doch! Ach, und die Verwandtschaft. Hol sie der
Kuckuck! Lord und Graf, jawohl, um so schlimmer!«
Das war wirklich alles sehr seltsam, allein er wußte
ja ganz gewiß, daß seine Mama ihm alles
erklären würde, und so ließ er Mary
ungestört ihren Gedanken nachhängen. Als er
umgekleidet war, lief er die Treppe hinunter und geradeswegs ins
Wohnzimmer. Ein großer, magerer alter Herr mit einem
scharfgeschnittenen Gesichte saß im Lehnstuhl, seine Mama
stand daneben, sie war sehr blaß, und er bemerkte auf den
ersten Blick, daß sie Thränen in den Augen hatte.
»O Ceddie!« rief sie, ihrem kleinen Jungen
entgegeneilend und ihn scheu und erregt ans Herz drückend.
»Ceddie, mein Herzenskind!«
Der große alte Herr stand auf und sah den Knaben
scharf an, wobei er sein spitzes Kinn mit der fleischlosen Hand rieb.
Der Eindruck schien ihn übrigens zu befriedigen.
»So so,« sprach er langsam, »das
ist also der kleine Lord Fauntleroy.«
Zweites Kapitel
Cedriks Freunde
In der Woche, die nun folgte, gab es wohl keinen erstaunteren
und verblüffteren kleinen Jungen als Cedrik; die ganze Woche
war aber auch höchst seltsam und unwahrscheinlich. Erstens
einmal war die Geschichte, die seine Mama ihm erzählte, eine
ganz wunderliche, und er mußte sie zwei- oder dreimal
hören, bis er sie verstand, was aber Mr. Hobbs davon halten
würde, darüber war er sich auch dann noch nicht klar.
Die Geschichte fing mit Grafen an, sein Großvater, den er nie
gesehen hatte, war ein solcher, und sein ältester Onkel
wäre dann später ein Graf geworden, wenn er nicht
durch einen Sturz vom Pferde getötet worden wäre,
nach einem Tode hätte dann sein zweiter Onkel Graf werden
sollen, der war aber in Rom ganz plötzlich am Fieber
gestorben. Nun wäre es schließlich an seinem eignen
Papa gewesen, den Titel zu bekommen, da aber alle tot waren und niemand
übrig, kam es zu guter Letzt darauf hinaus, daß er
nach seines Großvaters Tode der Graf und Erbe werden
würde – und jetzt für den Augenblick war er
Lord Fauntleroy.
Als er dies zuerst erfuhr, ward er ganz bleich.
»O Herzlieb!« sagte er, »ich
möchte lieber kein Graf sein.
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