Die beiden Indianer suchten sich Plätze, von denen sie beide Ufer überblicken konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Heyward holte ein Bündel Sassafraszweige aus der Höhle und legte es in die Felsspalte, die die beiden Höhlen trennte. Dann bat er die beiden Schwestern, sich zu setzen. Die Felsen schützten sie auf diese Weise vor jedem Geschoß. Er selbst nahm seinen Posten so in der Nähe, daß er noch leise mit ihnen sprechen konnte. Auch David hatte sich nach dem Beispiel der Waldbewohner so gut in der Felsspalte versteckt, daß seine unförmigen Glieder nicht mehr ins Auge fielen.

So waren mehrere Stunden verflossen. Der Mond hatte den Zenith erreicht und verbreitete sein mildes Licht über die Gestalten der beiden Schwestern, die Arm in Arm ruhig eingeschlummert waren. Duncan hatte für sein eigenes Haupt ein Lager auf dem Felsen gewählt. David ließ schnarchend Töne hören, die seine musikalischen Ohren beleidigt haben würden, hätte er sie gehört. Nur Falkenauge und die Mohikaner schliefen nicht. Unbeweglich daliegend schweiften ihre Augen unablässig über den dunklen Saum von Bäumen, die die benachbarten Ufer des schmalen Flusses begrenzten. Auch wer sie aufs schärfste beobachtet hätte, würde sie kaum haben atmen hören. Offenbar gründete sich diese außerordentliche Vorsicht auf eine Erfahrung, die durch keine List ihrer Feinde mehr getäuscht werden konnte. Der Mond war untergegangen, und ein blasser Streif über den Gipfeln der Bäume verkündete den Anbruch des Tages. Jetzt zum erstenmal bewegte sich Falkenauge und kroch den Felsen entlang zu Duncan, den er aus seinem tiefen Schlaf weckte.

»Es ist Zeit zum Aufbruch«, flüsterte er, »wecken Sie die Damen und machen Sie sich bereit, in das Boot zu steigen.«

»Haben Sie eine ruhige Nacht gehabt?« fragte Heyward, »mich hat der Schlaf überwunden.«

»Alles ist noch ruhig wie die Mitternacht. Seien Sie still und machen Sie schnell.«

Der Major beugte sich tief berührt von der unschuldigen Schönheit über die schlafenden Mädchen. Dann flüsterte er ihnen zu: »Cora! Alice! erwacht! Es ist Zeit aufzubrechen!«

Ein lauter Angstschrei der jüngeren Schwester, während die ältere verwirrt aufsprang, war die unerwartete Antwort. Denn kaum hatte Heyward seine leise Aufforderung ausgesprochen, als sich ein entsetzliches Gebrüll erhob. Eine Minute lang schien die Luft mit höllischen Dämonen erfüllt. Das Geschrei kam nicht aus einer einzigen bestimmten Richtung, sondern aus allen Gegenden des Waldes und anscheinend auch aus den Höhlen des Wasserfalls. David erhob seine lange Gestalt, und indem er bei diesem höllischen Lärm seine Ohren mit beiden Händen zuhielt, rief er: »Woher kommt dieser schneidende Mißton? Hat sich die Hölle aufgetan, daß ein Mensch Töne wie diese hervorzubringen vermag?«

Die hellen Blitze und der schnell folgende Knall von einem Dutzend Büchsen vom entgegengesetzten Ufer des Flusses schmetterten den unglücklichen Singmeister, der sich so unvorsichtig bloßgestellt hatte, ohne Besinnung auf den Felsen. Die Mohikaner erwiderten trotzig das furchterregende Geschrei ihrer Feinde, die ein wildes Triumphgeheul erhoben, als sie Gamut fallen sahen. Die Blitze aus den Büchsen folgten sich schnell, allein beide Parteien waren zu erfahren, um sich dem feindlichen Feuer auszusetzen.

Heyward lauschte mit ängstlicher Erwartung, ob sich nicht Ruderschläge hören ließen, weil er nur in einer schleunigen Flucht die einzige Rettung sah. Der Fluß strömte schimmernd in gewöhnlicher Schnelligkeit vorüber, aber das Kanu war auf seinen dunklen Wellen nirgends zu sehen. Er bildete sich schon ein, der Kundschafter habe sie in ihrer Not verlassen, als aus dem Felsen unter ihm ein Blitz hervorbrach. Ein gellender Schrei sagte ihm, daß Falkenauges mörderische Waffe ein Ziel gefunden habe. Nach diesem Verlust zogen sich die Angreifenden schnell zurück, und allmählich ward der Platz wieder so still, wie vor der wilden Schießerei.

Der Major eilte zu David und trug ihn in die enge Felsenkluft, die bisher den Schwestern Schutz geboten hatte. Einige Augenblicke später hatten sich alle an diesem Ort versammelt, der wenigstens einigermaßen sicher zu sein schien.

»Der arme Teufel hat diesmal noch seinen Schädel gerettet!« erklärte Falkenauge. »Es war unklug von ihm, auf einem kahlen Felsen den raubgierigen Wilden sechs Fuß Fleisch und Blut zu zeigen.«

»Ist er nicht tot?« fragte Cora mit gedämpfter Stimme. »Können wir dem Unglücklichen irgendwie helfen?«

»Nein! es ist noch Leben in ihm, und wenn der Psalmensänger etwas geschlafen hat, wird er wieder zu sich kommen und sich in Zukunft klüger benehmen«, antwortete Falkenauge.