Eine lange atemlose Stille trat ein, angstvoll sah einer den anderen an in der Furcht, daß der entsetzliche Schrei sich wiederholen werde. Endlich wurde der Vorhang langsam emporgehoben, und der Kundschafter stand am Eingang mit einer Miene, die deutlich verriet, daß er bei aller seiner Erfahrung mit diesem furchtbaren Erlebnis nicht fertig werden konnte.

Siebentes Kapitel

 

»Es hieße eine Warnung vernachlässigen«, sagte Falkenauge, »wenn wir uns hier noch länger verborgen hielten, während diese Schreie sich im Wald hören lassen. Die zarten Damen mögen hierbleiben, indes ich und die Mohikaner auf dem Felsen Wache stehen. Hoffentlich wird uns dort ein Major vom sechzigsten Regiment Gesellschaft leisten.«

»Ist die Gefahr groß?« fragte Cora.

»Nur wer diese seltsamen, anscheinend warnenden Schreie hervorbringt, kennt die Gefahr. Selbst die schwache Seele des Psalmensängers ist so aufgeregt durch jenen Schrei, daß auch er zu kämpfen bereit ist. Käme es nur zu einem Kampf, der ließe sich leicht abmachen. Allein ich habe gehört, daß andere Gefahr droht, wenn sich so furchtbare Töne zwischen Himmel und Erde hören lassen.«

»Wenn diese Schreie übernatürliche Ursachen haben, so dürfen wir uns deshalb nicht zu sehr beunruhigen«, fuhr das unerschrockene Mädchen fort. »Seid Ihr aber auch sicher, daß unsere Feinde nicht irgendeine neue List ausgesonnen haben, damit ihr Sieg ihnen um so leichter gelinge?«

»Lady«, erwiderte der Kundschafter feierlich, »ich habe beinahe dreißig Jahre alle Laute in diesen Wäldern gehört. Es gibt kein Winseln des Panthers, kein Pfeifen der Spottdrossel, noch irgendeine Erfindung der Mingos, die mich täuschen könnte. Ich habe die Wälder wehklagen hören, habe oft der Musik des Windes gelauscht, wenn er durch die Zweige der Bäume streicht. Ich habe den Blitz gehört, wie er, dem Krachen eines brennenden Holzstoßes gleich, durch die Luft fuhr. Aber ich hörte immer nur den hohen Willen Gottes, der mit den Werken seiner Hand spielt. Den eben vernommenen Schrei aber kann ich nicht erklären.«

»Es ist seltsam!« rief Heyward und nahm seine Pistolen, »mag es aber ein Zeichen des Friedens oder des Krieges sein, man muß es ergründen. Zeigen Sie mir den Weg, Freund, ich folge.«

Alle, auch die Frauen, traten jetzt aus der Höhle. Ein starker Abendwind strich über die Oberfläche des Stromes hin und schien die herabstürzenden Gewässer in ihre Höhlen zurückzutreiben, aus denen ein heftiges und ununterbrochenes Donnern heraufscholl. Der Mond war aufgegangen, und sein Licht schimmerte schon hier und dort auf der Höhe des Wasserfalls; der Felsen aber, auf dem sie standen, lag noch in tiefem Schatten. Trotz der lärmenden Wasser lag die Landschaft in der Ruhe der Nacht und der Einsamkeit. Aller Augen schweiften vergeblich zum jenseitigen Ufer. Aber die ängstlich unherspähenden Blicke täuschte das trügerische Licht.

Da ertönte plötzlich wieder dieser Schrei, wie aus dem Flußbett kommend. Nachdem er die engen Felsenklüfte verlassen hatte, hörte man ihn im Wald verhallen.

»Vermag irgend jemand unter uns diesen Ton zu erklären?« fragte Falkenauge, »ich bin überzeugt, daß dieser Klang nicht der Erde angehört.«

»Ich kenne diesen Ton«, behauptete Duncan, »denn ich habe ihn oftmals auf dem Schlachtfeld gehört. Es ist das furchtbare Angstgeschrei, das ein Pferd im Todeskampf ausstößt. Mein Roß ist entweder schon in den Klauen der Raubtiere des Waldes oder es sieht die Gefahr nahen. Der Ton konnte mich in der Höhle wohl täuschen, jetzt aber im Freien bin ich überzeugt, daß ich mich nicht irre.«

Die beiden Indianer riefen ihr ausdrucksvolles »Hugh!«, da die Wahrheit der Erklärung ihnen einleuchtete. Der Kundschafter aber sagte: »Ich kann Ihren Worten nicht widersprechen, da ich mich wenig auf Pferde verstehe. Die Wölfe streichen vermutlich über ihren Köpfen am Ufer umher, und die armen Tiere rufen, so gut sie können, um menschliche Hilfe. - Unkas«, gebot er in der Delawarensprache, »fahre in dem Kanu hinüber und schleudere einen Brand unter die Wölfe, sonst haben wir morgen früh keine Pferde.«

Der junge Eingeborene war bereits zum Fluß hinabgestiegen, als sich ein langes Geheul am Ufer des Stromes hören ließ, das sich schnell in die Tiefe des Waldes entfernte, als ob ein plötzlicher Schreck die Raubtiere von ihrer Beute vertrieben hätte. Unkas kehrte mit instinktmäßiger Hast zurück, und die drei sprachen ernst und leise miteinander.

»Wir sind wie Jäger, denen die Kennzeichen am Himmel verlorengingen und die Sonne sich tagelang verbarg«, sagte Falkenauge zu den Reisenden. »Setzt euch in den Schatten dort am Ufer, er ist dichter als dort unter den Tannen. Wir wollen ruhig erwarten, was Gott uns zunächst schickt. Sprecht nur flüsternd miteinander; überhaupt wäre es besser, wenn jeder unter uns seinen eigenen Gedanken nachginge.«

Der Kundschafter sprach ernst, doch ohne ein Zeichen von Furcht.