Der Menschenfresser ist ein ungeheuer großes Tier, und wenn ich ihn nahe genug herankommen lasse, kann ich ihn gar nicht fehlen. Was ein Deutscher vermag, der nicht einmal hier geboren ist, das kann auch ich, der ich ein Sohn dieses Landes bin. Ich biete dir eine Wette an, daß ich, wenn der Löwe kommt, ganz dasselbe thue, was du unternimmst.«
»Gut! Um was wetten wir?«
»Setzest du deine Uhr und dein Fernrohr gegen meine Visionsflinte?«
»Ja.«
»Und du scherzest auch nicht?«
»Nein. Gehst du also die Wette ein?«
»Ja; ich schwöre es bei Allah und dem Barte des Propheten. Willst du etwa zurücktreten?«
»Nein. Du hast bei Allah und dem Barte des Propheten geschworen und kannst also auch nicht zurück. Erst widersprachst du mir aus Unglauben; dann kam dir das Verlangen nach der Uhr und dem Rohre. Du glaubst, dieser beiden Gegenstände sicher zu sein, da du überzeugt bist, daß ich, falls der Löwe ja erscheint, ganz hübsch und vorsichtig am Feuer sitzen werde. Aber du irrst dich.«
Er sah eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:
»Ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaube es dir nicht.«
»Und ich denke zwar nicht, daß das Tier kommen wird, aber falls es kommt, werde ich dir beweisen, daß du dich irrst. Die Wette gilt?«
»Ja; ich habe ja geschworen.«
»So bitte deinen Propheten, den Löwen fern zu halten. Wenn er dir diesen Wunsch nicht erfüllt, ist es um deine berühmte Visionsflinte geschehen. Jetzt wollen wir über unseren Gefangenen - -«
Ich wurde unterbrochen, denn es erschien am westlichen Rande der Lichtung ein Kamelreiter, welcher bei unserem Anblicke ziemlich betroffen halten blieb und uns betrachtete. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob es besser sei, an uns vorüber zu reiten oder nach dem Brunnen einzubiegen, doch entschloß er sich für das letztere, trieb sein Tier auf uns zu, stieg ab und sagte:
»Ehe ich den Sallam über meine Lippen gehen lasse, sagt mir, wer euer Anführer ist!«
»Ich bin es,« antwortete ich.
»Das sind Asaker (* Asaker ist Plural von Askari = Soldat.); du aber scheinst kein Askari zu sein. Wie soll ich es mir da erklären, daß du dich deren Anführer nennst?«
»Macht die Uniform den Askari?«
»Nein. Ich will dir glauben. Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?«
»Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.«
»Das ist doch kein Verbrechen?«
»Nun, dann Menschenraub!«
»Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!«
Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.
»Werde ich?« fragte ich ihn. »So! Mit welchem Recht und aus welchem Grunde erwartest du denn, daß ich dies thun werde?«
»Weil ich es sage, der Fakir el Fukara.«
»Schön! Und ich bin der Askari el Asaker und thue nur das, was mir beliebt.«
Fakir el Fukara ist Fakir der Fakire, also der beste, der vorzüglichste Fakir; darum nannte ich mich den Soldaten der Soldaten, also den vorzüglichsten Soldaten. Er schien diese Antwort nicht erwartet zu haben, denn er fragte:
»Kennst du mich denn nicht? Hast du noch nichts von dem Fakir el Fukara gehört?«
Indem er dies sagte, sah ich, daß er mit dem alten, »ehrwürdigen« Fakir, welcher gebunden am Boden lag, einen Blick des Einverständnisses wechselte. Sie kannten sich also, und so antwortete ich:
»Nein; aber meine Gefangenen kennen dich.«
»Woher weißt du das?«
»Du selbst hast es mir gesagt.«
»Ich weiß nichts davon. Wann denn?«
»Eben jetzt. Dein Auge sagte es mir. Du gabst diesem alten Abd Asl ein Versprechen, welches du nicht halten kannst.«
»Ich werde es halten. Frage deine Gefangenen, so werden sie dir sagen, daß ich mächtig bin und sehr wohl weiß, daß ich ein Versprechen, welches ich gegeben habe, auch zu halten weiß.«
»Frage sie vorher nach mir, so werden sie dir wohl mitteilen, daß in diesem Augenblicke ich es bin, der die Macht in den Händen hat. Wer und was du bist, das ist mir sehr gleichgültig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina, also an Stelle des Khedive.
1 comment