Da liegt mein Kamel. Was ist mit ihm geschehen?«
»Der Fessarah hat es angeschossen, weil er es für einen Löwen hielt.«
»Dieser Dummkopf! Die Angst hat ihn blind gemacht. Ist es schwer verwundet?«
»Ja; es kann nicht auf, und wenn du es mir erlaubst, so werde ich es durch einen Schuß von seinen Qualen erlösen.«
»Warum willst du das kostbare Pulver und Blei verschwenden? Laß es liegen; es wird von selbst sterben.«
»Das würde grausam sein. Ein Tier ist ebenso Gottes Geschöpf wie der Mensch.«
»Thue, was du willst; ich habe nichts dagegen. Aber was fange ich nun ohne Reittier an? Soll ich laufen?«
»Nein. Ich werde dir eins von den erbeuteten Kamelen schenken. Jetzt wollen wir den Löwen nach dem Brunnen schaffen, damit ich ihm das Fell nehmen kann.«
Ich gab dem Kamele den Gnadenschuß; dann gehörten acht Asaker dazu, den mächtigen Körper des Löwen fortzuschleifen. Er wurde nach einem der Feuer gebracht, wo ich ihm den gelbbraunen »Rock« auszog, wie Ben Nil sich ausdrückte. Natürlich sprach man nur von dem Löwen, und alles andere ruhte. Der Fessarah kam in sehr niedergeschlagener Haltung herbei und wurde mit ironischen Lobpreisungen überschüttet. Er ließ sie über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwidern, und das war das beste, was er thun konnte. Er legte seine berühmte Flinte weg und sagte:
»Hier liegt sie; geben kann ich sie dir nicht, denn das wäre eine Versündigung an dem Urvater meiner Urahnen. Bist du wirklich so grausam, mich ihrer zu berauben, so nimm sie weg.«
»Ja, ich nehme sie, denn sie ist mein rechtmäßiges und wohlverdientes Eigentum.«
Er hatte auf meine Nachsicht gerechnet; als er sie jetzt in meinen Händen sah, schlug er die seinigen über dem Kopfe zusammen und wehklagte:
»O Allah, o Himmel, o tiefes Herzeleid meiner Seele! Nun bin ich des Ruhmes meiner Ahnen, des Vermächtnisses meiner Vorfahren beraubt und darf mich nie wieder in den Dörfern meines Stammes sehen lassen. Wo ich erscheine, wird man mit Fingern auf mich deuten und über mich rufen: Das ist der Mann, der das Kleinod seines Stammes verspielt und die Ehre seiner Vorfahren verwettet hat; Schande über ihn! Mir bleibt nichts übrig, als in Thränen zu zerlaufen und mich in Zähren aufzulösen. Mein Herz schwimmt in der Flut des Grames, und mein Leben taucht unter in das Wasser des Seelenschmerzes, O Allah, Allah, Allah!«
Es fiel mir nicht ein, die Flinte zu behalten; ich nahm sie nur für einstweilen weg, um ihn für seine Prahlereien ein wenig büßen zu lassen; das konnte ihm nichts schaden. Er streckte sich lang auf den Boden aus, verhüllte mit dem Kopftuche sein Gesicht und verhielt sich von jetzt an vollständig schweigend. Desto lauter und lebhafter waren die Asaker, welche nicht müde werden konnten, das Löwenabenteuer immer von neuem zu besprechen. Sie thaten das in ihrer überschwenglichen orientalischen Weise, und wenn ich nach ihren Ausdrücken beurteilt werden sollte, so war ich nicht nur der größte Held der Erde, sondern überhaupt ein Mann, wie es noch keinen gegeben hatte und auch später niemals einen geben könne. Als dann erst gegen Mitternacht dieses Thema erschöpft zu sein schien, hielt Ben Nil es für an der Zeit, auf das seinige zurückzukommen. Er verlangte die Bestrafung des alten Emirs Abd. Asl. Er war durch den Angriff des Löwen unterbrochen worden und drang nun darauf, daß die Angelegenheit erledigt werde. Als der Fakir el Fukara dies hörte, stand er auf und sagte zu mir:
»Effendi, vorhin trat ich auf, um das Leben dessen, den ihr richten wollt, zu verteidigen, denn er ist mein Freund. Wir kennen uns noch viel näher, als du wissen kannst und ahnst. Ich sehe aber ein, daß ich zu schwach gegen euch bin. Meine Gegenwehr würde ihm nichts nützen. Du bist ja, wie du auch gesagt hast, ganz allein im stande, es mit zehn Fukara el Fukara aufzunehmen. Ferner hast du mich vom Löwen errettet, und ich bin dir Dankbarkeit schuldig. Darum will ich dir nicht widerstehen. Ich mische mich also nicht in diese Angelegenheit; aber meine Augen dürfen nicht den Tod meines Freundes erblicken, und darum werde ich mich zurückziehen, bis es vorüber ist.«
Er ging fort, über den Kreis der Kamele hinaus, und setzte sich dort so nieder, daß er uns den Rücken zukehrte.
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