Es handelte sich durchwegs um Seitenstraßen, die in der Nähe wichtiger Hauptstraßen lagen. Neben verschiedenen Zeit- und Ortsangaben waren farbige Striche in Rot, Gelb, Blau und Grün gezogen. Allerdings hatte diese Striche jemand mit Bleistift durchgekreuzt und das Wort ›Gelb‹ danebengeschrieben.

»Können Sie sich darauf einen Reim machen, Mr. Reeder?« fragte der Beamte von Scotland Yard, der den Detektiv begleitete.

Reeder zog die Stirn in Falten.

»Es könnte ein Verzeichnis von Treffpunkten sein. Vielleicht wartete an jeder der angegebenen Stellen ein Auto auf Mr. Reigate, das er im Notfall benützen konnte! Den Angaben auf diesem Blatt nach waren es vier Wagen – aber aus irgendeinem Grund ließ sich der Plan so nicht durchführen. Die einzelnen Farben weisen wohl auf ein bestimmtes Kennzeichen hin, das jeweils an den Wagen angebracht war.«

Einige Stunden später erläuterte Mr. Reeder in Scotland Yard seine Theorie vor einem Kreis interessierter Zuhörer:

»Es zeichnet sich immer mehr die Tatsache ab, daß wir es hier mit einer Organisation zu tun haben, die sich vorgenommen hat, alle Banken in London zu plündern. Die Bande ist noch viel gefährlicher, als ich annahm. Wir haben jetzt den Beweis dafür, daß sie vor nichts haltmacht und aufs Ganze geht. Reigate wurde ermordet, weil sie damit rechneten, daß er sie verraten würde. Mit dieser Vermutung hätten sie übrigens höchstwahrscheinlich recht gehabt!«

 

Auch an diesem Abend saß Mr. Reeder wieder in seiner Wohnung und grübelte über den Fall nach. Wie es seine Gewohnheit war, versuchte er, sich in die Lage eines Verbrechers zu versetzen. Er organisierte im Kopf und auf dem Papier verschiedene Bankraube, arbeitete ganze Systeme von Betrügereien aus und stellte sich bis ins einzelne die Schwierigkeiten vor, mit denen eine solche Organisation zu kämpfen hatte. Immer wieder stieß er dabei am Ende seiner Überlegungen auf die Hauptschwierigkeit der Flucht. Wie es der Bande gelang, Leute aus England herauszuschaffen, deren Personalbeschreibung genauestens bekannt war, blieb ihm unerklärlich. Schließlich wußten doch die Verbrecher genau, wie schwer es gerade von England aus war, unbemerkt ins Ausland zu entkommen. Alle Häfen konnte man beobachten, alle Flugplätze schärfstens kontrollieren. Wurde ein Verbrecher gesucht, von dem man annahm, daß er auf den Kontinent flüchten wollte, gab es buchstäblich keinen einzigen Reisenden, den die Polizei nicht genauestens unter die Lupe genommen hätte, bevor er die Insel verließ.

Stundenlang ließ sich Mr. Reeder solche Fragen durch den Kopf gehen.

Natürlich mußte es der Organisator einer Bande vermeiden, daß seine Helfershelfer mit der Polizei in Berührung kamen. Er mußte sie also zu einem Versteck bringen, in dem sie nicht entdeckt werden konnten.

Auch im Fall Reigate lag dies klar zutage. Dem Mann schlug sein Gewissen, und obwohl er sich zuerst in Sicherheit hatte bringen wollen, fand er doch keine Ruhe, bis er sich entschloß, ein volles Geständnis abzulegen. Nachdem er sich zu diesem Entschluß durchgerungen hatte, floh er aus dem Versteck, wo man ihn festhielt, und suchte Reeder auf – seine Schwester hatte ja gesagt, daß er die genaue Adresse kannte.

Gegen Mitternacht erhob sich Mr. Reeder von seinem Schreibtisch, steckte sich die dreißigste Zigarette an, lehnte sich mit dem Rücken an den Kamin und dachte weiter nach.

Als er sich endlich zur Ruhe legte, hatte er das bestimmte Gefühl, daß er der Lösung des Rätsels zumindest nähergekommen war. Alle merkwürdigen Ereignisse der letzten Monate mußten sich aufklären lassen, wenn es ihm nur gelang, noch einige wichtige Umstände zu klären.

 

Am nächsten Morgen saß Mr. Reeder in seinem Büro und las eifrig in einem Buch. Wenn jemand sich die Lektüre des Detektivs genauer angesehen hätte, wäre er bestimmt erstaunt gewesen. Es war nämlich seine Lieblingsbeschäftigung, sich in Märchenbücher zu vertiefen, doch pflegte er dies vor den Augen anderer ängstlich zu verbergen.

Er war fast am Ende des Buches angelangt, als sich draußen jemand räusperte und an die Tür klopfte. Das konnte nur einer der Büroangestellten sein.

Mr.