Die mußte fest und gesund sein! Sie bewegte sich, wie frohe Menschen tun. Die Füße waren nackt. Ein grauer Zwilchkittel hing bis zu den halben Waden hin. Sie trug kein Wams, kein Mieder; über dem groben Hemde war nur mit Lederriemen und kleinen Hirschhornknebeln ein roter Tuchstreifen um die Brüste geschnürt, die leise zitterten, sooft das Mädchen von einem Moosbuckel zum nächsten hinübersprang. Das straff gezopfte Schwarzhaar lag wie eine dicke, schwere Haube um das strenge, sonnverbrannte Gesicht, in dem die blauen, wunderlich ruhigen Augen sich ansahen wie verläßliche Sterne.
»Beim Wald da drüben«, sagte sie mit ihrer herben Knabenstimme, »wo der Weg ausgeht, da hättest umwegs gegen den Berg hin müssen. Der grade Weg ist nit allweil der beste.« Sie sprach so bedächtig, wie kluge Menschen reden, die schon in Jahren sind.
Er sah sie schweigend an und dachte: ›Tut wie ein Altes und ist ein paar Jährlein über die Zwanzig!‹
Sie hatte den letzten Moosbuckel erreicht, blieb mit dem einen Fuße drüben und stellte den andern auf des Pongauers Insel neben den Huf des Pferdes hin.
Da fragte der Reiter: »Bist du die Hirtin auf dem Hängmoos?«
Sie gab keine Antwort. Ihre geschickten Hände lösten flink eine Schnalle des Riemenwerkes und streiften das Zaumzeug über den Kopf des Pferdes herunter. Mit Tieren verstand sie umzugehen. Moorle wurde ruhig, sobald er diese Hände spürte, und drehte schnuppernd die Schnauze gegen die Hirtin hin. Sie zog dem Reiter den Zügel fort, den er noch immer festhielt, hängte das Zaumzeug über die Schulter und sagte: »Absteigen mußt! Lang hab ich nit Zeit. Vor Nacht muß ich meine siebzehn Küh noch melken.«
Der kühle Bergschatten wanderte schon über das Sumpfland hinaus, und im Tale draußen bohrten sich die schwarzblauen Schattenkegel immer tiefer in den gelben Sonnenduft.
»Absteigen? Und der Gaul?«
»Ohne Bürd hat er's leichter, als wenn er tragen muß.«
Während der Reiter auf der andern Seite des Pferdes aus dem Sattel glitt – ein bißchen vorsichtig – zerrte die Hirtin rasch die Schnallen des Gurtes los und nahm den Sattel auf ihren Nacken.
»Nein, du! Den laß mich tragen!«
»Du wirst Augen und Händ für den Weg brauchen.« Sie wandte sich und machte wieder diese raschen, sicheren Sprünge über die grünen Mooskissen im Schlamm.
Ein bißchen lachend, schlüpfte der Reiter unter dem Bauch des Pferdes durch, wobei sein grünes Hirschlederwams über den Rücken hin eine Färbung ins Graue bekam. Nur an der Brust dieses Wamses und auf der Oberseite der mit violettem Tuch geflügelten Ärmel blieb noch die schöne Farbe. Alles andre – die gelb gestülpten Reitschuhe mit den Stachelsporen, die violetten Strumpfhosen und der Ledergurt mit dem Wehrgehenk – alles war grau geworden. Diese Graumannsfärbung wurde auf dem weiteren Wege noch befördert. Die Hirtin hatte richtig prophezeit: Nicht nur die Augen, auch die Hände wurden ihm nötig. Bald lachte er, bald schalt er wieder, wenn er bei einem Sprung daneben trat, und immer warf er einen Blick nach der Hirtin, wie in Sorge, ihr spottendes Lachen hören zu müssen. Aber sie wandte keinen Blick nach ihm, sie sprang und sprang, wobei die Eisenbügel des Sattels leise klirrten, und kümmerte sich nimmer um den Weglosen, den zu führen sie gekommen war.
Moorle, auf seiner kleinen Insel, betrachtete diesen Vorgang mit wachsendem Erstaunen. Er streckte den Hals und wurde ungeduldig. Und als er die Hirtin neben seinem Herrn, der das schlanke Mädchen noch um einen halben Kopf überragte, auf den schönen, grünen Almboden treten sah, stieß er ein Gewieher aus und machte einen verzweifelten Sprung. Bis an die Schultern versank er, schlug und arbeitete, kam in die Höhe, tauchte wieder hinunter, fand eine hilfreiche Insel, zögerte und ließ sein Wiehern klingen, hörte den sorgenvollen Lockruf seines Herrn und machte rasende Sprünge. Und als der Rappe den sicheren Almboden erreichte, bis über den Hals herauf in einen Eisenschimmel verwandelt, begann er wie in bewußter Rettungsfreude ein so irrsinniges Umhertollen, daß die Kühe, Kalben und Ochsen vor Schreck mit gehobenen Schwänzen unter rasselndem Schellenklang davonrannten. Moorles junger Herr begann bei diesem Bilde heiter zu lachen. Auch den strengen Mund der Hirtin kräuselte ein Lächeln. Die Kühe, die vor dem lebensfreudigen Moorle Angst bekamen, liefen ihr zu, und während sie den Weg zur Hütte nahm, war die halbe Herde des Ahnfeldes um sie herum, ein dicker Kranz von fetten Rücken und gehörnten Wackelköpfen.
Da tauchte hinter einem Steinhügel eine kleine, verkrüppelte Menschengestalt auf. Ein Knabe? Oder ein Greis? Das Gesicht war blaß und runzlig, aber die Augen waren jung – es waren die gleichen blauen Augen, wie sie in dem strengen, sonnverbrannten Gesicht der Hirtin glänzten. Arme und Beine waren mager und kurz, der von schwarzen Haarsträhnen umhangene Kopf saß tief zwischen hohen Schultern, und der Rücken war zu einer häßlichen Krümmung entstellt. Doch dieser Krüppel war besser gekleidet, als sich die Bauernsöhne in den Tälern drunten zu tragen pflegten; fast sah er aus wie ein verzärteltes Herrenkind, das man durch schmuckes Gewand für die Mißgestalt seiner Glieder entschädigen wollte. In der einen Hand hielt er ein kurzes, gebogenes Messer, in der andern ein Stück weißen Lindenholzes, aus dem eine fliegende Schwalbe halb herausgeschnitten war.
Die Hirtin ging mit dem Sattel auf eine hölzerne Hütte zu und machte dem Krüppel, der sich hinter einem Felsblock verbergen wollte, rasche Zeichen mit der Hand. Er schien zu verstehen, schien ruhiger zu werden, nickte, sah hinüber, wo der Fremde stand, und schnitt von dem Lindenholz einen Span herunter. Dann legte er Holz und Messer auf einen Fels, näherte sich mit gaukelndem Säbelgang dem fremden Jüngling und begann, ihm, ohne ein Wort zu sagen, mit der Spankante den grauen Schlamm von den Kleidern herunterzuschaben.
Der Fremde ließ sich das eine Weile lachend gefallen.
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