Dann fragte er: »Wer bist du?« Und weil er keine Antwort bekam, faßte er den Krüppel an der Schulter. »Du! Red doch ein Wort! Wer bist du?«

Das Gesicht erhebend, lallte der Krüppel mit schwerer Zunge ein paar sinnlose Laute und machte mit dem graugewordenen Span ein Zeichen gegen Mund und Ohr. Dann fing er wieder zu schaben an.

Ein Taubstummer?

Schweigend betrachtete der Fremde den kleinen, fleißigen Kobold, und weil er an ihm diese blauen Augen sah, wandte er in fragendem Verwundern das Gesicht zur Hütte hinüber.

Da drüben stand die Hirtin und reinigte am Brunnentrog den Sattel und das Riemenzeug. Dann ging sie auf den grasenden Moorle zu, streckte die Hand und lockte mit leisen Lauten. Das Pferd streckte den Hals und schnupperte, ließ sich an der Mähne fassen, folgte der Hirtin willig zum Brunnentrog und hielt verständig unter den Wassergüssen aus, mit denen ihm die Hirtin den Schlamm von Leib und Gliedern spülte. Und ließ sich trocknen mit einem Tuche, ließ sich satteln und zäumen.

Die Hirtin schien die Tiere liebzuhaben, auch dieses fremde. Unter leisem Schwatzen faßte sie den Moorle an der Schnauze, und in ihrem stillen, strengen Gesicht erwachte eine warme Herzlichkeit, während sie dem Pferd die Nüstern streichelte und ihm die Büschel des dicken Stirnhaars aus den Augen strich. Dann hängte sie die Zügel über den Brunnenstock, gab dem Pferd einen leichten, zärtlichen Schlag auf den schwarzglänzenden Hals und trat in die Hütte.

Moorle sah der Hirtin nach und wieherte.

Sie kam aus der Türe, zwischen den Händen eine hölzerne Schale, die mit Milch gefüllt war, und ging zu der Stelle hinüber, wo der Fremde sich schaben ließ. Bei seinem Anblick mußte sie ein bißchen schmunzeln. Aber dieses leichte Gekräusel ihrer Lippen war schon wieder verschwunden, als sie die Milchschale auf eine Steinplatte stellte mit den Worten: »Wenn dich dürsten tät?« Sie deutete gegen das Waldtal hinunter. »Dort geht der Karrenweg. Da kannst du nimmer fehlen. Jetzt muß ich zur Arbeit. Gottes Gruß!«

Sie wollte gehen.

»Du!« sagte er mit raschem Laut.

Ruhig wandte sie das Gesicht.

»Laß dir Vergeltsgott sagen für alle Treuung an mir und meinem Gaul.«

»Ist gern geschehen. In der Einöd müssen die Leut einander helfen. Wo viel beinander sind, müßten sie's auch. Aber da tun sie's nit. Und keifen und beißen wie die hungrigen Hund bei der Schüssel.«

Er sah sie mit wachsendem Staunen an. Diese seltsamen Worte! Aus dem Mund einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber es war in diesen Worten weder Groll noch Bitterkeit. Ganz ruhig hatte sie das gesagt. Und wieder, weil sie gehen wollte, rief er hastig: »Du!« Er hätte noch gern geschwatzt mit ihr. In diese blauen, ruhigen Augen war ein gutes Schauen.

Sie lächelte ein wenig. »Jetzt muß ich schaffen.«

»Da muß ich dich gehen lassen, freilich. Man wär bei dir gut aufgehoben. Der arme, kranke Bub da, der ist wohl bei dir in Pfleg?«

Die Hirtin schüttelte den Kopf, während sie mit einem Blick voll heißer Liebe an dem Krüppel hing. »Das ist mein Bruder.« Dann ging sie davon.

Er blickte auf den eifrig schabenden Krüppel hinunter und sah der Hirtin nach. Wie ist das möglich? Daß aus dem Schoß der gleichen Mutter solch eine Mißform ins Leben fallen kann? Und solch ein festes, helles und aufrechtes Menschenkind?

Freundlich fuhr seine Hand über das Schwarzhaar des Krüppels hin. Er schob den Buben, der immer noch zu schaben hatte, von sich fort und ging, mit einem violetten und einem grauen Bein, zu der hölzernen Milchschale hinüber, tat den Trank eines Durstigen und legte eine Silbermünze neben die Schale. Der Krüppel lallte einen zornigen Laut, griff nach der Münze, schob sie in die Gürteltasche des Fremden und säbelte mit den kurzen Beinen zu dem Stein hinüber, auf dem sein Messer neben der geschnitzten Schwalbe lag.

»Guck nur, wie stolz!« Es war wie Ärger in diesen Worten. Das lange, lichte Braunhaar aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd, schritt der Fremde zum Brunnen hinüber und stieg in den Sattel.