Jakob in der Einöd', Herr Amtsbruder. Ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden werden, nicht fünfe, denen es so recht wohl und friedlich erginge. Alles herabgebracht vom Elend.

HELL. Das ist traurig, sehr traurig! Wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts, gar nichts dawider thun können!

VETTER. Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter, einige, die es haben, leben jedenfalls besser als ich, ich neide es ihnen nicht – nur einem geht's gar elend, das ist der Schulmeister: winters über plagt er sich mit den Kindern, sommers laufen die ins Feld und er könnte sich wohl selbst zur Feldarbeit verdingen, wenn er es thun wollte, aber er will nicht. Ein eigener Mann, der Schulmeister, hat so überspannte Ansichten, will die Erde nicht recht als Prüfungsort gelten lassen und glaubt, die Menschen werden doch einmal ein Paradies daraus machen und der Herr seinen Segen dazu geben! – Hehehe! – Aber sonst ein braver Mann, der Schulmeister; sitzt aber seit Jahren nun da oben, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft, hofft noch immer, ich weiß nicht auf was.

HELL ergriffen, faßt über den Tisch mit beiden Händen die Rechte Vetters. Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so mutlos, so resigniert?

VETTER. Ach nein, ich war ja auch jung, aber wir werden doch alle so, der Esprit du corps, möcht' ich sagen, lehrt uns das Auffällige meiden und das Gute, das sich im bescheidenen Kreise thun läßt, drängt sich von selbst auf; da kommen die Ortsarmen, da kommen die Beichtkinder und zu den Sterbenden geht man hin, und im übrigen läuft die Welt so nebenher, ohne daß wir ihrer achten.

HELL fährt sich mit der flachen Hand über den Scheitel und sagt dann rasch, wie um auf ein anderes Thema zu kommen. Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht?

VETTER. Nun, früher ist's wohl leidlich gegangen, da konnte ich sie zu manchem Guten anhalten; aber jetzt, letztere Zeit, kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und schreien und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Eines hat freilich bisher immer als letztes Mittel geholfen und würde es wohl noch; das war, daß ich sagte: ich würde nun mich ganz von der Seelsorge zurückziehen, gehen, und im Priesterhause meine Tage beschließen und sie könnten dann sehen, wie sie mit einem neuen Pfarrer auskämen, der wohl, wie alle jüngeren, auch in weltlichen Gemeindeanliegen wird mit raten und thaten wollen! Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluß gefaßt, zu gehen, es wollte schon eine Zeit her nicht mehr recht fort mit mir, ich bin nicht wie der Schulmeister, der hofft Näher rückend. und, Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich; er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht – wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben – so steh' ich denn allein und wenn ich heut oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen, darum bin ich nun ernstlich entschlossen und lass' jetzt die – wie es die Politiker nennen – die Kabinettsfrage aus dem Spiel, denn ob die Gemeinde nachgeben würde oder nicht, ich würde ja doch gehen und ich will ihr auch nicht einen frommen Betrug spielen. Weil ich das nicht wollte, haben sie diesmal in einer Angelegenheit wenig nach mir gefragt und weil ich das Drohen sein ließ, muß ich mich jetzt aufs Bitten legen und das thue ich bei Ihnen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen.

HELL. Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut.

VETTER. Die Sache ist die. Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte mit ihrer Hände Arbeit und dabei recht christlich ihr einzig Kind, ein Mädchen, erzog, das wuchs so heran, half bei der Arbeit, und so ging's denn Jahr für Jahr, ein mühselig, einförmiges Leben! Fiel dann einmal eine Krankheit die Alte oder das Mädel an, nun so mußte obendrein geborgt werden und so ward das wenige liegende Eigentum, die Hütte und ein paar Joch Aecker richtig ganz verschuldet. Vorige Woche nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen, was vorhanden war, in Beschlag und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern; das arme Kind steht jetzt obdachlos, ganz einsam und verlassen auf der Welt. Wie ich bemerkte, ich konnte diesmal mich nicht so ins Mittel legen, daß es fruchten mochte, denn es ist viel, von diesen Leuten zu verlangen, daß sie entsagen, wo sie selbst kaum das Nötigste haben, das verhärtet das Herz; da hab' ich denn den Sarg der Alten aus Eigenem bezahlt und wegen der Jungen den Gang zu Ihnen gemacht. Ich weiß wohl, Sie haben die alte Brigitte, die haushält, aber die seufzt auch schon, wie ich höre, daß es ihr schwer ankomme, unserem Schulmeister hat sie ihre Not geklagt, er ist mit ihr verwandt; da dachte ich mir, ich wag' es, Sie zu bitten, daß Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben.

HELL. Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen.

VETTER. Nun, das ist recht christlich. Es ist ein recht braves, gescheites, anstelliges Dirndl; ich habe sie hieherbestellt, daß Sie sie sehen können; gefällt sie Ihnen etwa nicht, nun dann kann ich sie ja wieder mit mir nach Einöd nehmen und sie dort bei irgend einem Bauer als Magd – freilich nicht so gut, als ich es mit ihr meine – unterbringen.

HELL. Ihre Empfehlung genügt. Die Sache ist abgemacht. Gibt ihm die Hand.

VETTER schüttelt ihm die Hand. Ich danke Ihnen recht sehr!

 

Siebente Scene.

Vorige. Brigitte durch die Mitte.

 

BRIGITTE. Es ist ein Dirndl unt', das mit'n hochwürdigen Herrn aus Einöd reden möcht'.

VETTER. Das ist sie schon!

HELL.