Indem erblickt er ein Gesicht, das sich über dem Alkoven zeigt und

ihn anstarrt. Das Gesicht verschwindet gleich wieder. Er sagt sich: Kongestionen! und verscheucht sich den Schrecken, muß sich aber doch die Stirne abwischen. Sieht nun wieder die Zofe willenlos, wie mit gelösten Gliedern, dasitzen. Das ist stärker als alles, und er nähert sich ihr zärtlich. Da meint er wieder das Gesicht Octavians ganz nahe dem seinigen zu erkennen, und er fährt abermals zurück. Mariandl rührt sich kaum. Abermals verscheucht der Baron sich den Schreck, zwingt Munterkeit in sein Gesicht zurück, da fällt sein Auge von neuem auf einen fremden Kopf, welcher aus der Wand hervorstarrt. Nun ist er maßlos geängstigt, er schreit dumpf auf, ergreift die Tischglocke und schwingt sie wie rasend.

 

Da, da, da, da!

 

Plötzlich springt das angeblich blinde Fenster auf, Annina in schwarzer Trauerkleidung erscheint und zeigt mit ausgestreckten Armen auf den Baron.

 

DER BARON außer sich vor Angst.

Da, da, da, da!

 

Sucht sich den Rücken zu decken.

 

ANNINA.

Er ists! Es ist mein Mann! Er ist es!

 

Verschwindet.

 

DER BARON angstvoll.

Was ist denn das?

OCTAVIAN.

Das Zimmer ist verhext!

 

Schlägt ein Kreuz.

 

ANNINA gefolgt von dem Intriganten, der sie scheinbar abzuhalten sucht, vom Wirt und von drei Kellnern, stürzt zur Mitteltür herein; sie bedient sich des böhmisch-deutschen Akzents, aber gebildeter Sprechweise.

Es ist mein Mann, ich leg Beschlag auf ihn!

Gott ist mein Zeuge, Sie sind meine Zeugen!

Gerichte! Hohe Obrigkeit! Die Kaiserin

muß ihn mir wiedergeben!

DER BARON zum Wirt.

Was will das Weibsbild da von mir, Herr Wirt?

Was will der dort und der und der?

 

Zeigt nach allen Richtungen.

 

Der Teufel frequentier sein gottverfluchtes Extrazimmer.

ANNINA.

Er wagt mich zu verleugnen, ah!

Er tut, als ob er mich nicht täte kennen.

DER BARON hat sich eine kalte Kompresse auf den Kopf gelegt, hält sie mit der Linken fest, geht dann dicht auf die Kellner, den Wirt, zuletzt auf Annina zu, mustert sie ganz scharf, um sich über ihre Realität klarzuwerden. Vor Annina.

Is auch lebendig!

 

Wirft die Kompresse weg. Sehr bestimmt.

 

Ich hab wahrhaftigen Gott das Möbel nie gesehn!

ANNINA klagenden Tons.

Aah!

DER BARON zum Wirt.

Debarassier Er mich und laß Er fortservieren.

Ich hab Sein Beisl heut zum letztenmal betreten.

ANNINA als entdeckte sie erst jetzt die Gegenwart Octavians.

Aah! Es ist wahr, was mir berichtet wurde,

er will ein zweites Mal heiraten, der Infame,

ein zweites unschuldiges Mädchen, so wie ich es war.

DER WIRT, DIE KELLNER.

Oh, Euer Gnaden!

DER BARON.

Bin ich in einem Narrnturm? Kreuzelement!

 

Schüttelt kräftig mit der Linken Valzacchi, der ihm zunächst steht.

 

Bin ich der Baron Lerchenau oder bin ich es nicht?

 

Fährt mit dem Finger ins Licht.

 

Is das ein Kerzl, is das ein Serviettl?

 

Schlägt mit der Serviette durch die Luft.

 

Bin ich bei mir?

ANNINA.

Ja, ja, du bist es, und so wahr als du es bist,

bin ich es auch, und du erkennst mich wohl,

Leupold Anton von Lerchenau,

bedenkt, dort oben ist ein Höherer,

der deine Schlechtigkeit durchschaut und richten wird.

DER BARON starrt sie fassungslos an. Für sich.

Kommt mir bekannt vor.

 

Sieht wieder auf Octavian.

 

Habn doppelte Gesichter, alle miteinander.

 

Sieht angstvoll nach den Stellen in der Wand und im Fußboden.

 

Is was los mit mir, was Fürchterliches!

 

Geht wie verloren ganz nach vorne an die Rampe.

 

DIE KELLNER dumpf.

Die arme Frau, die arme Frau Baronin!

ANNINA.

Kinder! herein! und hebts die Hände auf zu ihm!

 

Vier Kinder zwischen vier und zehn Jahren stürzen herein und auf Anninas Wink auf den Baron zu.

 

DIE KINDER durchdringend.

Papa! Papa! Papa!

ANNINA.

Hörst du die Stimme deines Bluts!?

DER BARON schlägt wütend mit einer Serviette, die er vom Tisch reißt, nach ihnen.

Debarassier Er mich von denen da,

von der, von dem, von dem, von dem!

 

Zeigt nach allen Richtungen.

 

WIRT im Rücken des Barons leise.

Halten zu Gnaden, gehen nicht zu weit,

Könnten recht bitter-böse Folgen von der Sach gespüren.

DER BARON.

Was? Ich was gspüren? Von dem Möbel da?

Habs nie nicht angerührt, nicht mit der Feuerzang!

ANNINA schreit klagend auf.

Aah!

WIRT wie oben.

Die Bigamie ist halt kein Gspaß – ist – haben schon die Gnad –

ein Kapitalverbrechen!

VALZACCHI sich ebenfalls an den Baron heranschleichend.

Ik rat Euer Gnadn, seien vorsicktig!

Die Sittenpolizei sein gar nit tolerant!

DER BARON in Wut.

Die Bigamie? Nit tolerant? Papa, Papa, Papa?

 

Greift sich an den Kopf.

 

Schmeiß Er hinaus das Trauerpferd! Wer? Was? Er will nicht?

Was? Polizei! Die Lackln wolln nicht? Spielt das Gelichter

leicht alles unter einem Leder gegen meiner?

Sein wir in Frankreich? Sein wir unter die Kurutzen?

Oder in Kaiserlicher Hauptstadt? Polizei!

 

Reißt das Gassenfenster auf.

 

Herauf da, Polizei! Gilt Ordnung herzustellen

und einer Standsperson zu Hilf zu eilen.

WIRT.

Mein renommiertes Haus! Das muß mein Haus erleben!

DIE KINDER.

Papa! Papa! Papa!

VALZACCHI indessen leise zu Octavian.

OCTAVIAN leise.

Ist gleich wer fort, den Faninal zu holen?

VALZACCHI.

Sogleich in Anfang. Wird sogleich zur Stelle sein.

STIMMEN VON AUSSEN dumpf.

Die Polizei, die Polizei!

 

Kommissarius und zwei Wächter treten auf. Alles rangiert sich, ihnen Platz zu machen.

 

VALZACCHI zu Octavian leise.

O weh, was macken wir?

OCTAVIAN.

Verlaß Er sich auf mich und laß Ers gehn wies geht.

VALZACCHI.

Zu Euer Exzellenz Befehl!

KOMMISSARIUS scharf.

Halt! Keiner rührt sich! Was ist los?

Wer hat um Hilf geschrien? Wer hat Skandal gemacht?

DER BARON auf ihn zu, mit der Sicherheit des großen Herrn.

Is alls in Ordnung jetzt. Bin mit Ihm wohl zufrieden.

Hab gleich verhofft, daß in der Wienerstadt alls wie am Schnürl geht.

Schaff Er mir da das Pack vom Hals; ich will in Ruh soupieren.

KOMMISSARIUS.

Wer ist der Herr? Was gibt dem Herrn Befugnis?

Ist Er der Wirt?

 

Baron sperrt den Mund auf.

 

KOMMISSARIUS scharf.

Dann halt Er sich gefällig still

und wart Er, bis man Ihn vernehmen wird.

 

Der Baron retiriert sich etwas perplex, beginnt nach seiner Perücke zu suchen, die in dem Tumult abhanden gekommen ist und unauffindbar bleibt.

 

KOMMISSARIUS nimmt Platz, die zwei Wächter nehmen hinter ihm Stellung.

Wo ist der Wirt?

WIRT devot.

Mich dem Herrn Oberkommissarius schönstens zu rekommandieren.

KOMMISSARIUS.

Die Wirtschaft da rekommandiert Ihn schlecht!

Bericht Er jetzt.

WIRT.

Herr Oberkommissar!

KOMMISSARIUS.

Ich will nicht hoffen, daß Er mir mit Leugnen kommt.

WIRT.

Herr Kommissarius!

KOMMISSARIUS.

Vom Anfang!

WIRT.

Da hier, der Herr Baron!

KOMMISSARIUS.

Der große Dicke da? Wo hat er sein Paruckl?

DER BARON der die ganze Zeit gesucht hat.

Das frag ich Ihn!

WIRT.

Das ist der Herr Baron von Lerchenau!

KOMMISSARIUS.

Genügt nicht.

DER BARON.

Was?

KOMMISSARIUS.

Hat Er Personen nahebei?

Die für Ihn Zeugnis geben?

DER BARON.

Gleich bei der Hand! Da, hier mein Sekretär, ein Italiener.

VALZACCHI wechselt mit Octavian einen Blick des Einverständnisses.

Ich excusier mick. Ick weiß nix. Die Herr

kann sein Baron, kann sein auch nit. Ick weiß von nix.

DER BARON außer sich.

Das ist doch stark, wällischer Bruder, falscher!

 

Geht mit erhobener Linken auf ihn los. [Leiblakei ist sehr betreten über die Situation. Jetzt scheint er einen rettenden Einfall zu haben und stürzt plötzlich zur Mitteltür fort, ab.]

 

KOMMISSARIUS zum Baron scharf.

Fürs erste moderier Er sich.

 

Wächter springt vor, hält den Baron zurück.

 

OCTAVIAN der bisher ruhig rechts gestanden, tut nun, als ob er, in Verzweiflung hin- und herirrend, den Ausweg nicht fände, und das Fenster für eine Ausgangstür hält.

O mein Gott, in die Erdn möcht ich sinken!

Heilige Mutter von Maria Taferl!

KOMMISSARIUS.

Wer ist dort die junge Person?

DER BARON.

Die? Niemand. Sie steht unter meiner Protektion!

KOMMISSARIUS.

Er selber wird bald eine Protektion sehr nötig haben.

Wer ist das junge Ding, was macht sie hier?

 

Blickt um sich.

 

Ich will nicht hoffen, daß Er ein gottverdammter Deboschierer

und Verführer ist. Da könnts Ihm schlecht ergehn.

Wie kommt Er zu dem Mädel? Antwort will ich.

OCTAVIAN.

Ich geh ins Wasser!

 

Rennt gegen den Alkoven, wie um zu flüchten, und reißt den Vorhang auf, so daß man das Bett friedlich beleuchtet dastehen sieht.

 

KOMMISSARIUS erhebt sich.

Herr Wirt, was seh ich da?

Was für ein Handwerk treibt denn Er?

WIRT verlegen.

Wenn ich Personen von Stand zum Speisen oder Nachtmahl hab –

KOMMISSARIUS.

Halt Er den Mund. Ich nehm Ihn später vor.

 

Zum Baron.

 

Jetzt zähl ich noch bis drei, dann will ich wissen,

wie Er da zu dem jungen Bürgermädchen kommt.

Ich will nicht hoffen, daß Er sich einer falschen Aussag wird unterfangen.

 

Wirt und Valzacchi deuten dem Baron durch Gebärden die Gefährlichkeit der Situation und die Wichtigkeit seiner Aussage an.

 

DER BARON winkt ihnen mit großer Sicherheit, sich auf ihn zu verlassen, er sei kein heuriger Has.

Wird wohl kein Anstand sein bei Ihm,

Herr Kommissar, wenn eine Standsperson

mit seiner ihm verlobten Braut um neune

abends ein Souper einnehmen tut.

 

Blickt um sich, die Wirkung seiner schlauen Aussage abzuwarten.

 

KOMMISSARIUS.

Das wäre Seine Braut? Geb Er den Namen an

vom Vater unds Logis; wenn Seine Angab stimmt,

mag Er sich mit der Jungfer retirieren.

DER BARON.

Ich bin wahrhaftig nicht gewöhnt, in dieser Weise –

KOMMISSARIUS scharf.

Mach Er die Aussag oder ich zieh andre Saiten auf.

DER BARON.

Werd nicht manquieren. Ist die Jungfer Faninal

Sophia, Anna Barbara, eheliche Tochter

des wohlgeborenen Herrn von Faninal,

wohnhaft am Hof im eigenen Palais.

 

An der Tür haben sich Gasthofpersonal, andere Gäste, auch einige der Musiker aus dem anderen Zimmer neugierig angesammelt.

Herr von Faninal drängt sich durch sie durch, eilig, aufgeregt, in Hut und Mantel.

 

FANINAL.

Zur Stell! Was wird von mir gewünscht?

 

Auf den Baron zu.

 

Wie sieht Er aus?

War mir vermutend nicht, zu dieser Stunde

in ein gemeines Beisl depeschiert zu werdn!

DER BARON sehr erstaunt und unangenehm berührt.

Wer hat Ihn hierher depeschiert? In des Dreiteufels Namen?

FANINAL halblaut zu ihm.

Was soll mir die saudumme Frag, Herr Schwiegersohn?

Wo Er mir schier die Tür einrennen läßt mit Botschaft,

ich soll sehr schnell herbei und Ihn in einer üblen Lage soutenieren,

in die Er unverschuldeterweis geratn ist!

 

Baron greift sich an den Kopf.

 

KOMMISSARIUS.

Wer ist der Herr? Was schafft der Herr mit Ihm?

DER BARON.

Nichts von Bedeutung. Is bloß ein Bekannter,

hält sich per Zufall hier im Gasthaus auf.

KOMMISSARIUS.

Der Herr geb seinen Namen an!

FANINAL.

Ich bin der Edle von Faninal.

KOMMISSARIUS.

Somit ist dies der Vater –

DER BARON stellt sich dazwischen, deckt Octavian vor Faninals Blick, eifrig.

Beileib gar nicht die Spur. Ist ein Verwandter,

ein Bruder, ein Neveu! Der wirkliche

ist noch einmal so dick!

FANINAL.

Was geht hier vor? Wie sieht Er aus? Ich bin der Vater, freilich!

DER BARON will ihn fort haben.

Das weitere findet sich, verzieh Er sich.

FANINAL.

Ich muß schon bitten –

DER BARON.

Fahr Er heim in Teufels Namen.

FANINAL.

Mein Nam und Ehr in einem solchen Händel zu melieren,

Herr Schwiegersohn!

DER BARON versucht ihm den Mund zuzuhalten, zum Kommissarius.

Ist eine idée fixe!

Benennt mich also nur im Gspaß!

KOMMISSARIUS.

Ja, ja, genügt schon. Er erkennt demnach

 

Zu Faninal.

 

in diesem Herren hier Seinen Schwiegersohn?

FANINAL.

Sehr wohl! Wieso sollt ich ihn nicht erkennen?

Leicht weil er keine Haar nicht hat?

KOMMISSARIUS zum Baron.

Und Er erkennt nunmehr wohl auch in diesem Herrn

wohl oder übel Seinen Schwiegervater?

DER BARON nimmt den Leuchter vom Tisch, beleuchtet sich Faninal genau.

Soso, lala! Ja, ja, wird schon derselbe sein.

War heut den ganzen Abend gar nicht recht beinand.

Kann meinen Augen heut nicht traun. Muß Ihm sagen,

liegt hier was in der Luft, man kriegt die Kongestion davon.

KOMMISSARIUS zu Faninal.

Dagegen wird von Ihm die Vaterschaft

zu dieser Ihm verbatim zugeschobenen Tochter

geleugnet?

FANINAL bemerkt jetzt erst Octavian.

Meine Tochter? Da der Fetzen

gibt sich für meine Tochter aus?

DER BARON gezwungen lächelnd.

Ein Gspaß! Ein purer Mißverstand! Der Wirt

hat dem Herrn Kommissarius da was vorerzählt

von meiner Brautschaft mit der Faninalischen.

WIRT aufgeregt.

Kein Wort! Kein Wort, Herr Kommissarius! Laut eigner Aussag –

FANINAL außer sich.

Das Weibsbild arretieren! Kommt an Pranger!

Wird ausgepeitscht! Wird eingekastelt in ein Kloster!

Ich – ich –

DER BARON.

Fahr Er nach Haus, – auf morgen in der Früh!

Ich klär Ihm alles auf. Er weiß, was Er mir schuldig ist.

FANINAL außer sich vor Wut.

Laut eigner Aussag! Meine Tochter soll herauf!

Sitzt unten in der Tragchaise! Im Galopp herauf!

 

Einige rückwärts gehen.

 

Das zahlt Er teuer! Bring Ihn vors Gericht!

DER BARON.

Jetzt macht Er einen rechten Palawatsch

für nichts und wieder nichts! Ghört ein' Roßgeduld dazu

für einen Kavalier, Sein Schwiegersohn zu sein.

 

Schüttelt den Wirt.

 

Meine Perückn will ich sehn!

 

Im wilden Herumfahren, um die Perücke zu suchen, faßt er einige der Kinder an und stößt sie zur Seite.

 

DIE KINDER automatisch.

Papa! Papa! Papa!

FANINAL fährt zurück.

Was ist denn das?

DER BARON findet im Suchen wenigstens seinen Hut, schlägt mit dem Hut nach den Kindern.

Gar nix, ein Schwindel! Kenn nit das Bagagi!

Sie sagt, daß sie verheirat war mit mir.

Käm zu der Schand so wie der Pontius ins Credo!

 

Sophie kommt im Mantel, man macht ihr Platz. An der Tür sieht man die Faninalschen Bedienten, die linke Tragstange der Sänfte haltend.

Baron sucht die Kahlheit seines Kopfes vor Sophie mit dem Hut zu beschatten.

 

VIELE STIMMEN indes Sophie auf ihren Vater zugeht.

Da ist die Braut! Oh, was für ein Skandal!

FANINAL zu Sophie.

Da schau dich um! Da hast du den Herrn Bräutigam!

Da die Famili von dem saubern Herrn.

Die Frau mitsamt die Kinder! Da das Weibsbild

ghört linker Hand dazu.