Floss und Panther näherten sich einander schnell. Das Raubtier blickte mit weit offenen, starren Augen auf den Feind, welcher das Gewehr anlegte, kurz zielte und zweimal abdrückte. Das Gewehr weglegen, zum Ruder greifen und das Floss zurücktreiben, war das Werk eines Augenblickes. Der Panther war verschwunden. Da, wo man ihn zuletzt gesehen hatte, bezeichnete ein Strudel den Ort seines Todeskampfes, dann sah man ihn weiter abwärts wieder an der Oberfläche erscheinen, regungslos und tot, dort trieb er einige Sekunden lang und wurde dann wieder in die Tiefe gezogen.
"Ein Meisterschuss!" rief Tom vom Deck herab, und die Passagiere stimmten begeistert bei, nur der Menageriebesitzer nicht, welcher um den teuren Panther und seinen Tierbändiger gekommen war.
"Zwei Schüsse waren es," antwortete die abenteuerliche Gestalt vom Flusse herauf. "In jedes Auge einer. Wohin geht dieser Steamer, wenn es nötig ist?"
"Soweit er genug Wasser findet," antwortete der Kapitän.
"Wir wollten an Bord und haben uns deshalb drüben am Ufer dieses Floss gebaut. Wollt Ihr uns aufnehmen?"
"Könnt Ihr Passage zahlen, Ma'am (Madame) oder Sir? Ich weiss wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau heraufbefördern soll."
"Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, verstanden, wenn es nötig ist. Und was die Passage betrifft, so pflege ich mit gutem Gelde, oder gar mit Nuggets zu bezahlen."
"So sollt Ihr die Strickleiter hinunter haben. Kommt also an Bord! Wir müssen machen, dass wir von dieser unglückseligen Stelle fortkommen."
Die Strickleiter wurde herabgelassen. Erst stieg der Knabe hinauf, der auch mit einem Gewehre bewaffnet war; dann warf der andre das Gewehr über, erhob sich, ergriff die Leiter, stiess das Floss unter sich fort und turnte sich mit einer eichkätzchenartigen Geschicklichkeit an das Deck, wo er mit grossen, ungemein erstaunten Blicken empfangen wurde.
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Zweites Kapitel: Die Tramps
"Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer freisinnigen Institutionen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen, welche in einem europäischen Staate vollständig unmöglich sein würden."
Der Kenner der dortigen Zustände wird zugeben, dass diese Behauptung eines neueren Geographen ihre guten Gründe habe. Man könnte die Plagen, von denen er spricht, in chronische und akute einteilen. In ersterer Beziehung wären vor allen Dingen die händelsuchenden Loafers und Rowdies, und sodann die sogenannten Runners, welche es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben, zu nennen. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist stabil geworden und wird, wie es allen Anschein hat, noch verschiedene Jahrzehnte überdauern. Anders ist es bei der zweiten Art der Plagen, welche sich schneller entwickeln und von kürzerer Dauer sind. Dahin gehörten die rechtlosen Zustände des fernen Westens, infolge deren sich förmliche Räuber- und Mörderbanden bildeten, welche Master Lynch nur durch das energischeste Vorgehen zu vernichten vermochte. Ferner wären hier die Kukluxes zu erwähnen, welche während des Bürgerkrieges und auch noch nach demselben ihr Wesen trieben. Zur schlimmsten und gefährlichsten Landplage aber entwickelten sich die Tramps als Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.
Als zu einer gewissen Zeit ein schwerer Druck auf Handel und Wandel lag, Tausende von Fabriken stillstanden und Zehntausende von Arbeitern beschäftigungslos wurden, begaben sich die Arbeitslosen auf die Wanderung, welche vorzugsweise in westlicher Richtung erfolgte. Die am und jenseits des Mississippi liegenden Staaten wurden von ihnen förmlich überschwemmt. Dort trat bald ein Scheideprozess ein, indem die Ehrlichen unter ihnen Arbeit nahmen, wo sie dieselbe fanden, selbst wenn die Beschäftigung nur eine wenig lohnende und dabei anstrengende war. Sie traten meist auf Farmen an, um bei der Ernte zu helfen, und wurden deshalb gewöhnlich Harvesters, Erntearbeiter genannt.
Die arbeitsscheuen Elemente aber vereinigten sich zu Banden, welche von Raub, Mord und Brand ihr Leben fristeten. Die Mitglieder derselben sanken schnell auf die tiefste Stufe sittlicher Verkommenheit herab und wurden von Männern angeführt, welche die Zivilisation meiden mussten, weil die Faust des Strafgesetzes sich verlangend nach ihnen ausstreckte.
Diese Tramps (Vagabunden) erschienen gewöhnlich in grösseren Haufen, zuweilen bis dreihundert Köpfe stark und darüber. Sie überfielen nicht bloss einzelne Farmen, sondern selbst kleinere Städte, um sie vollständig auszurauben. Sie bemächtigten sich sogar der Eisenbahnen, überwältigten die Beamten und bedienten sich der Züge, um schnell in ein andres Gebiet zu gelangen und dort dieselben Verbrechen zu wiederholen. Dieses Unwesen nahm so überhand, dass in einigen Staaten die Gouverneurs gezwungen waren, die Miliz einzuberufen, um den Strolchen förmliche Schlachten zu liefern.
Für solche Tramps hatten der Kapitän und der Steuermann des "Dogfish", wie bereits erwähnt, den Cornel Brinkley und seine Leute gehalten. Diese Vermutung konnte, selbst wenn sie richtig war, keinen Grund zu direkten Befürchtungen bieten. Die Gesellschaft war nur ungefähr zwanzig Mann stark und also viel zu schwach, um mit den übrigen Passagieren und der Schiffsbesatzung anzubinden, doch konnten Vorsicht und Aufmerksamkeit keineswegs als überflüssig gelten.
Der Cornel hatte seine Aufmerksamkeit natürlich auch auf die wunderliche Gestalt gerichtet, welche sich dem Schiffe auf so zerbrechlichem Flosse näherte und, nur so wie beiläufig, das mächtige Raubtier erlegte. Er hatte gelacht, als Tom den sonderbaren Namen Tante Droll aussprach. Aber jetzt, als der Fremde das Verdeck betrat und er das Gesicht desselben deutlicher erkennen konnte, zogen sich seine Brauen zusammen, und er wies seine Leute an, mit ihm zu kommen.
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