»Können deine Nerven den Geruch von anständigem Tabak vertragen?«

Harry rutschte unbehaglich auf dem Stuhl und zog ein goldenes Zigarettenetui hervor.

»Lieber einen Pfeifenkopf Shag als hundert deiner Stänker«, grinste Dick. »Gegen Zigaretten will ich nichts sagen, aber parfümiert!«

»Wenn sie dir nicht gefallen, kannst du ja wieder gehen! Äh - hast du diesen Zeitungsartikel gelesen? Er ist zwar nicht unfreundlich gegen mich, aber wie konnte der Reporter das Ganze überhaupt in Erfahrung bringen?«

Dick überflog die Zeilen.

»Weiß ich's? Unser Spuk macht uns jedenfalls berühmt!«

»Kannst du überhaupt nichts ernst nehmen?« erboste sich Harry. »Du siehst, wie es mich aufregt, kennst den Zustand meiner Nerven - aber was kümmert's dich?«

»Gut, ich bin jetzt ganz ernst. Du siehst total erschöpft aus. Hast du für heute nicht genug gearbeitet?«

»Laß den Blödsinn!« Verdrossen wandte sich Harry ab, spielte nervös mit den Seiten des vor ihm liegenden Buches und warf dann einen bezeichnenden Blick zur Tür.

Aufstehend beugte Dick den Kopf über das aufgeschlagene Buch. Aber der Text war althochdeutsch, und Dicks Fremdsprachenkenntnisse beschränkten sich auf HotelFranzösisch.

Lord Alford lehnte sich mit einem Seufzer zurück und wies mit ausladender Geste auf die Bücherregale.

»Du hältst mich wohl für einen Narren, weil ich meine Zeit darauf verwende - anstatt mich mit Leslie zu amüsieren?«

»Stimmt. Vom Bräutigam merkt man nicht viel bei dir!«

Harry lächelte überlegen.

»Was würdest du sagen, wenn ich dir erklärte, daß ich auf halbem Wege bin, den Chelfordschatz aufzuspüren?«

Er zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein in Pergament gebundenes, vergilbtes Bändchen. »Hör zu: -

›Am Fünfzehnten des Monats, dem Tag des heiligen Jacobus, kehrte Sir Walter Hythe von seiner Kreuz- und Querfahrt in den Spanischen Meeren, für deren Unkosten ich erstmalig dreitausendachthundert Pfund und dann nochmals achttausend Pfund bei dem Lombarden Bellitti aufgenommen hatte, zurück. Mit sich brachte Sir Walter Hythe auf zehn Wagen eintausend Barren Gold, jeder fünfunddreißig Pfund schwer, die von den spanischen Schiffen Esperanza und Escurial stammten. Diese Barren soll er, wenn die Trockenheit andauert, an den sicheren Platz schaffen, da es mich unklug deucht, den Lordkanzler hiervon in Kenntnis zu setzen - wegen der Habsucht der Königin. - Des weiteren brachte er das Kristallfläschchen voll Lebenswasser mit, das ein Priester des Aztekenvolkes dem Don Fernando Cortez überreichte, und von dem ein Tropfen auf die Zunge genügt, um selbst Tote aufzuwecken, wie Pater Pedro von Sevilla geschworen hat. Dieses Fläschchen will ich selbst mit großer Achtsamkeit im Schatzlager verstecken. Sir Walter Hythe erlaubte ich, einhundert Barren für sich zu behalten, was er mit höflichem Dank tat. Sodann stach er von Chichester in See. Sein Schiff scheiterte an der Küste von Kent, wobei Sir Walter Hythe, sein Kapitän und die ganze Besatzung ertranken. Dies war sein schrecklicher Untergang. - Die Sorge um meinen wahren Souverän, Mary, bringt mich in Gefahr ...‹«

»Hier endet die Niederschrift«, sagte Lord Alford. »Doch ist es keineswegs sicher, daß er beim Vergraben des Schatzes von Soldaten Elisabeths gestört wurde, die ihn der Teilnahme an der Verschwörung zugunsten Marys verdächtigte.«

»Wo ist nun aber das Gold?« fragte Dick. »Nach dem, was man über Elisabeth weiß, hat sie es bestimmt eingesteckt. Sonst hätten unsere Vorfahren nicht seit vierhundert Jahren vergeblich danach .«

Sein Bruder unterbrach ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung.

»Gold! Gold! Wenn du es findest, kannst du es behalten. Ich will das Fläschchen!« Sein Gesicht wurde feucht, er flüsterte: »Dick, ich habe Angst vor dem Tod. Diese Angst - wenn ich hier sitze, und ...«

Dicks Miene blieb ernst.

»Siehst du nicht ein, daß dein Glaube an ein Lebenselixier absurd ist?«

»Warum?« Harrys Augen glänzten fiebrig. »Warum sollten die Alten es nicht entdeckt haben? Wäre das etwa wunderbarer als drahtlose Telegrafie oder Atomzertrümmerung? Noch vor hundert Jahren betrachtete man das Fliegen als ein Wunder. Ich will die Flasche - den Lebenstrank! Das Gold? Ich will das Leben - verstehst du?« Er trocknete seine nasse Stirn und keuchte nochmals: »Das Leben - Ende der Angst .«

Dick konnte die ganze Zeit den Blick nicht von diesem Gesicht abwenden. Und so etwas sollte Leslie Gines Gatte werden?

5

Der Honourable Richard Fallington Alford schenkte dem Grund und Boden, den er wartete und hütete, eine Treue und Hingabe, auf die manche Dame hätte eifersüchtig sein können. Die Pächter schworen auf sein Talent, das Getreide auf dem Halm abzuschätzen. Über das alte Herrenhaus, seine Vorzüge und Schwächen, wußte er besser Bescheid als der Gutsarchitekt. Er konnte zeigen, wo die Fundamente durch die Bauleute zu Elisabeths Zeiten verpfuscht worden waren, wie die Wälle der alten Burg verliefen, die Richard von York dem Erdboden gleichgemacht hatte, nicht ohne hierbei den vierten Grafen wegen Verrats im großen Torweg, von dem noch immer ein verwitterter Pfeiler aus wuchernden Kletterrosen hervorragte, aufzuknüpfen.

An diesem frischen Herbstmorgen wanderte Dick quer durch den Park zur Abteiruine. Nur wenig war von ihr noch vorhanden. Ein vom Blitz getroffener, verstümmelter Turm, der halbe Bogen eines hohen Erkerfensters, ein Wust von Schutt und Stein, den Cromwells Soldaten hinterlassen hatten, und unter dem Grasteppich da und dort sichtbar ein gepflasterter Boden.

Eine bleiche Sonne versuchte den Nebel zu durchdringen.