War überhaupt jemals ein Mensch gegen den aufgekommen? Und gerade heute nach einjähriger Pause schwamm der wieder mit!
Er sah trübe vor sich hin.
Plötzlich wurde er aus seinem Sinnengerissen. Zwei nasse Gestalten stürzten herein und suchten lärmend nach ihren Kleidern, während sie laut miteinander über das eben beendete Tauchen sprachen.
Hinter ihnen her Koepke.
—Wo bleibst du denn, Mensch?—Jetzt wird es aber wirklich Zeit. So komm doch—alle warten schon auf dich! Felder ließ sein großes Badetuch von den Schultern gleiten und folgte dem wieder Forteilenden langsam. Als er sich mühsam durch die immer enger zusammengepreßte Menschenmenge zu seinen Leuten durchgerungen hatte, kam eben der letzte Taucher, mit seinen zwanzig Tellern beladen, blaß und schweratmend an die Oberfläche.
Es herrschte an der Eingangsseite ein unglaubliches Gedränge. Alles stieß sich durcheinander: Herren vom Wettschwimm-Ausschuß in schwarzen Fräcken; Kellner mit gefüllten Biergläsern; Bademeister in hellen, frischgewaschenen Leinwandanzügen; Klubmitglieder in Mützen und Abzeichen, viele die Brust mit Medaillen und Schleifen übersät, freundlich oder feindlich gesinnt, und sich entweder herzlich begrüßend oder höflich ausweichend; und Gäste des Festes, jeden Alters und Standes und Geschlechtes—alles mußte hier durch, um hinaus oder zu seinem Platz zurückzugelangen, und kaum wurde den Schwimmern ausgewichen, die triefend von Wasser durch sie alle hindurch und zu ihren Kleidern zu gelangen suchten. Die Halle dröhnte wider von dem Durcheinanderlärmen zahlloser Stimmen.
Man machte vor dem Hauptrennen des Festes die kurze Pause um einige
Minuten länger, während welcher die Starter versuchten, einen kleinen
Raum um die Sprungbretter herum zu schaffen.
Felder stand eingekeilt in einer Ecke. Nagel hatte ihm selbst die blaue Kappe übergezogen, die ihm das Los bestimmt hatte, und erinnerte ihn noch einmal an seine Platznummer: "Du hast also Nr. 3 und schwimmst in der Mitte zwischen zwei Gegnern!" Er hörte Brünings spöttische Stimme, der über den "Blödsinn des übertriebenen Tauchens" sprach und fühlte dabei, wie sein Blick aufmerksam auf ihm ruhte. Als er ihm begegnete, versuchte er, sorglos zu lächeln, aber er konnte es nicht. Er hatte nur den einen Wunsch, daß alles vorbei sein möchte.
Dann sah er, wie der Starter auf das eine der unteren Sprungbretter trat und seine Fahne schwang. Der Lärm in der Halle verminderte sich, Rufe um Rufe wurden laut, und eine klare Stimme tönte bis in den fernsten Winkel des Raumes:
—Neunte Konkurrenz: Schwimmen über hundert Meter um die diesjährige Meisterschaft Berlins. Herr Wenzel vom Schwimmklub "Poseidon" schwimmt wegen plötzlich eingetretenen Unwohlseins nicht mit.
Ein Murmeln der Überraschung erhob sich auf verschiedenen Seiten. Dann lösten sich aus den dunklen Massen schnell einige helle, nackte Gestalten und sprangen mit kurzem Ruck in das Wasser. Felder hatte kein Wort verstanden. Er fühlte sich plötzlich vorwärts gestoßen und sah, wie der Raum vor ihm frei wurde. Er trat vor.
Einen Augenblick—eine kurze Sekunde—stand seine jugendlich-schlanke, ebenmäßige Gestalt allein über dem Bassinrand in der Mitte unzähliger Blicke und überstrahlt von dem grellen Lichte der Bogenlampen, als könne sie sich nicht entschließen, den Sprung zu tun—dann streckte Felder die Arme aus, neigte sich vor und ging mit glattem Sprunge in das Wasser unter sich. Und in demselben Augenblick, als sein heißes Gesicht in die kühle Flut tauchte und seine Hand nach der Stelle des Brettes griff, wo seine Nummer stand, war es ihm, als müsse er aufschreien vor Lust, und er fühlte nichts anderes in dieser Minute mehr, als die maßlose Seligkeit, schwimmen, jetzt losschwimmen zu dürfen!—Endlich im Wasser, war er jetzt wieder Herr seiner selbst und seiner ganzen Kraft, und den Blick geradeaus auf die glatte Fläche vor sich geheftet, hörte er die Stimme des Starters auf dem Sprungbrett über sich:
—Sind die Herren bereit?—
Der Platz neben Felder lag leer. Aber dieser hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon erklang über ihm wieder die feste Stimme:
—Achtung!—…—Fertig!
Und sofort danach mit dem gleichzeitigen Schwung der Fahne durch die
Luft:
—Los!—
Fünf Hände ließen das Brett los, und fünf Gestalten durchschnitten mit rasender Geschwindigkeit das Wasser.
Die Musik setzte ein, und es wurde so still unter der ungeheuren Wölbung, daß man außer ihr nur das Rauschen des Wassers unter den peitschenden Schlägen der Arme und Hände vernahm. Eine atemlose Spannung ergriff selbst die Fernsitzenden unter den Zuschauern, und allen teilte sich etwas von der inneren Erregung mit, die von diesem Kampfe ausging.
Die erste Länge von fünfundzwanzig Metern wurde fast gleich genommen. Beim Wenden legte der Tritone in weißer Kappe sich vor und blieb so liegen bis rast an das Ende der zweiten Länge, wo er seinen Vorsprung gegen drei Gegner, unter ihnen Felder wieder verlor.
Wieder stießen fast gleichzeitig vier der Schwimmer zur dritten Länge ab; der fünfte war zurückgeblieben und blieb es.
Die vier Körper lagen nun fast nebeneinander. Bei jedem Stoß verschwanden die Köpfe mit den bunten Mützen unter der Wasserwoge, die über sie wegging; dann sah man, wie sich die Arme wieder hoben, um zu neuem Schlage auszuholen und die Körper, von neuem, mächtigen Stoße der Beine getrieben, vorwärts flogen, als würden sie gezogen…
Gegen Ende der dritten Länge schien es, als schwämmen die vier auf einen bestimmten Punkt zu, so sehr näherten sie sich einander. Aber dann gingen sie wieder auseinander und jeder auf seine Nummer los. Wieder erfolgte der Anschlag fast gleichzeitig; doch hatten sowohl die rot-weiße wie die rote Kappe eingebüßt, da ihnen die Richtung ein wenig verloren gegangen war. So kam es, daß Felder zuerst, oder doch fast gleichzeitig mit dem Träger der schwarzen, wenden konnte.
Die Musik schwieg plötzlich und die ersten vereinzelten Rufe der
Teilnahme und der Ermutigung wurden laut. Auf der Galerie waren die
Zuschauer aufgestanden und überall drängten sich die Köpfe so weit
wie nur möglich vor. Die Spannung erreichte den höchsten Grad.
Die ersten Längen hatte Franz geschwommen wie er immer schwamm: ohne Aufbietung seiner letzten Kraft. Er war so glücklich, schwimmen zu können, daß er fast vergessen hatte, um was es sich handelte. Nun erwachte er plötzlich wie aus einem Traum: er hörte die Rufe und sah dicht neben sich den langen Riesecker, der sich eben wandte und ihm mit dem nächsten Stoß schon voraus war. Da packte ihn eine fürchterliche Wut. Er wußte wieder, wo er war—und tief Atem holend, stieß er sich ab.
1 comment