Die Sportkameraden waren seine Freunde, mit denen er alles teilte. Die Arbeit des Tages in der Fabrik tat er, weil sie getan werden mußte, und er tat sie gut und fleißig. Seine Familie sah er nur, wenn es unbedingt nötig war, bei den unerläßlichen Geburtstags- und anderen Feiern; mit den paar Freunden seiner Kinderzeit verkehrte er fast gar nicht mehr.
Seine Dankbarkeit gegen seinen Klub wuchs allmählich ins Ungemessene. Er konnte sie einstweilen nur durch völlige Hingabe beweisen. Aber immer wieder schwur er sich selbst zu: seinem Klub Ehre zu machen in jeder Beziehung, Ehre um jeden Preis. Er sollte keinen Unwürdigen in ihm aufgenommen haben.
Er wußte, daß er über eine Kraft verfügte, die ihn vielleicht einmal zu Siegen führen konnte, wenn er sie stählte und übte. Nicht für sich wollte er diese Siege erringen, daran dachte er nicht. Doch er träumte bereits im stillen davon, um den alten Namen des Vereins neue Lorbeeren zu schlingen, die er selbst in heißem Kampfe erfechten würde.
Er schwamm nicht mehr nur ausschließlich zu seinem Vergnügen, er
schwamm um ein Ziel, und begeisterter schwenkte keiner die
Sportmütze, lauter schrie keiner mit, wenn das "Gut Naß!—Hurra!
Hurra! Hurra!" erscholl, als Franz.
3
Seine Fortschritte waren rapide und setzten selbst seine neuen Lehrer in Erstaunen. Bei all seinen Fähigkeiten und all seiner unvergleichlichen Liebe zur Sache war es doch ein rohes Material, das hier in Ausbildung genommen wurde.
Dieses jüngste Mitglied der Jugend-Abteilung—zu der die jungen Leute meist aus der Knabenabteilung mit ihrem vierzehnten Jahr kamen und in der sie etwa bis zu ihrem siebzehnten blieben—war bei seinem Eintritt ein guter Schwimmer gewesen, aber sonst auch nichts. Stil und Form bekam sein Schwimmen erst jetzt unter der steten und strengen Bewachung an den Übungsabenden. Aber wie bald wurde die Form schön und sein Stil sicher!—Nach ein paar Wochen schon war Felder der anerkannt beste Schwimmer seiner Abteilung.
Auf dem internen Wettschwimmen des Klubs, das alljährlich im Winter in der Schwimmhalle des Volksbades stattfand und auf dem mit Ausnahme eines Gastschwimmens befreundeter Klubs nur Klubmitglieder schwammen, holte sich Franz seinen ersten Preis: den im Junioren-Schwimmen über 50 Meter. Es war ein kleiner, einfacher Lorbeerkranz mit bedruckter Schleife, den er nach Hause trug.
Es war nicht das erstemal, daß er ein Schwimmfest sah, denn er war in letzter Zeit oft zu solchen mitgenommen und hatte mit tiefer, innerer Erregung den Wettkämpfen zugesehen, an denen er sich noch nicht beteiligen durfte. Nun schwamm er zum ersten Male mit. Er wußte, daß er siegen würde, denn er kannte ja alle seine Gegner und hatte jeden einzelnen bei den Übungen wieder und wieder geschlagen. Dennoch war er aufgeregt und freute sich, als es vorbei war.
Befangen, wie damals, als ihm der Rektor das Rettungszeichen an die
Brust heftete, nahm er seinen ersten, kleinen Siegerpreis in Empfang.
Aber im Grunde war er doch mächtig stolz, als er den Kranz zu Hause in dem gemeinschaftlichen Schlafzimmer über dem schmalen Bett aufhing, in dem er mit einem jüngeren Bruder den festen, traumlosen Schlaf der gesunden Jugend schlief, und bei Strafe unermeßlicher Schläge verbot er der ganzen Gesellschaft, auch nur ein Blatt zu berühren.
Der Kranz wurde erst angestaunt, blieb hängen und wurde dann über höheren und reicheren Ehrungen vergessen, verdorrte und verstaubte, und war doch der erste Lorbeer der diese junge Stirn berührt hatte.
4
Wieder folgte für Franz Felder auf seinen ersten kleinen Sieg ein
Jahr ernsten Strebens. Es galt jetzt nicht mehr, sich mit seinen
Klubgenossen zumessen, sondern seine Kräfte an weitere, außenliegende
Ziele zu wagen.
Er war sehr in die Höhe geschossen, und die Schlankheit seines Körpers verriet nicht, wie groß die Kraft war, die in ihm lag. Aus dem stämmigen, dicken jungen mit den behaglichen, etwas schwerfälligen Gliedern wurde schnell ein sehniger, junger Mann. Nur das Gesicht blieb noch ganz dasselbe: die blauen, treuherzigen Augen, die vollen, roten Lippen und Wangen und die eigenwillige Stirn, über die das schwarze Haar jetzt immer in einem Büschen niederfiel, so daß es alle Augenblicke zurückgestrichen werden mußte, waren dieselben— das unschuldige, vertrauensvolle Gesicht eines Kindes, das noch vom Leben nichts erlebt hatte. Und derselbe blieb auch der Blick dieser Augen. Es war der gedankenlose, etwas träumerische Blick eines Menschen, in dessen Gehirn mit hartnäckiger Zähigkeit immer und immer wieder nur eine Idee wiederkehrt—eine Idee, die in der Zukunft lebt, einer Zukunft voll großer Erfüllung verschwiegener, noch unausgesprochener, nicht einmal erkannter Wünsche.—
Fehlers Zeit war jetzt völlig eingeteilt. Kam er von der Arbeit des Tages, so war am Abend immer etwas los: entweder es fanden Übungsstunden statt, oder Sitzungen, oder es galt Vorbereitungen für irgendein Fest zu treffen—immer nahm ihn sein Klub in Beschlag. Auch die Sonntage gehörten nach wie vor ausschließlich dem Verkehr mit den Sportgenossen—der Besuch fremder Schwimmfeste, anderer sportlicher Veranstaltungen, geselliger Vereinigungen zu: Musik und Tanz, im Sommer Ausflüge in die Umgegend, Kahnpartien und vor allem die langen Bäder (überall da, wo Wasser war) füllten sie aus und waren seine Freude und seine Erholung. Franz Felder blieb still, wie er es schon als Kind gewesen war, und beteiligte sich höchstens an den Gesprächen über schwimmsportliche Fragen. Sie waren auch die einzigen, die ihn interessierten. Für keinen anderen Sport hatte er das geringste Interesse; in keinem anderen dachte er auch nur daran, sich zu versuchen. Er kannte nur einen einzigen, neben dem alle anderen verblaßten und gleichgültig erschienen.
Es dauerte ziemlich lange, bis er sich heimisch in dem neuen Kreise fühlte. Wenn er auch nie Gefallen an den rüden und lauten Belustigungen seiner früheren Schulkameraden und Altersgenossen gehabt hatte, so waren ihm doch die Verkehrsart und der Ton seiner neuen Bekannten zu fremd, als daß er sich hätte so leicht in sie finden können. Aber diese neuen Freunde hatten ihn wirklich gern und taten ihr Bestes, indem sie ihn überallhin mitnahmen und jetzt ganz als den Ihrigen betrachteten. Langsam trat so eine Wandlung nach der anderen in ihm ein. Auch in seinem Äußeren.
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