So umgab er sie mit der ganzen Heimlichkeit einer wirklich ersten Liebe und stahl sich zu seinem einzigen und größten Vergnügen wie zu einem Stelldichein.

Seine kleine Badehose, die zusammengerollt nicht großer war als seine
Faust, trug er mit sich, wo er ging und stand. Und mehr als sie, den
Groschen und eine Stunde Zeit, brauchte er ja nicht!…

Es war eine harte und freudlose Kindheit, die dem Knaben beschieden war. Aber eine große Freude, die schon jetzt etwas von der alles in ihm beherrschenden, verzehrenden Leidenschaft späterer Jahre an sich hatte, übergoldete ihre graue Nüchternheit, ließ ihn Müdigkeit und Entbehrungen vergessen, und diese Freude war es, in der er seine ganze Jugend auslebte und auskostete in ihrer ersten Kraft und in ihrem ersten unendlichen Genießen.

9

Ihm war das Schwimmen noch keine Kunst. Er ahnte noch nicht einmal, daß es als eine solche betrachtet werden konnte. Wohl wußte er von der sportlichen Ausbildung der Schwimmer, aber diese reizte ihn nicht. Sie war ihm fremd.

Wie als kleiner Kerl von fünf Jahren, so tummelte er sich auch jetzt noch im Wasser, nur daß er mit seiner zunehmenden Kraft gelernt hatte, es jetzt völlig zu beherrschen.

Als nochmals ein Sommer zu Ende ging, da gab es für den jungen Burschen kein Wasser in der ganzen näheren Umgebung von Berlin, wenn es nur eben so groß war, daß man in ihm baden konnte, in dem er nicht geschwommen hätte. Berlin war eine große Stadt mit vielen Straßen und unzähligen Häusern, aber ihre Bedeutung bestand doch nur darin, daß um sie herum die Teiche und Seen lagen und daß sie der dunkle Fluß durchzog…

Er schwamm nur zu seinem Vergnügen und nur zu eigener Lust. Sein einziger Wunsch war, den ganzen Tag im Wasser zu liegen, und er war glücklich über die langen Sonntagnachmittage, an denen er es konnte.

Mit seinen kurzen, stämmigen Beinen seinen festen Armen, an denen sich die Muskeln auszubilden begannen, beherrschte er das Wasser mit vollkommener Sicherheit. Es war sein Freund, zu dem er unbedingtes Vertrauen hatte—sein bester, sein einziger Freund. An seiner Brust vergaß er alle Mühseligkeiten seines jungen Lebens, und wenn er bei ihm sein durfte, war er glücklich.

Und das Wasser vergalt ihm seine Liebe. Es war wie ein Aufschrei der Freude seiner Wellen, wenn es ihn umfing, und es trug ihn sicher und freundlich, wie er nur wollte. Sie spielten, sie rangen miteinander, wie Knaben es tun, um ihre Kraft zu messen, aber sie vertrugen sich immer.

Ach, und wie der Knabe es liebte!

Wie andere Kinder den weißen Sand, mit dem sie spielen, durch die Hände gleiten lassen, so nahm er oft, auf dem Rücken liegend, das flüssige, rätselhafte Element, um es zu fassen, in die Hände und es zwischen den Fingern zerrinnen zu sehen in flüchtigen Blasen.

Wie andere Kinder zu ihrer Mutter gehen mit ihren Klagen und
Wünschen, so kam er zu ihm, um sich trösten zu lassen.

Sein ganzer, kleiner Körper zitterte vor Aufregung, wenn er das Wasser sah, und er suchte den köstlichen Augenblick zu verlängern, in dem er hinein durfte.

Lag er dann im Wasser, so rollte er sich zunächst förmlich über die Fläche hin, überschlug sich vor Wonne und kugelte sich zusammen, ging unter und kam wieder hervor, streckte die Glieder in unendlichem Wohlbehagen und glitt auf der Oberfläche hin, wie eine Schlange, bis er zu schwimmen begann.

Dann schwamm er, ruhig, langsam und lautlos, fast andächtig; oder in voller Kraft auf ein Ziel los, daß das Wasser rauschte.

Er schwamm, und er wurde nie müde.

Er tauchte, und seine kleine Brust weitete sich mühelos.

Er schwamm und schwamm, wo und wann er konnte.—Es war ein heißer
Sommer, ein langer Sommer, ein arbeitsvoller Sommer.

Aber es war doch ein Sommer voll Freude.

Viel noch sollte Franz Felder in seinem Leben schwimmen. So sorglos, so unbekümmert vielleicht nie mehr.

Zweiter Teil

1

Auch dieser Sommer war vorbei, und wieder war es zu kalt geworden, um im Freien zu baden. Die offenen Sommeranstalten schlössen sich. Franz Felder hatte seine Stelle aufgeben müssen, da im Geschäft nicht mehr genug zu tun war, und suchte nun, nach einem gerührten Abschied von Cäsar, dem treuen Gefährten so vieler schöner, heller Sommertage, eine neue Stelle für den Winter. Einstweilen nahm er mit, was er kriegen konnte.

So oft er konnte, ging er nun wieder in das große Volksbad, dessen hohe, warme Halle sich das ganze Jahr über nur an den zweiten Feiertagen schloß und immerweniger besucht wurde, je kälter es draußen wurde.

Es war ja nicht dasselbe, sagte Franz zu sich, wie das Baden im Freien. Aber es war doch wenigstens ein Wasser, in dem man schwimmen konnte.

Als er sich eines Abends so mit seinen Kameraden im Bassin tummelte und sie gerade in einer kleinen Race auf 50 Meter spielend geschlagen hatte, kam ein Herr auf ihn zu, den er schon oft gesehen, und fragte ihn, ob er denn nicht Lust habe, in einen Schwimmverein einzutreten.

Es war nicht das erstemal in letzter Zeit, daß an den Jungen diese Frage gestellt wurde, und schon wollte er sagen, daß er einstweilen noch etwas warten wolle, als er hörte, was der Herr weiter sagte:

—Sie müssen wissen, wir nehmen nicht jeden in unsere Jugendabteilung, sondern nur Kräfte, von denen wir uns etwas für unseren Verein versprechen.

Und plötzlich schoß es Franz durch den Kopf: der Herr gehörte ja zum "Schwimmklub Berlin von 1879"—dem ältesten und angesehensten Schwimmverein Berlins, dem so viele Meisterschaftsschwimmer entstammten, der die großen Feste gab, und in den einzutreten überhaupt eine Unmöglichkeit schien … und noch etwas außer Atem und ganz hochrot fragte er fast ungläubig:

—Schwimmklub Berlin von 1879?—

Der Herr lächelte.

—Jawohl. Sie wissen vielleicht, unsere Beiträge sind um etwas höher, als in den anderen Vereinen, aber wir sind nicht rigoros in dieser Beziehung, und der gute Wille zählt hier mit, wenn es einmal nicht so geht. Übrigens haben Sie so viele andere Vorteile bei uns, besonders wenn Sie viel baden, daß sich das schon machen lassen wird…

Als er sah, daß Franz noch immer nicht antwortete, lächelte er wieder und machte eine Bewegung:

—Ich will Sie übrigens nicht überreden… Sie können sich die Sache ja überlegen—

Aber da sagte Franz hastig, als könne ihm das unerwartete Glück wieder entgehen:

—Nein, nein, ich will schon gern—

Der Herr zog sein Notizbuch hervor:

—Also, der Name…

—Franz Felder—

—Adresse?

—Berlin O, Münchebergerstraße 102, und etwas zögernder: —Hof—im
Keller—

Der andere schrieb alles auf. Dann reichte er ihm die Hand:

—Unsere Übungsstunden für die Jugendabteilung kennen Sie wohl?—
Jeden Dienstag und Freitag abends acht Uhr.

Franz nahm die dargebotene Hand, machte eine tiefe und respektvolle Verbeugung, wie er sie vor seinem Pfarrer und seinem Rektor gemacht hatte, sah, wie der Herr wegging, und fühlte zugleich einen freundschaftlichen Rippenstoß in der Seite:

—Du, wat hat denn der von dir jewollt?

Er sah seine Freunde um sich und sagte nur von oben herab:

—Ich bin aufgefordert worden, dem "Schwimmklub Berlin 1879" beizutreten, und ließ sie stehen.

Nun, da er es ausgesprochen hatte, glaubte er es selbst, und eine unbändige Freude ergriff ihn.

O, er wollte Ehre einlegen!—Und die siebzig Pfennige Monatsbeitrag wollte er schon aufbringen und so pünktlich zahlen, daß man ihm deshalb nie einen Vorwurf machen sollte, wenn er auch einstweilen noch nicht wußte, wie sie aufzutreiben waren.

Im Geiste sah er sich schon in dem blaugesäumten Trikot und der Badehose, die in Blau die gestickten Anfangsbuchstaben und die Zahl 1879 trug, und er machte vom Sprungbrett einen Freudensprung, aber so ungeschickt in seiner Aufregung, daß nur eine gewandte Wendung im letzten Moment ihn davor bewahrte, flach aufzuschlagen.

Daran, daß es ihm nie als ein besonderes Vergnügen erschienen war, einem Verein anzugehören, daß er den Zwang der Stunde, das Schwimmen- Müssen um bestimmte Längen, dabei unter schärfster Aufsicht und steter Kritik, daran, daß ihn das ganze Klubleben, soweit er es kannte, mit einem Wort: das "offizielle Schwimmen" nie angezogen hatte, an all dies dachte er nun nicht mehr. Sein Ehrgeiz war angestachelt. Man hatte ihn bemerkt und so ausgezeichnet, ihn zur Mitgliedschaft an dem ersten und ältesten Schwimmverein Berlins aufzufordern.

Er gehörte von heute ab dem "Schwimmklub Berlin 1879" an, und allen, die es hören wollten, und sehr vielen, die es nicht hören wollten, erzählte er die ihm selbstunglaublich erscheinende Tatsache, tief entrüstet über die Gleichgültigkeit, mit der sie allgemein aufgenommen wurde.

2

Es gab kein jugendliches Mitglied des Vereins, das pünktlicher zu den Übungsabenden gekommen wäre, keines, daß sich williger und begeisterter jeder Anordnung an diesen Abenden gefügt hätte, als Franz Felder. Man merkte es bald, und er erwarb sich manche Bekanntschaft im Klub dadurch auch von solchen, die der Einführung von Mitgliedern, und noch so verheißungsvollen, aus, wie sie es nannten, "anderen Verkehrskreisen", fremd, ja feindlich gegenüberstanden. Bei fast allen von ihnen erwarb sich der neue Ankömmling Achtung und Sympathie, einmal wegen des leidenschaftlichen, fast komisch-weihevollen Ernstes, mit der er die Sache betrieb, und dann wegen der Bescheidenheit und Ehrlichkeit seines Wesens, das sich nie vordrängte. Man setzte bald große Hoffnungen auf ihn und ließ ihn nicht aus den Augen.

Das nächste große Ereignis, das sein Eintritt in den Klub zur Folge hafte, war eine Lehrstelle in einer großen mechanischen Werkstätte, die ihm durch einen seiner neuen Sportfreunde dort verschafft wurde. Er sollte gleich von Anfang an einen Wochenlohn erhalten und erhielt die Zusicherung sorgfältiger und vollständiger Ausbildung. Da unterdessen auch seine Brüder in besseren Stellungen waren und die Einsegnung eines jüngeren bevorstand, trat er die Stelle an. Er blieb bei seinen Eltern wohnen und der größte Teil seines wöchentlichen Verdienstes wanderte nach wie vor in ihre Hände. Was er für sich behielt, brauchte er dazu, um am Sonntag auf den Ausflügen mit seinen Klubgenossen ein Glas Bier zu trinken, und für die ersten paar Mark, die er erübrigte, schaffte er sich ein tadelloses Trikot an, eine Sportmütze und das Klubabzeichen, ein kleines Schild, das auf dem Rockaufschlag getragen wurde.

Er ging nun völlig auf im dem Leben des Vereins. Die Vergnügungen des Klubs waren seine Erholungen, seine Arbeit die seine.