Zu meiner Überraschung waren meine Kleider an mir getrocknet und ich spürte kein Anzeichen einer Erkältung. Unter normalen Umständen wäre ich nach allem, was ich inzwischen erduldet hatte, reif fürs Bett und für eine fähige Krankenschwester gewesen. Mein Bein machte mir furchtbar zu schaffen.
Alle sechs Jäger befanden sich im Zwischendeck. Sie rauchten und schwatzten. Während ich mein Knie untersuchte, warf Henderson einen Blick darauf.
»Sieht schlimm aus«, meinte er. »Wickeln Sie einen Lumpen darum, das wird helfen.«
Das war alles. Wäre ich an Land gewesen, so hätte sich ein Arzt um mich bemüht und mir strikte Ruhe verordnet. Aber ich will diesen Männern nicht Unrecht tun. Sie verhielten sich nicht nur hart gegen mich, sondern auch gegen sich selbst. Zum einen mochte das daran liegen, dass sie es gewohnt waren, zum anderen an ihrer primitiven Wesensart.
Obwohl ich völlig fertig war, konnte ich nicht schlafen. Mein Knie schmerzte zu stark. Ich bemühte mich, nicht laut zu stöhnen.
Die Jäger, so erfuhr ich im Laufe der Zeit, ließen sich von wirklich schlimmen Ereignissen nicht erschüttern, doch alberne Kleinigkeiten konnten sie zu großem Theater veranlassen. Kerfoot zum Beispiel verlor einen Finger, nachdem dieser vorher zu Brei gequetscht worden war, und verzog keine Miene. Doch bei einer lächerlichen Meinungsverschiedenheit mit einem Gefährten geriet er völlig außer sich und die beiden schlugen sich fast die Köpfe ein. Anstatt vernünftige Argumente hervorzubringen, brüllten sie sich gegenseitig an und drohten sich mit den Fäusten. Geistig benahmen sie sich wie kleine Kinder, körperlich besaßen sie die Gestalt von Männern.
Die Jäger rauchten ununterbrochen. Sie rauchten billigen, stinkenden Tabak. Die Luft war dick und verbraucht, dazu schaukelte unser Schiff im Sturm. Zum Glück hatte ich keine Veranlagung, seekrank zu werden, aber elend war mir allemal.
Ich grübelte über meine furchtbare Lage. Unfassbar, dass ich, Humphrey van Weyden, ein gebildeter Mensch und angehender Literat, auf einem Robbenfänger festgehalten wurde, der zum Beringmeer unterwegs war.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch niemals körperliche Arbeit verrichtet. Ich hatte das ruhige, beschauliche Leben eines Gelehrten geführt, der über ein sicheres Einkommen verfügte. Sportliche Betätigung hatte mich nie gereizt, ich war immer ein Bücherwurm gewesen. Als ich ein einziges Mal zum Zelten gefahren war, hatte ich meine Freunde sofort wieder verlassen, um in die Behaglichkeit meines Zimmers zurückzukehren. Jetzt aber lag ich in dieser Koje mit der schrecklichen Aussicht auf endloses Tischdecken, Kartoffelschälen und Abwaschen. Und mein Körper war schwach, untrainiert, absolut ungeeignet für das raue Leben, das mir hier bevorstand.
Ich sann auch über den Gram meiner Mutter und meiner Schwestern nach. Sie mussten der Ansicht sein, dass ich mich unter den nicht geborgenen Opfern der Martinez befand.
Unterdessen kämpfte sich die Ghost durch wogende Wellenberge und schäumende Täler immer weiter hinein in das Herz des Pazifischen Ozeans. Ich konnte den Wind hören. Füße trampelten über meinem Kopf. Unaufhörlich ächzte und knarrte das Gebälk. Die Jäger stritten sich noch immer und brüllten herum wie Halbaffen.
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