Um halb sechs deckte ich unter den Anweisungen von Mr Mugridge den Tisch in der Kajüte. Ich befestigte das Schlingerbrett und holte dann das Essen und den Tee aus der Kombüse.
»Sieh dich vor, dass du keine Dusche abbekommst«, rief der Koch, als ich mich mit einem riesigen Teekessel in der Hand und mehreren Brotlaiben unter dem Arm auf den Weg machte. Henderson, einer der Jäger, ging gerade in Richtung Kajüte, während Wolf Larsen am Heck stand und seine ewige Zigarre paffte.
»Pass auf, Mann!«, brüllte der Koch.
Ich hielt inne, weil ich nicht wusste, worauf. Die Kombüsentür knallte zu. Dann sah ich, dass Henderson wie ein Verrückter zum Großmast sprang, behände hinaufkletterte und sich bald etliche Meter weit über meinem Kopf befand. Dann bemerkte ich die gewaltige Welle, die hoch über der Reling schäumte. Ich befand mich direkt darunter. Mir war klar, dass mir Gefahr drohte, doch ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand wie angewachsen.
Da brüllte Wolf Larsen: »Halten Sie sich irgendwo fest, Sie - Sie Hump!«
Aber es war zu spät. Ich sprang auf die Takelage zu um mich dort festzuklammern, wurde aber bereits von der hereinbrechenden Wasserwand zu Boden geschmettert. Was danach geschah, war ziemlich verwirrend. Ich befand mich unter Wasser. Es riss mir die Füße weg und wirbelte mich herum. Ich stieß gegen harte Gegenstände und einer davon prallte heftig gegen mein rechtes Knie. Plötzlich legte sich die Flut und ich konnte wieder atmen. Ich war gegen die Kombüse und dann um die Treppe herum bis an die leeseitigen Speigatten geschleudert worden. Der Schmerz in meinem rechten Knie war entsetzlich und ich glaubte, mein Bein sei gebrochen.
Da zeterte der Koch durch die geöffnete Kombüsentür: »He, du da! Du wirst doch wohl nicht die ganze Nacht brauchen? Wo ist der Teekessel? Hast du ihn etwa verloren? Es wäre dir Recht geschehen, wenn du dir das Genick gebrochen hättest!«
Irgendwie gelang es mir auf die Füße zu kommen. Den Teekessel hielt ich noch immer in der Hand. Ich humpelte zur Kombüse.
»Was bist du bloß für ein Kamel?«, schimpfte der Koch. »Bist du überhaupt zu irgendetwas gut? Noch nicht einmal ein bisschen Tee kannst du tragen ohne ihn zu verschütten. Jetzt muss ich neuen kochen! Und warum schniefst du so herum? Weil du dein armes, kleines Knie angerempelt hast, Mamakindchen?«
Ich schniefte nicht, obwohl man mir bestimmt die Schmerzen ansah. Doch ich biss die Zähne zusammen und humpelte zwischen Kombüse und Kajüte umher ohne ein weiteres Missgeschick.
Mein Unfall hatte mir zwei Dinge beschert: eine verletzte Kniescheibe, an der ich monatelang zu leiden hatte, und den Spitznamen Hump.
Es fiel mir nicht leicht, bei Tisch zu bedienen, wo Wolf Larsen, Johansen und sechs Jäger saßen. Es war eng in dem Raum und der Schoner ging heftig auf und nieder. Was mir jedoch am meisten zu schaffen machte, war die Gleichgültigkeit der Männer. Mein Knie schwoll mehr und mehr an, ich fühlte mich schwach und krank. Alle mussten mein Elend bemerken, doch keiner nahm Notiz davon.
So war ich beinahe dankbar, als Wolf Larsen später, als ich das Geschirr abwusch, meinte: »Machen Sie sich nichts daraus! An solche Kleinigkeiten werden Sie sich bald gewöhnen. Kann sein, dass es Sie ein bisschen behindert, trotzdem werden Sie lernen zu laufen. So etwas nennt man ein Paradoxon, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
»Ich nehme an, Sie haben etwas Ahnung von Literatur? Prima. Dann können wir uns hin und wieder darüber unterhalten.«
Als ich endlich mit der Arbeit fertig war, wurde ich zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, wo ich mir eine Koje zurechtmachte. Ich war heilfroh, den widerlichen Koch für heute nicht mehr sehen zu müssen und von den Beinen zu kommen.
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