Kein Mensch hat je bis in Wolf Larsens Seele gesehen. Es war eine einsame Seele, wie ich erfuhr, die sich niemals offenbarte, auch wenn es manchmal so schien.
»Ich lese Unsterblichkeit in Ihren Augen«, antwortete ich.
»Sie sehen etwas, das lebt, das aber nicht ewig weiterleben muss.« »Ich lese mehr als das«, behauptete ich kühn.
»Dann lesen Sie Bewusstsein. Sie lesen das Bewusstsein zu leben, jetzt, aber nicht unendlich.«
Wie klar seine Gedanken waren und wie klar er sie ausdrückte! Er drehte den Kopf und blickte über die bleierne See. Kälte trat in seine Augen und die Linie seines Mundes wurde streng.
»Zu welchem Zweck?«, fragte er plötzlich. »Falls ich unsterblich bin - warum?«
Ich zögerte. Wie konnte ich ihm meine Überzeugung erklären? »Was glauben Sie denn?«, entgegnete ich.
»Ich glaube, dass das Leben ein wüstes Durcheinander ist«, antwortete er prompt. »Es ist etwas, das sich bewegt, aber schließlich damit aufhören wird. Die Großen fressen die Kleinen, damit sie sich weiter bewegen können. Die Starken fressen die Schwachen. Diejenigen, die Glück haben, fressen das meiste und bewegen sich am längsten. Das ist alles. Was sagen Sie dazu?« Er deutete auf einige Matrosen, die sich mittschiffs an Tauwerk zu schaffen machten. »Sie bewegen sich - das tun Quallen auch. Sie bewegen sich um zu essen und um sich weiter bewegen zu können. Sie leben für ihren Bauch und ihr Bauch lebt für sie. Es ist ein Kreislauf. Am Ende hören sie auf sich zu bewegen. Dann sind sie tot.«
»Diese Männer haben Träume!«, rief ich dazwischen. »Sie ...«
»Vom Futter«, sagte er knapp.
»Und von mehr ...«
»Nur vom Futter. Sie träumen davon, mehr Geld zu verdienen, damit sie andere besser ausnützen können. Sie und ich, wir sind ganz genauso. Es gibt keinen Unterschied, außer dass wir beide mehr und besser gegessen haben. In der Vergangenheit haben Sie mehr gegessen als ich. Sie haben in weichen Betten geschlafen, feine Kleider getragen und gute Sachen verzehrt. Und wer machte das Bett, die Kleider, die Mahlzeiten? Sie nicht! Sie haben niemals etwas durch Ihren eigenen Schweiß erarbeitet. Sie sind einer dieser Männer, die sich die Oberschicht nennen, die sich als Herren aller anderen aufführen und das verbrauchen, was jene geschaffen haben.«
»Aber das hat doch nichts damit zu tun«, rief ich.
»Doch!« Seine Augen blitzten. »Es ist Gemeinheit und es ist Leben. Welchen Sinn macht die Unsterblichkeit von Gemeinheiten? Betrachten Sie sich und mich! Was haben Sie nun von Ihrer Unsterblichkeit, nachdem Sie mir in die Hände gefallen sind? Sie sehnen sich zurück an Land, wo Ihr angestammter Platz für Gemeinheiten ist. Ich aber behalte Sie hier, wo meine Gemeinheit gedeiht. Ich könnte Sie mit einem Faustschlag töten, denn Sie sind ein elender Schwächling.
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