Aber er war völlig außer sich, starrte voller Panik erst auf die luftige Strecke, die vor ihm lag, und dann hinunter aufs Deck. Wolf Larsen unterhielt sich mit Smoke und beachtete den Jungen nicht mehr. Doch den Mann am Steuerrad schnauzte er an: »Halt gefälligst den Kurs oder es gibt Ärger!«

»Ja, Sir.« Der Steuermann drehte am Rad. Er hatte den Kurs um ein paar Strich geändert, damit der Wind das Vorsegel prall hielt und der arme Harrison zurechtkam.

Die Minuten verrannen. Während die Spannung an meinen Nerven zehrte, amüsierte sich Thomas Mugridge und machte dämliche Witze. Ich hätte ihn würgen können!

Nach fast einer halben Stunde schob Johnson Louis, der ihn zurückhalten wollte, zur Seite und überquerte das Deck. Er sprang in die Takelage und kletterte aufwärts. Doch Wolf Larsens schneidende Stimme rief: »He, Mann, was hast du vor?«

Johnson hielt inne und sah dem Kapitän in die Augen. »Ich werde den Jungen da runterholen.«

»Du kommst zurück, und zwar sofort, verstanden?«

Johnson zögerte, aber der gewohnte Gehorsam gegen den Herrn des Schiffes siegte und er kehrte aufs Deck zurück.

Um halb sechs ging ich hinunter, um den Tisch zu decken, aber ich konnte meine Gedanken kaum zusammenhalten. Ständig sah ich den bleichen, zitternden Jungen vor mir, der sich wie ein Käfer an die Gaffel klammerte. Als ich um sechs Uhr das Abendbrot auftrug, hing er noch immer dort. Doch das schien niemanden mehr zu interessieren. Beim Essen sprach man über andere Dinge. Dann musste ich noch einmal in die Kombüse und da sah ich zu meiner großen Erleichterung Harrison, wie er in Richtung Back wankte. Endlich hatte er es geschafft!

Wir standen nun unter dem Einfluss des Nordostpassats und die Ghost jagte mit vollen Segeln vor einem frischen Wind dahin. Trotz meines schmerzenden Knies hatte ich gut geschlafen und freute mich über die rasche Fahrt. Wir segelten den ganzen Tag und die Nacht und auch die folgenden Tage und Nächte, immerzu von dem starken, beständigen Wind vorwärts getrieben. Die Matrosen brauchten nichts anderes zu tun als zu steuern.

Von Tag zu Tag wurde es jetzt ein bisschen wärmer, da wir uns den Tropen näherten. Die Männer kamen nackt heraus, um sich zur Abkühlung gegenseitig mit Wasser zu begießen. Wir sahen fliegende Fische und manche von ihnen fielen aufs Deck. Dann stieg bald ein köstlicher Duft aus der Kombüse und wir durchlebten eine angenehme Zeit.

Johnson verbrachte jede freie Minute hoch oben auf den Dwarssalingen und beobachtete verzückt, wie die Ghost unter gebauschten Segeln die schäumenden Wellen durchschnitt.

Auch ich lief immer wieder zwischendurch an Deck, um den prachtvollen Anblick zu bewundern. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass es solche Schönheit auf der Welt gab!

Besonders eine Nacht ist mir deutlich in Erinnerung geblieben. Eigentlich hätte ich schlafen sollen, doch ich lag auf der Back, lauschte dem Schäumen der Bugwellen und träumte vor mich hin. Plötzlich rief mich eine Stimme in die Wirklichkeit zurück - Wolf Larsen.

»Oh, die Tropennacht! Sie glüht,

Und das Meer von Funken sprüht

Und den Himmel kühlt ...«

Seine Stimme klang stark und trotzdem weich und seine Augen schimmerten im Sternenlicht.

»Na, Hump, wie gefällt Ihnen das?«

»Ich finde es höchst bemerkenswert, dass Sie solche Begeisterung zeigen«, sagte ich kühl.

»Ja, Mann, so ist das Leben!«

»Welches völlig wertlos ist«, zitierte ich seine eigenen Worte.

Er lachte und zum ersten Mal hörte ich echte Fröhlichkeit in seiner Stimme. »Anscheinend kann ich es Ihnen einfach nicht begreiflich machen, wie ich das Leben beurteile. Natürlich ist es wertlos. Trotzdem besitzt mein Leben gerade jetzt großen Wert - für mich selbst. Ich fühle mich prachtvoll, ich könnte Bäume ausreißen ... ja, beinahe könnte ich sogar an Gott glauben! Aber diese Hochstimmung ist doch vergänglich. Morgen werde ich vermutlich dafür bezahlen, so wie ein Säufer mit einem Kater bezahlt.«

Er verschwand so plötzlich, wie er gekommen war, und sprang geschmeidig wie eine Raubkatze aufs Deck.