Da fragte Wolf Larsen die Matrosen. Aber offensichtlich waren Bibeln und Gebetbücher seltene Artikel an Bord, denn nichts dergleichen ließ sich beschaffen.

Der Kapitän zuckte mit den Schultern. »Dann versenken wir ihn eben ohne großes Gerede, es sei denn, unser Schiffbrüchiger kennt den Begräbnisgottesdienst auswendig. Sie sind doch Pastor, oder?«, fragte er mich.

Die Jäger glotzten mich an. Mir war klar, dass ich aussah wie eine Vogelscheuche, und alle fingen an zu lachen. Keine Spur von Ehrfurcht gegenüber dem Toten auf den Planken oder gar Höflichkeit mir gegenüber. Wolf Larsen lachte nicht, aber er wirkte amüsiert. Während sein Gesicht auf den ersten Blick kompakt und vierschrötig wirkte, vermittelte es bei näherer Betrachtung eine enorme Willenskraft, die tief in seinem Wesen verwurzelt schien. In seinem Blick lag eine unendliche Energie und Männlichkeit. Seine Augen waren groß und sehr schön. Sie lagen weit auseinander und wurden von buschigen schwarzen Brauen beschattet. Sie waren grau, doch dieses Grau nahm immer wieder neue Schattierungen an: mal dunkel, mal hell, mal grünlich und manchmal so blau wie das Meer. Meistens verbargen diese Augen Wolf Larsens Seele, aber in einigen seltenen Momenten verrieten sie sein wahres Wesen.

Ich antwortete ihm, dass ich kein Priester sei.

»Wie verdienen Sie sich dann Ihren Lebensunterhalt?«

Ich war ziemlich verblüfft, denn diese Frage hatte ich mir selbst noch nie zuvor gestellt.

»Ich ... ich bin ein Herr«, stammelte ich.

Seine Lippen kräuselten sich vor Verachtung.

»Ich habe gearbeitet. Ich arbeite!«, verteidigte ich mich, als ob er mein Richter wäre. Gleichzeitig fand ich unsere Diskussion ziemlich absurd.

»Für Ihren Lebensunterhalt?« Seine Stimme klang so herrisch und forsch, dass ich mich wie ein Schulkind fühlte. »Wer versorgt Sie?«, lautete seine nächste Frage.

»Ich verfüge über ein Einkommen, doch das hat nicht das Geringste damit zu tun, worüber ich mit Ihnen zu sprechen wünsche.« Er beachtete meinen Einwurf überhaupt nicht.

»Wer hat es denn verdient, he? Ah, ich kann es mir schon denken, Ihr Vater. Sie leben von dem Besitz eines Toten, haben niemals selbst etwas besessen. Sie könnten sich allein nicht mal von einem Tag auf den anderen ernähren. Zeigen Sie mir mal Ihre Hände!« Schon hatte er meine rechte Hand gepackt und begutachtete sie. Ich wollte sie ihm entziehen, aber seine Finger umschlossen sie so fest, dass ich fürchtete, er wollte sie zermalmen. Wohl oder übel hielt ich still, obwohl ich mich erneut wie ein Schuljunge fühlte. Währenddessen wurden die Taschen des Toten geleert und sein Körper in ein Stück Segeltuch eingewickelt. Johansen nähte den groben Stoff zusammen.

Wolf Larsen ließ meine Hand verächtlich fallen. »Der Hände Arbeit ihres Vaters hat Ihre Hände weich und zart gehalten. Kaum zu etwas Besserem zu gebrauchen als zum Abwaschen und zum Küchendienst.«

»Ich wünsche ans Ufer gebracht zu werden«, sagte ich bestimmt, denn nun hatte ich mich wieder unter Kontrolle. »Ich bezahle Ihnen, was immer Sie fordern wegen des zeitlichen Aufschubs und Ihres Aufwands.«

Der Kapitän musterte mich neugierig. Spott stand in seinen Augen. »Ich habe einen besseren Vorschlag. Mein Steuermann ist tot und es wird einige Beförderungen geben.