Der Sternsteinhof

Anzengruber, Ludwig

Der Sternsteinhof

 

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Ludwig Anzengruber

Der Sternsteinhof

 

I

Ein Gußregen war herniedergerauscht. Wallend und gischend schoß das sonst so ruhige Wässerlein zwischen den zwei Hügeln dahin; auf der Höhe des einen stand ein großes, stolzes Gehöft, am Fuße des andern, längs den Ufern des Baches, lag eine Reihe von kleinen Hütten.

Die letzte dieser Hütten war gar verwahrlost, der Türstock stand fast frei in der geborstenen Mauer, die Fensterrahmen hingen schief, hie und da guckte ein nackter Stein aus dem rauhen, verwitterten Anwurfe hervor, und wenn auch die ärgsten Risse und Sprünge mit Lehm verschmiert und mit Heu und Streu verstopft waren, so machte das den Anblick nicht besser. Dahinter stieg ein schmaler Streif bearbeiteten Bodens hinan, bestellt mit etlichen Gemüsebeeten, einem Acker mit Krautköpfen und einem anderen mit Kartoffelpflanzen. Die Einfriedung dieses Besitztums war mehr angedeutet als wirklich, von Schlingpflanzen umwucherte Pflöcke standen weitab voneinander, und quer zwischen deren gabelförmigen Enden lagen vermorschte, schlanke Baumstämme.

Wenn der Bach, in den sie allen Unrat leiteten und warfen, träge dahinfloß, dann machte er der ärmlichen Siedlung viel Unlust, dann befiel auch die Beschränktesten da unten eine unklare Empfindung, in welcher Enge, in welchem Schmutze sie dahinlebten; aber heute wuschen die Wasser dahin, und in die kühlende Feuchte der Luft mischte sich frischer Erdgeruch und würziger Pflanzenduft, und auf dem Sternsteinhof dort oben konnten sie es auch nicht wohlatmiger und gesünder haben.

Auf dem Bänklein vor der letzten Hütte saß ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, außer einem Kopftuche, einem Hemdchen von ungebleichtem Linnen und einem verwaschenen, blauen, weiß getüpfelten Röckchen hatte es nichts am Leibe. Die Kleine hatte die Füße an sich gezogen, daß sie in der Luft baumelten, nur manchmal streckte sie den linken aus, drückte die Sohle in die feuchte Erde und sah nach dem Grübchen, bis sich dieses mit Wasser füllte, dann war der Schuh fertig. Ja, wer Schuhe hätte, der könnte unter die reichen Leute gehen, wohl auch da hinauf nach dem Sternsteinhof.

Sie hob wieder das Köpfchen. Von ihrem Gesichte war nichts zu sehen als das runde Kinn, der untere Teil der vollen Backen und die Spitze der kleinen Nase zwischen dem Spalt des Kopftuches, das sie zum Schutze der Augen tief in die Stirne gezogen hatte, denn das war auch nötig; hinter dem Hügel, ihr im Rücken, ging eben die Sonne unter, und daher flammten die Fenster des Gehöftes, nach dem sie so unverwandt hinsah, in sprühendem Feuer. Das nasse Schieferdach des Wohnhauses, das dort inmitten weitläufiger Wirtschaftsgebäude stand, verschwamm förmlich in dem tiefdunklen Grau der Wolken, die dahinter standen und nur an den Rändern einen ganz schmalen, rotgoldenen Saum zeigten, so daß es fast aussah, als reiche der Sternsteinhof bis an den Himmel.

Wunder hätte es das Kind nicht genommen! So weit der Hügel reicht – oh, wie weit war das –, gehört aller Boden zum Sternsteinhof und noch ein gutes Stück ebenen Landes dazu. Was die Wiesen an Vieh ernähren konnten, die Äcker zu tragen vermochten, das hatte der Sternsteinhofbauer in Ställen und Scheunen. Das sagten ja die Leute, daß ihm alles wie vom Himmel fiel, seit er den feurigen Stein, die Sternschneuze, die just zur Zeit, als er den neuen Hof zu bauen begann, auf seinen Grund herniederschoß, aus der Erde heben und in das Fundament einmauern ließ.

Plötzlich wirbelte inmitten des dunklen Grau ein helles, sandfarbes Wölkchen lustig empor, der Rauch, der aus einem der Schornsteine ober dem Schieferdache aufstieg. Das Mädchen starrte darnach hin und seufzte leise. Von der Seite gesehen, mit dem übergebundenen Tüchelchen, dessen Zipfel, hohl und spitz, das Gesicht verdeckte, mußte sich ihr Köpfchen wie das eines kurzschnäbeligen Vogels ausnehmen, und nachdem sie vorhin zu dem Goldrande der Wolken aufgeblickt hatte und nun gerade vor sich hinsah, so war es, als hätte zuerst der Vogel, etwa aus der jungen Saat, in die blaue Weite geguckt und plötzlich beäugle er etwas ganz Nahes und besänne sich, ob er darauf losgehen solle.

Ganz so sah es wenigstens nach der Meinung eines halbwüchsigen Bürschchens aus, das schon längere Zeit hinter den Zweigen der mannshohen Büsche im Vorgärtchen der Nachbarhütte lauerte. Als der putzige Vogel da drüben den Schnabel senkte, übermannte den Burschen die Lustigkeit seiner Vorstellung so, daß er mit dem Knebel, den er sich aus einem seiner Hemdärmel drehen wollte, um den lauten Ausbruch seiner Heiterkeit zu ersticken, nicht mehr rechtzeitig zustande kam und nun in ein prustendes, grölendes Lachen ausbrach, dem aber sofort ein krampfartiger, pfeifender Husten folgte.

Die Kleine schrak anfangs heftig zusammen, jetzt aber klatschte sie in die Hände und rief lachend: »Siehst, das geschieht dir recht, Muckerl, das ist die Straf dafür, daß du die Leut so erschreckst.«

Was auch der Angeredete zu entgegnen gedachte, eine Entschuldigung oder eine Grobheit, für den Augenblick mußte er die eine wie die andere für sich behalten. Er lehnte an der Mauer und rang nach Luft, und in sein Gehuste klang das helle, fröhliche Lachen von drüben.

Eine dralle, behäbige Frau setzte mit einem ärgerlichen Rucke Pfanne und Topf, die sie eben zur Hand genommen, auf den Herd zurück und trat unter die Türe.

»Was gibt's denn da wieder für Dummheiten?« sagte sie.

»Muckerl, du wärst wohl jetzt alt genug, um gescheit zu sein.«

»Es is ja aber weiter nix, Mutter, als a bissel a Hetz«, sagte der Bursche.

Die mütterliche Mahnung an sein Alter schien allerdings wohlangebracht. Wie er so dastand, barhäuptig und barfüßig, in Hemdärmeln, verlegen an dem einen, einzigen Hosenträger zerrend, erschien er so engbrüstig, so völlig in der Entwicklung zurückgeblieben, kaum so groß wie das Dirnchen vor der Hütte nebenan, und er mag es wohl ein um das andere Mal vergessen, daß er volle drei Jahre mehr zähle, wie denn auch die Leute, denen davon gesagt wird, sich's gewöhnlich wiederholen lassen und dazu noch den Kopf schütteln.

Für Personen, die schon etliche Male die Gelegenheit wahrnahmen, wohlangebrachte Mahnungen zu äußern, hatte es sicher nichts Überraschendes, daß Muckerl, sobald ihm die Mutter den Rücken kehrte, zum Vorgärtel hinaushuschte.

Er näherte sich dem Mädchen.

»Gutn Abend, Helen.«

»Gutn Abend, Muckerl. Rück zuher.« Sie machte ihm auf dem Bänkchen Platz. »Was hast denn vorhin so gelacht wie nit gscheit?«

»Über dein Vogelhauben. Geh, tu s' weg.« Er löste ihr den Knoten.

Das Dirnchen griff nach dem Tuche, das ihr in den Nacken sank, und legte es vor sich in den Schoß. »Was irrt dich denn das, dummer Ding?«

»Freilich irrt's mich, weil ich dein Gsicht gern säh.«

»Na, so gaff.« Sie drehte den Kopf über die eine Schulter nach ihm und sah ihm ganz nah, ohne zu lachen, in die Augen. »Hast leicht noch kein solchs gsehn?«

Er schüttelte den Kopf.

Es war ein vollbäckiges Kindergesicht mit gesundem Rot auf der kaum merklich braun angehauchten Haut, umrahmt von reichen Flechten schwarzen Haares mit bläulichem Schimmer. Die Stirne war frei, wölbte sich oben etwas vor, das gerade Näschen zeigte einen fein modellierten Rücken und zierliche Nüstern, die brennend roten Lippen waren voll, die obere schien ein klein wenig aufgeworfen, die untere bißchen eingekniffen, unter dichten Augenbrauen und zwischen schwer befransten Lidern funkelten ein Paar graue Augen mit merkwürdig großen, dunklen Sternen.

Nachdem das Mädchen eine Weile den bewundernden Blicken des Jungen standgehalten, sagte es spöttisch: »Wenn ich auch dir gfall, Muckerl, so laß dir sagen, du mir gar nit.«

»Das glaub ich«, lachte der Junge. Er hatte ja alle Morgen beim Kämmen sein Bild im Spiegel vor sich und wußte, wie er aussah mit seinem braunen, borstigen Haarschopf über der breiten Stirne, der knolligen Nase darunter, den schmalen Lippen, den fahlen, eingesunkenen Wangen; nichts war auffallend an ihm als die großen schwarzen Augen, und die waren nicht schön, denn sie traten zu stark aus den Höhlen.

»Das glaub ich, Helen«, wiederholte er. Er nahm es von der besten Seite. Wie einer aussieht, dafür kann keiner, und dagegen kann er auch nichts machen.

»Völlig schiech bist, Muckerl«, neckte die Dirne.

»Und du rechtschaffen sauber«, sagte der Junge.

»Das ist halt jetzt«, sagte sie ernst, »denk aber, was ich zu wachsen hab, bis ich groß bin wie andere Leut. Meinst, ich bleib sauber?«

»Die Säuberste wirst da herum.«

»Das ist auch was!« Die Kleine rümpfte das Näschen.

»Sag ich denn, da in Zwischenbühel?« fuhr Muckerl eifrig fort. »Im ganzen Landviertel, mein ich.«

»Geh, dummer Bub, fopp ein anders! Du wirst alle großgwachsenen Weibsleut und uns kleine Menscherln alle vom ganzen Landviertel kennen!«

»Das hat's auch gar nit not. Hat's nit zugetroffen, was ich vor zwei Jahr von der Reitlers Eva gsagt hab? daß die ihrn langen Leib und d' kurzen Füß behalt? Nun, und kommt die heut, großgwachsen, nit dahergschritten wie ein Gans, die ein'm anblasen will?«

»Du hast recht, völlig hast recht, Muckerl«, lachte Helen, dann faßte sie ihn plötzlich an beiden Händen. »Sag, verstehst du leicht wahrsagen, wie ein Zigeuner?«

»Sei nit einfältig, ich versteh nur, was 'n Leuten gfallen mag, und schätz wohl auch, ob, was ich heut seh, sich darnach auswachst, und das ist mir so unterm Holzschnitzen kommen. Du weißt, mit Löffeln und Rühreln hab ich schon – kaum aus der Schul – angfangt, später hab ich wohl auch ein'm heiklichen Bauern an einer Stuhllehn oder am Türsims was gschnitzt, aber das gfreut mich schon lang nimmer, tragt auch nur wenig Groschen, damit erhalt ich mein Mutter nit und käm selber mein Lebtag zu nix. Weißt, zulernen will ich.