Der Trinker - V3
HANS FALLADA
Der Trinker
V3
Strelitz, 6.9.44
Ich habe natürlich nicht immer getrunken, es ist sogar nicht sehr lange her, daß ich mit
Trinken angefangen habe. Früher ekelte ich mich vor Alkohol; allenfalls trank ich mal ein Glas
Bier; Wein schmeckte mir sauer, und der Geruch von Schnaps machte mich krank. Aber dann kam eine
Zeit, da es mir schlecht zu gehen anfing. Meine Geschäfte liefen nicht so, wie sie sollten, und
mit den Menschen hatte ich auch mancherlei Mißgeschick. Ich bin immer ein weicher Mensch gewesen,
ich brauchte die Sympathie und Anerkennung meiner Umwelt, wenn ich mir das auch nicht merken ließ
und stets sehr selbstbewußt und sicher auftrat. Das Schlimmere war, daß ich das Gefühl bekam,
auch meine Frau wende sich von mir ab.
Es waren zuerst unmerkliche Zeichen, Dinge, die ein anderer ganz übersehen hätte. Zum Beispiel
vergaß sie, mir bei einem Geburtstag in unserem Hause Kuchen anzubieten; ich esse zwar nie
Kuchen, aber früher bot sie mir trotzdem stets welchen an. Und dann war einmal drei Tage lang ein
Spinnweb in meinem Zimmer über dem Ofen. Ich ging alle Zimmer ab, aber in keinem gab es ein
Spinnweb, nur in meinem. Ich wollte eigentlich abwarten, wie lange sie es so treiben würde mir
zum Ärger, aber am vierten Tage hielt ich es nicht mehr aus und sagte es ihr. Darauf wurde das
Spinnweb entfernt. Ich sagte es ihr natürlich ziemlich scharf. Ich wollte mir um keinen Preis
merken lassen, wie sehr ich unter diesen Kränkungen und meiner Vereinsamung litt.
Aber es blieb nicht dabei. Bald kam die Sache mit dem Fußabtreter. An jenem Tage hatte ich
Schwierigkeiten auf meiner Bank gehabt, zum ersten Male hatten sie mir eine Geldauszahlung
verweigert; es hatte sich wohl herumgesprochen, daß ich Verluste erlitten hatte. Der
Bankvorsteher, ein Herr Alf, tat sehr liebenswürdig, sprach von vorübergehenden Schwierigkeiten
und erbot sich sogar, mit seiner Zentrale wegen eines Sonderkredits für mich zu telephonieren.
Ich lehnte das natürlich ab, ich war lächelnd und sicher wie immer gewesen. Aber ich hatte gut
gemerkt, daß er mir dieses Mal nicht wie sonst meist eine Zigarre angeboten hatte, dieser Kunde
lohnte ihm das wohl nicht mehr. Sehr niedergedrückt ging ich durch einen schwer herabrauschenden
Herbstregen nach Hause. Ich war noch gar nicht in eigentlichen Schwierigkeiten; es war nur eine
gewisse Stagnation in meinen Geschäften eingetreten, die zu jenem Zeitpunkt mit einigem Elan
sicher noch zu überwinden gewesen wäre. Aber gerade diesen Elan vermochte ich nicht aufzubringen,
ich war zu niedergedrückt von all dem stummen Mißfallen, dem ich begegnete.
Als ich nach Hause kam (wir wohnen etwas vor der Stadt in eigener Villa, und die Straße dorthin
ist noch nicht ausgebaut), wollte ich vor der Tür meine schmutzigen Schuhe reinigen, doch gerade
heute fehlte der Fußabtreter. Ärgerlich schloß ich auf und rief ins Haus nach meiner Frau. Es
dunkelte schon, aber nirgends sah ich Licht, und Magda kam auch nicht. Ich rief wieder und
wieder, aber nichts erfolgte. Ich befand mich in einer höchst fatalen Situation: ich stand im
Regen vor der Tür meiner eigenen Villa und konnte nicht ins Haus, wollte ich nicht Vorplatz und
Diele ärgerlich beschmutzen, und das alles, weil meine Frau vergessen hatte, den Fußabtreter
hinauszulegen, und zu einer Zeit nicht zur Stelle war, wo ich, wie sie genau wußte, von der
Arbeit heimkam. Schließlich mußte ich mich überwinden: ich ging vorsichtig auf Zehenspitzen ins
Haus. Als ich mich auf einen Stuhl in der Diele setzte, um die Schuhe auszuziehen, und dafür
Licht machte, sah ich, daß all meine Vorsicht nichts genützt hatte: auf dem zartgrünen
Dielenteppich waren die häßlichsten Flecke entstanden. Ich habe Magda immer gesagt, daß solch ein
empfindliches Resedagrün nichts für die Diele sei, aber sie hatte ja gemeint, wir beide seien ja
wohl alt genug, ein bißchen aufzupassen, und die Else (unser Dienstmädchen) benütze ja sowieso
den Hintereingang und sei gewohnt, im Hause auf Pantoffeln zu gehen. Ich zog sehr ärgerlich meine
Schuhe aus, und gerade als ich den zweiten auszog, sah ich Magda, die eben aus der Tür kam, die
die Kellertreppe verdeckt. Der Schuh entglitt mir und fiel mit Poltern auf den Teppich, einen
abscheulichen Fleck machend.
»Paß doch ein bißchen auf, Erwin!« rief Magda sehr ärgerlich. »Wie der schöne Teppich wieder
aussieht.
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